Nikolas Nickleby. Charles Dickens

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Nikolas Nickleby - Charles Dickens


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Nase und war eben im Begriffe, gegen die Bezahlung von Steuern und Taxen im allgemeinen zu protestieren, als die Aufmerksamkeit der Anwesenden aufs neue und diesmal durch einen höchst aufregenden Vorfall in Anspruch genommen wurden.

      Es ertönte nämlich plötzlich, allem Anschein nach aus dem Dachhinterstübchen herab, in der der junge Master Kenwigs in seiner Wiege schlummerte, ein furchtbares Jammergeschrei. Mrs. Kenwigs verfiel sogleich auf die Vermutung, eine fremde Katze habe sich eingeschlichen und dem Kleinen im Schlafe das Blut ausgesaugt, und stürzte händeringend nach der Türe.

      »Kenwigs, sehen Sie lieber nach! Eilen Sie, eilen Sie!« rief die Schwester der Festgeberin dem Elfenbeindrechsler zu und hielt Mrs. Kenwigs mit Gewalt zurück.

      »Mein Kind, mein Ki-ind«, kreischte die verzweifelte Mutter.

      »Mein Einziges und Alles, mein liebes, unschuldiges Ki-ind! Laßt mich zu ihm, laßt mich ge-he-he-hen!«

      Mit Windeseile war inzwischen der Drechsler die Stiegen hinaufgeeilt. An der Türe des Zimmers, aus dem die Töne, die zu dieser Verwirrung Anlaß gegeben, kamen, rannte er an Nikolas, der, das Kind auf den Armen, herausstürzte, mit solcher Wucht an, daß er sechs Stufen hinuntersauste und gegen das nächste Geländer anflog, ehe er noch Zeit gehabt hatte, den Mund zu der Frage zu öffnen, was es denn eigentlich gebe.

      »Seien Sie außer Sorge«, rief Nikolas hinuntereilend. »Es ist schon alles vorbei. Es ist alles gut abgelaufen. Ich bitte, fassen Sie sich. Es ist weiter kein Unglück geschehen.«

      Mit diesen und ähnlichen Versicherungen übergab er das Kind, das er in der Eile den Kopf nach abwärts heruntergeschleppt hatte, Mrs. Kenwigs und stürmte wieder hinaus, um dem Elfenbeindrechsler beizustehen, der, von seinem Falle noch nicht völlig zu sich gekommen, sich mit verwirrten Blicken den Kopf rieb.

      Durch diese frohe Kunde beruhigt, erholten sich die Gäste nach und nach wieder von ihrem Schrecken, der auf einige von ihnen geradezu lähmend gewirkt hatte; der würdige Mr. Lillyvick war der einzige gewesen, der seinen Gleichmut beibehalten, wenigstens hatte er hinter der Zimmertüre Miss Petowker so ruhig geküßt, als ob ganz und gar nichts Ungewöhnliches geschehen wäre.

      »Die Sache ist ganz und gar nicht von Bedeutung«, berichtete Nikolas, als er zu Mrs. Kenwigs zurückkehrte. »Das kleine Mädchen, das auf das Kind achtgeben sollte, ist, vermutlich aus Ermüdung, eingeschlafen und hat mit dem Haar Feuer gefangen. Ich habe sie schreien hören und kam noch rechtzeitig, um zu verhindern, daß die Flamme weiter um sich griff. Sie können sich darauf verlassen, das Kind ist unversehrt. Ich nahm es selbst aus dem Bett.«

      Sofort fiel alles über den Kleinen, der, nach dem Steuereinnehmer getauft, sich des Namens Lillyvick Kenwigs erfreute, her, erstickte ihn fast mit Liebkosungen, bis er glücklich wieder zu schreien anfing, und wendete sich dann mit den bittersten Vorwürfen an das kleine dreizehnjährige Mädchen, das die Kühnheit gehabt hatte, Feuer zu fangen. Mr. Kenwigs entließ es zwar nach verschiedenen kleinen Püffen in Gnaden, die neun Pence, die ihr als Lohn verheißen worden, wurden ihr aber begreiflicherweise gestrichen.

      »Wir wissen gar nicht, wie wir Ihnen danken sollen, Sir!« wollte sich Mrs. Kenwigs an den Retter ihres Kindes wenden, aber Mr. Nickleby war bereits verschwunden.

      »Schade«, meinte Miss Petowker, »er hat ein so hübsches Gesicht und so feine Manieren und überhaupt etwas in seinem Äußern – etwas ganz, ach du mein Himmel, wie heißt nur das Wort?« »Was für ein Wort?« fragte Mr. Lillyvick.

      »Ach Gott, mein Gedächtnis«, entgegnete Miss Petowker zögernd. »Wie nennt man es doch, wenn junge Herren Türklopfer abbrechen, anderer Leute Geld verspielen und was dergleichen mehr ist?«

      »Aristokratisch?« riet der Steuereinnehmer.

      »Ja, richtig, aristokratisch! – Er hat etwas ungemein Aristokratisches an sich. Nicht?«

      Am nächsten Tage war es Nikolas' erste Sorge, sich nach einem Zimmer umzusehen, wo er bis auf bessere Zeiten wohnen konnte, ohne Newman Noggs zur Last zu fallen, der natürlich mit Freuden auf der Stiege geschlafen haben würde, wenn es nur sein junger Freund dadurch etwas bequemer gehabt hätte.

      Das leerstehende Zimmer, auf das sich die Anzeige an der Haustür bezog, erwies sich bei näherer Nachforschung als ein kleines Hinterstübchen im dritten Stock, von wo aus man eine entzückende Aussicht auf rußgeschwärzte Dachziegel und Schornsteine hatte.

      Der Erlös aus einigen entbehrlichen Kleidungsstücken setzte Nikolas in Stand, diese Kammer zu erstehen und auch die Miete für einige notwendige Möbel, die er sich bei einem benachbarten Trödler verschaffte, auf eine Woche vorauszubezahlen. So hatten er und Smike vorläufig wenigstens das Allernotwendigste.

      Als er einige Stunden später, in Grübeln versunken, durch die Hauptstraßen Londons schlenderte, fielen seine Blicke plötzlich auf eine blaue Tafel, auf der mit goldenen Buchstaben zu lesen stand:

      »General-Agentur. Plätze und Stellen aller Art sind im Hause zu erfragen.«

      Im Ladenfenster hing außerdem eine lange verlockende Reihe von Ankündigungen, die offene Stellen vom Sekretär bis zum Laufburschen hinunter verhieß.

      Nikolas ging eine Weile unschlüssig vor der Türe des Bureaus auf und ab, faßte sich aber dann endlich ein Herz und trat ein.

      Das erste, was sich seinen Blicken darbot, war ein hagerer junger Mann mit listigen Augen und einem hervorstehenden Kinn, der hinter einem hohen Pult saß und in Frakturschrift Eintragungen in ein großes Hauptbuch machte. Er warf dabei von Zeit zu Zeit fragende Blicke auf eine sehr beleibte Dame in einer Morgenhaube, augenscheinlich die Eigentümerin des Geschäftes, die sich am Feuer wärmte, und wartete offenbar auf ein Diktat.

      Nikolas hatte draußen eine Tafel gelesen, die dem Publikum anzeigte, daß hier von zehn bis vier Uhr Dienstboten aller Art aufgenommen würden, und konnte sich daher die Anwesenheit von einem halben Dutzend junger kräftiger Frauenspersonen, die mit Überschuhen und Sonnenschirmen auf einer Eckbank saßen, leicht erklären. Nicht ganz so sicher war er hinsichtlich des Berufes und der Stellung zweier aufgeputzter junger Frauenzimmer, die sich mit der dicken Dame am Kamin unterhielten.

      »Köchin – Tom«, diktierte die dicke Dame, nachdem sie sich mit dem einen der Mädchen genügend ausgesprochen, dem Schreiber.

      »Köchin«, wiederholte Tom und schlug einige Blätter seines Hauptbuches um.

      »Lesen Sie eine oder zwei leichte Stellen vor«, befahl die dicke Frau.

      »Sin S' so gut, a paar recht leichte, junger Herr«, fügte die sehr modern gekleidete Dame bei, die bunt karierte Tuchstiefel trug und offenbar die Köchin zu sein schien.

      »Mrs. Marker«, las Tom, »Russell Place, Russell Square. Bietet achtzehn Guineen, Tee und Zucker. Familie von zwei Personen, die äußerst wenig Gesellschaften gibt. Hält fünf Dienstboten, aber keinen männlichen. Duldet auch keine Liebhaber.«

      »O je, dös is nix«, meinte die Klientin. »Lesen S' a andere vor, junger Herr.«

      »Mrs. Wrymug. Angenehmer Posten in Finsbury. Lohn zwölf Guineeen, kein Tee, kein Zucker, fromme Familie –«

      »Ach, lassen S' dös nur«, fiel die Klientin ein.

      »Drei fromme Bediente –«

      »Drei haben S' g'sagt?« rief die Dame, plötzlich sehr gespannt.

      »Drei fromme Bediente«, wiederholte Tom, »Köchin, Haus- und Stubenmädchen. Jeder weibliche Dienstbote muß sonntags dreimal in die Kirche gehen, und zwar mit einem der frommen Bedienten. Wenn die Köchin frömmer ist als der Bediente, wird von ihr erwartet, daß sie einen günstigen Einfluß auf ihn ausübt, umgekehrt wird dasselbe von dem Bedienten erwartet.«

      »Ich bitt um die Adress'«, unterbrach die Klientin. »I weiß net, aber i glaub, der Posten passet mir soweit.« »Hier ist noch eine«, bemerkte Tom, einige Seiten umblätternd.


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