Nikolas Nickleby. Charles Dickens

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Nikolas Nickleby - Charles Dickens


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ihres Herzens dachten, er verdiene zumindest Schatzkanzler zu werden.

      Nach vieler Mühe und manchem Klaps auf die Köpfe der kleinen Kenwigs', von denen sogar zwei der aufrührerischsten kurzerhand hinausbefördert werden mußten, breitete man das Tischtuch mit Eleganz aus und trug ein paar gekochte Hühner, einen Schinken, eine Apfelpastete, Kartoffeln und Gemüse auf, bei deren Anblick Mr. Lillyvick sofort eine Unzahl höchst witziger Einfälle zum hellen Entzücken seiner Verehrer zum besten gab und mit bewunderungswürdiger Fertigkeit einzuhauen begann.

      Das Abendessen ging sehr gut und sehr schnell vonstatten, ohne daß sich ernstere Schwierigkeiten ergeben hätten als das ewige Fragen nach reinen Messern und Gabeln, was die arme Mrs. Kenwigs mehr als einmal heimlich wünschen ließ, daß bei Privatgesellschaften auch das Prinzip der Kostschulen eingeführt werden möge, dem zufolge jeder Gast sein Besteck selbst mitzubringen hat.

      Da jeder Gast von jeder Speise nahm, leerte sich der Tisch mit einer beunruhigenden Geschwindigkeit und ziemlichem Lärm, und bald kam die Reihe an die geistigen Genüsse, die nebst heißem und kaltem Wasser in Reih und Glied bereit standen, und denen Newman Noggs' Augen schon längst freudig und erwartungsvoll entgegengeglänzt hatten. Mr. Lillyvick erhielt einen Ehrenplatz in einem großen Lehnsessel am Kamin angewiesen, und die vier kleinen Kenwigs' wurden, mit den Gesichtern zum Feuer und ihren Flachszöpfen der Gesellschaft zugekehrt, ganz vorn auf eine niedrige Bank der Reihe nach hingesetzt. Dieses Arrangement war kaum vollendet, als Mrs. Kenwigs sich im Übermaße ihrer Muttergefühle an die linke Schulter ihres Gemahls gruppierte und in Tränen zerfloß.

      »Wie schön sie sind!« schluchzte sie.

      »Ja, wirklich entzückend«, stimmten alle Damen mit ein, »Sie haben vollkommen recht, Mrs. Kenwigs, und es ist sehr begreiflich, daß Sie stolz darauf sind. – Aber geben Sie Ihren Gefühlen nicht zu sehr nach.«

      »Ich kann – ich kann mir nicht helfen. Und Freudentränen schaden der Gesundheit nicht«, schluchzte Mrs. Kenwigs. »Aber sie sind zu schön. Viel zu schön, als daß ich hoffen dürfte, daß sie mir lange erhalten blieben.«

      Als die vier kleinen Mädchen die beunruhigende Nachricht vernahmen, sie seien bestimmt, in der Blüte ihrer Jugend einen frühen Tod zu erleiden, erhoben sie ein jämmerliches Geschrei, begruben zu gleicher Zeit ihre Köpfe im Schoß der Mutter und schluchzten so herzzerbrechend, daß ihre acht Flachszöpfe wie die Perpendikel hin und her baumelten. Mrs. Kenwigs drückte eines nach dem andern an ihr beklommenes Mutterherz und nahm dabei so ausdrucksvolle Stellungen inneren Schmerzes an, daß sich selbst Miss Petowker trotz ihres großen dramatischen Talentes daran hätte ein Vorbild nehmen können.

      Allmählich ließ sich die bekümmerte Mutter wieder beruhigen, und die kleinen Mädchen wurden unter der Gesellschaft verteilt, um es zu vereiteln, daß Mrs. Kenwigs nochmals durch den Glanz ihrer vereinten Schönheit überwältigt würde. Dabei überboten sich Herren und Frauen in Prophezeiungen, daß sie noch viele, viele Jahre leben würden und daß für die wertgeschätzte Gastgeberin durchaus kein Grund vorhanden sei, sich trüben Gedanken hinzugeben.

      »Heute vor acht Jahren!« rief Mr. Kenwigs nach einer Pause. »Lieber Gott, ach!«

      Ergriffen echoten alle den Nachsatz, nur mit dem Unterschied, daß sie zuerst das »Ach« und hinterdrein das »Lieber Gott« seufzten.

      »Ich war damals jünger«, lispelte Mrs. Kenwigs.

      »Gewiß nicht«, bestritt der Steuereinnehmer.

      »Bestimmt nicht«, bekräftigten alle.

      »Ich sehe meine Nichte noch vor mir«, ergriff Mr. Lillyvick wieder das Wort und ließ den Blick ernst und würdevoll über seine Zuhörer hingleiten, »ich sehe sie noch vor mir, als sie eines Nachmittags zum erstenmal ihrer Mutter ihre Neigung zu Kenwigs gestand. ›Mutter‹, sagte sie, ›ich liebe ihn.‹«

      »Bete ihn an, Onkel!« verbesserte Mrs. Kenwigs.

      »Liebe ihn«, sagtest du, »soviel ich mich erinnere, meine Teuerste«, bestand der Steuereinnehmer mit Festigkeit auf seiner Behauptung.

      »Du kannst recht haben, Onkel«, gab Mrs. Kenwigs unterwürfig zu, »ich meine aber doch, mich des Ausdrucks ›Anbeten‹ bedient zu haben.«

      »Lieben! meine Beste!« sagte Mr. Lillyvick. »›Mutter,‹ sagte sie, ›ich liebe ihn.‹- ›Was muß ich hören!?‹ rief ihre Mutter und bekam augenblicklich heftige Krämpfe.«

      – Allgemeiner Ausruf des Staunens von Seiten der Gesellschaft.

      »Heftige Krämpfe!« wiederholte Mr. Lillyvick und sah sich stolz im Kreise um. »Kenwigs, Sie werden entschuldigen, wenn ich in der Gegenwart der Gesellschaft den Umstand erwähne, daß man mancherlei gegen Ihre Bewerbung einzuwenden hatte, da Sie dem gesellschaftlichen Range nach unter der Familie standen und man die Mesalliance nicht gerne sah. Sie entsinnen sich dessen doch noch, Kenwigs?«

      »Gewiß«, gab der Elfenbeindrechsler, den diese Erinnerung keineswegs unangenehm berührte, da sie es außer allen Zweifel setzte, welch feiner Familie Mrs. Kenwigs entstammte, bereitwillig zu.

      »Ich teilte damals diese Ansicht«, fuhr der Wassersteuereinnehmer fort, »die vielleicht begründet war, vielleicht auch nicht.«

      Ein leises Murmeln der Gäste schien anzudeuten, daß bei einem Manne von Mr. Lillyvicks hoher Stellung ein solcher Einwurf nicht nur natürlich, sondern höchst begründet sein müsse.

      »Er nahm mich jedoch bald für sich ein. Und als sie verheiratet waren und sich in der Sache nichts mehr ändern ließ, war ich einer der ersten, die sagten, man müsse Kenwigs achten. Die Familie tat das infolge meiner Vorstellungen auch, und ich fühle mich verpflichtet hervorzuheben – ja ich bin stolz darauf –, daß ich von da an immer einen höchst ehrenwerten, anständigen, rechtschaffenen und achtbaren Mann in ihm gesehen habe. – Kenwigs, geben Sie mir Ihre Hand!«

      »Es ist mir eine Ehre«, rief Mr. Kenwigs.

      »Gleichfalls, Kenwigs, gleichfalls«, sagte Mr. Lillyvick.

      »Ich habe sehr glücklich mit Ihrer Nichte gelebt«, gestand der Elfenbeindrechsler.

      »Es wäre Ihre eigene Schuld gewesen, wenn es anders gekommen wäre«, entgegnete Mr. Lillyvick.

      »Morlina!« rief die durch diese Lobeshymne tief gerührte Mutter. »Gib deinem lieben Großonkel einen Kuß.«

      Das Mädchen tat, wie verlangt, und dann wurden auch die drei anderen Flachsköpfchen herumgereicht.

      »Liebe Mrs. Kenwigs«, schlug Miss Petowker vor, als diese Szene glücklich absolviert war, »lassen Sie doch Morlina Mr. Lillyvick den neuen Tanz vortanzen, während Mr. Noggs den Punsch bereitet, mit dem wir dann die glückliche und häufige Wiederkehr dieses Festes unter Trinksprüchen feiern wollen.«

      »Nein, nein, meine Liebe«, wehrte Mrs. Kenwigs ab, »es würde meinen Onkel nur langweilen.«

      »Oh, unmöglich«, rief Miss Petowker lebhaft, »es wird ihn im Gegenteil brillant unterhalten, nicht wahr, mein Herr?«

      »Gewiß«, erwiderte der Steuereinnehmer mit einem Blick nach dem Punschkünstler.

      »Also, dann mache ich den Vorschlag«, sagte Mrs. Kenwigs, »Morlina soll ihre Pas tanzen und Miss Petowker nachher ›Das Begräbnis des Vampirs‹ deklamieren!«

      Der Vorschlag wurde von allen Seiten mit großem Applaus aufgenommen, und Miss Petowker neigte zum Zeichen des Dankes mehrere Male huldreich das Haupt.

      »Sie wissen«, zierte sie sich vorwurfsvoll, »wie ungern ich in Privatgesellschaften mit Leistungen, die zu meinem Berufe gehören, hervortrete.«

      »Oh, hier ist das etwas anderes«, redete ihr Mrs. Kenwigs zu. »Wir sind hier unter lauter Freunden, so daß sie ebensowenig Anstoß daran zu nehmen brauchen wie in Ihrem eigenen Zimmer. Zudem, der gegenwärtige Anlaß –«

      »Wer könnte da widerstehen!« rief die Künstlerin. »Unter solchen Umständen wird es mir natürlich ein Vergnügen sein, alles, was in meinen bescheidenen


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