Nikolas Nickleby. Charles Dickens

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Nikolas Nickleby - Charles Dickens


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Also komm.«

      Mit diesen Worten warf er sein Felleisen auf den Rücken, nahm seinen Stock in die Hand, reichte die andere dem vor Entzücken sprachlosen Smike und verließ mit ihm die Scheune.

      In dem Teil von London, in dem Golden Square liegt, zieht sich auch eine alte schmutzige Straße hin mit zwei unregelmäßigen Reihen hoher, schmaler Häuser, die sich gegenseitig so lange angestarrt zu haben scheinen, bis sie die Balance verloren haben. Selbst die Schornsteine sind düster und melancholisch geworden, da sie nichts Besseres anzusehen haben als ihre Herren Kollegen jenseits der Straße. Sie sind bröckelig vom Wetter, zerrissen und von Rauch geschwärzt, und hie und da scheint ein über die andern hervorragender Kamin, der sich schwerfällig auf die eine Seite neigt und schon halb über das Dach herabgestürzt ist, aus Rache für die Vernachlässigung eines halben Jahrhunderts auf Zerschmetterung der in tiefer liegenden Dachstübchen wohnenden Leute zu sinnen.

      Das Geflügel, das in den Gossen herumpickte und in der üblichen trübseligen Londoner Manier, die ein Hahn oder eine Henne vom Dorfe nur verblüfft mit ansehen könnte, umherhüpft, steht in vollkommenem Einklang mit den baufälligen Wohnungen seiner Eigentümer. Schmutzig, halb entfiedert und schläfrig wird es, wie auch so manches Kind in der Nachbarschaft, auf die Straße hinausgejagt. So hüpfen denn die armen Tiere von Stein zu Stein, um irgend etwas Freßbares im Kot aufzustöbern. Darüber haben die Hähne das Krähen verlernt, und der einzige, der noch etwas hat, was einer Stimme ähnelt, ist ein alter Gockel in dem Hause eines Bäckers, und selbst dieser ist infolge der schlechten Kost bereits bei seinem früheren Herrn endgültig heiser geworden.

      Dem baulichen Umfange der Häuser nach zu schließen, müssen diese früher reicheren Besitzern als ihren gegenwärtigen gehört haben, jetzt aber werden die Stockwerke oder vielmehr einzelnen Zimmer nur wochenweise vermietet, und jede Haustüre hat fast so viele Namentäfelchen oder Klingelgriffe aufzuweisen, als sich Stuben im Innern befinden. Die Fenster bieten aus demselben Grunde einen bunten Anblick dar, da sie mit jeder denkbaren Art von Fensterschirmen und Vorhängen geziert sind, während jeder Hausflur verbarrikadiert und gleichsam unwegsam gemacht wird durch dichte Haufen von Kindern und Porterkrügen von jeder Größe und Umfang.

      An der Tür eines dieser Häuser, das womöglich noch schmutziger als die übrigen war, auch mehr Kinder, Klingelgriffe und Porterkrüge aufwies und den Qualm eines dicken Rauches, der Tag und Nacht aus einer großen, anstoßenden Brauerei aufstieg, aus erster Hand bezog, klebte ein Zettel mit der Anzeige, daß noch ein Zimmer zu vermieten sei, obgleich es die Fähigkeit des besten Rechenkünstlers überstiegen haben würde, den Stock, in dem es liegen konnte, zu bestimmen, wenn er die äußeren Merkmale ins Auge faßte, die die ganze Front des Hauses entlang – von der Wäschemangel im untersten Küchenfenster an bis zu den Blumentöpfen in der Dachstube hinauf – auf Bewohntsein schließen ließen.

      Schon vor der gemeinschaftlichen Treppe des Hauses fehlte die Strohmatte. Wenn aber ein Neugieriger gar bis zum Giebel emporklomm, so konnte er bemerken, daß es, je höher es hinaufging, nicht an Merkmalen zunehmender Armut mangelte, trotzdem die Zimmer der Bewohner verschlossen waren.

      In dem allerobersten Dachgelasse nun bückte sich ein ältlicher, schäbig gekleideter Mann mit harten Zügen und einem breiten Gesichte nieder, um die Türe des nach vorne hinausgehenden Stübchens zu öffnen, in das er sodann mit der Miene des gesetzlichen Eigentümers eintrat, nachdem er mit dem Geschäfte, einen verrosteten Schlüssel in dem noch mehr verrosteten Schlosse umzudrehen, glücklich zustande gekommen war.

      Der Mann trug eine Perücke mit kurzen, groben, roten Haaren, die er mit seinem Hut zugleich abnahm und an einen Nagel hängte. Nachdem er diese Kopfbedeckung durch eine schmutzige wollene Nachtmütze ersetzt und im Dunkeln nach einem Lichtstümpchen umhergetappt hatte, klopfte er an die Verbindungstüre, die zur anstoßenden Dachkammer führte, und fragte mit lauter Stimme, ob Mr. Noggs zu Hause wäre und vielleicht Licht hätte.

      Die Antwort war zwar durch die mit Mörtel beworfene Wand gedämpft, es schien aber noch außerdem, als ob sie aus dem Innern eines Kruges oder eines Trinkgefäßes käme – jedenfalls war es aber Newmans Stimme und die Auskunft eine bejahende.

      »Eine garstige Nacht, Mr. Noggs«, brummte der Mann in der Nachtmütze und trat in die Stube seines Nachbarn, um sein Licht anzuzünden.

      »Regnet es?« fragte Noggs.

      »Ob es regnet? Ich bin bis auf die Haut durchnäßt.«

      »Dazu braucht es nicht viel, um Sie und mich bis auf die Haut zu durchnässen, Mr. Crowl«, sagte Newman mit einem Blick auf die Ärmel seines eigenen fadenscheinigen Rocks.

      »Um so unangenehmer ist es«, knurrte Mr. Crowl, dessen Züge die eingefleischteste Selbstsucht verrieten, verdrossen. Dann bedeckte er das spärliche Feuer so mit Brennmaterial, daß es fast erstickte, trank das Glas, das auf dem Tische stand, aus und fragte, wo Newman seine Kohlen aufbewahre.

      Newman zeigte nach dem untersten Fach eines Schrankes. Mr. Crowl ergriff sofort die Schaufel und warf die Hälfte des Vorrats in den Ofen. Noggs jedoch holte sie, ohne ein Wort zu sprechen, wieder heraus.

      »Ich hoffe doch nicht, daß Sie ausgerechnet heute anfangen zu sparen?« rief Mr. Crowl.

      Newman deutete auf das leere Glas, als ob das hinreiche, eine solche Beschuldigung zurückzuweisen, und sagte kurz, daß er zum Nachtessen hinuntergehe.

      »Zu den Kenwigs?«

      Newman nickte.

      »Da sehe einer«, brummte Crowl. »Wenn ich nicht angenommen hätte, Sie gingen bestimmt nicht hin, wie Sie doch vorhatten, hätte ich auch nicht abgesagt.«

      »Sie haben unten ausdrücklich darauf bestanden, daß ich kommen müsse«, entschuldigte sich Newman.

      »Gut. Und was soll aus mir werden?« wendete der Ehrenmann ein, der nie an etwas anderes dachte als an sich selbst. »Sie sind doch schuld an allem. Aber ich will Ihnen was sagen, ich bleibe hier bei Ihrem Feuer sitzen, bis sie wiederkommen.«

      Newman warf einen verzweifelten Blick auf seinen kleinen Vorrat an Brennmaterial, da er aber nicht den Mut hatte, »nein« zu sagen – ein Wort, das er sein ganzes Leben lang weder gegen sich noch gegen andere zu rechter Zeit hatte gebrauchen lernen –, ließ er sich den Vorschlag gefallen, und Mr. Crowl schickte sich augenblicklich an, es sich auf Newman Noggs' Kosten so behaglich zu machen, als es die Umstände gestatteten.

      Die Partei, die Crowl mit dem Ausdruck die »Kenwigs« bezeichnet hatte, bestand aus der Gattin und den hoffnungsvollen Sprößlingen eines Elfenbeindrechslers namens Kenwigs, der im Hause als Mann von hohem Ansehen galt, da er die ganze Beletage, die aus zwei Zimmern bestand, bewohnte. Überdies spielte sich Mrs. Kenwigs auf die Mondäne, da sie aus achtbarer Familie stammte und einen Wassersteuereinnehmer zum Onkel hatte. Die zwei ältesten ihrer Mädchen genossen zweimal wöchentlich in der Nachbarschaft Tanzunterricht, trugen das Flachshaar in üppigen Zöpfen mit blauen Bändern geflochten und zierliche weiße Höschen mit Krausen um die Knöchel – lauter Dinge, die nebst zahllosen anderen gleich wichtigen es höchst wünschenswert erscheinen ließen, mit Mrs. Kenwigs auf gutem Fuß zu stehen und sie zum Mittelpunkt aller Klatschereien in der Straße, und vielleicht auch noch ein wenig um die Ecke herum, zu machen.

      Es war heute die Jahresfeier des glücklichen Tages, an dem die englische Kirche zwischen Mr. und Mrs. Kenwigs das Band der heiligen Ehe geknüpft, und Mrs. Kenwigs hatte in dankbarer Erinnerung an diesen denkwürdigen Wendepunkt ihres Lebens einige auserlesene Freunde zu einer Partie Karten und einem Souper zu sich in den ersten Stock eingeladen. Sie trug zum Empfange ein neues geflammtes Kleid von äußerst jugendlichem Schnitt, das ihr so gut stand, daß Mr. Kenwigs erklärte, die acht Jahre seiner Ehe mit ihrem Kindersegen kämen ihm wie ein Traum vor und Mrs. Kenwigs sähe jünger und blühender aus als an dem Sonntag, wo er sie zum ersten Male erblickte.

      Mrs. Kenwigs machte in ihrem Putz auch wirklich solchen Staat, daß man hätte vermuten können, es stünden ihr wenigstens eine Köchin und ein Dienstmädchen zu Gebote und sie hätte den


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