Sand im Dekolleté. Micha Krämer

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Sand im Dekolleté - Micha Krämer


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      Der Roman spielt hauptsächlich in bekannten Regionen, doch bleiben die Geschehnisse reine Fiktion. Sämtliche Handlungen und Charaktere sind frei erfunden.

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

      Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

      © 2021 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

      www.niemeyer-buch.de

      Alle Rechte vorbehalten

      Umschlaggestaltung: C. Riethmüller

      Der Umschlag verwendet Motiv(e) von 123rf.com

      EPub Produktion durch CW Niemeyer Buchverlage GmbH

      eISBN 978-3-8271-8395-8

      Micha Krämer

      Sand im

      Dekolleté

      Prolog

      September 2020

      Insel Langeoog

      Vielleicht hätte er doch auf seine Mutter hören und einen ordentlichen Beruf erlernen sollen. Die Zeiten, in denen man es in seinem Berufsstand noch zu etwas bringen konnte, waren ziemlich eindeutig lange vorbei. Dieses Internetz mit seinen gläsernen Menschen, in dem jeder alles über jeden wusste und in Erfahrung bringen konnte, empfand er mehr und mehr als einen Fluch als einen Segen. Allesamt Umstände, mit denen sein großes Vorbild Onkel Ludwig nie zu kämpfen gehabt hatte. Der Onkel, der liebe Gott hab ihn selig, war eine echte Koryphäe gewesen. Was der angepackt hatte, wurde zu Gold. Der hatte so viel Kohle beiseitegeschafft, dass er sich mit siebzig davon zur Ruhe hätte setzen können. Hatte er aber nicht. Ludwig hatte das, was er tat, geliebt. Er war es gewesen, der ihn damals an die Hand genommen und ihm alles an Handwerkszeug mit auf den Weg gegeben hatte, was man brauchte, um in ihrem Gewerbe Erfolg zu haben. Nach anfänglichen Fehlschlägen, aus denen er viel gelernt hatte, lief es dann auch richtig gut. Er hatte fette Jahre gehabt. Doch dann verließ ihn irgendwann das Glück. Es wurde immer schwerer, Kasse zu machen. Gespart hatte er auch nie. Es war töricht von ihm zu glauben, dass es immer so weitergehen würde wie zu den guten alten Zeiten.

      Kurzum: Wenn er nicht bald einen ordentlichen Fisch an den Haken bekäme, würden sie ihm in seiner Hamburger Einzimmerwohnung nicht nur den Strom abstellen. Nein, die Leute, mit denen er sich eingelassen und von denen er sich Geld geborgt hatte, würden ihn komplett ausknipsen.

      Fürs Erste blieb nur zu hoffen, dass sie ihn hier, wo er sich jetzt befand, nicht vermuten und auch nicht suchen würden. Hier auf der Insel zwischen den Touristen fühlte er sich sicher. Nie und nimmer kämen die Gorillas von Stalin Inkasso auf die Idee, ihn auf einer Insel zu suchen. Hinzu kam, was er überhaupt nicht vermutet hätte, dass die Arbeitsbedingungen in einem Ferienort, wie Langeoog einer war, fast optimal für jemand aus seinem Gewerbe waren. Dass er da nicht früher drauf gekommen war.

      Er lehnte sich im Strandkorb zurück und blickte dem feurigen Ball nach, der am westlichen Horizont ins Meer tauchte. Doch, ja … er liebte seinen Job noch immer. Auch wenn es zuletzt nicht so gelaufen war wie geplant, so war er doch gerne ein Heiratsschwindler. Ansonsten hatte er ja auch, wie gesagt, nichts anderes gelernt.

      Kapitel 1

      Sonntag, 20. September 2020, 23:48 Uhr

      Insel Langeoog

      Zu Hause war es doch immer noch am schönsten, ging es Kriminaloberkommissar a. D. Hans Peter Thiel durch den Kopf. Natürlich gab es eine Menge anderer hübscher Orte auf dieser Erde, wo er gerade lieber wäre. Sein Lieblingsort zum Beispiel, wenn es denn so etwas gab, war die Amalfi­küste. Die steilen Klippen, an denen die Häuser klebten wie Schwalbennester, das Meer, die Ruhe. Ja, das gefiel ihm.

      Die Insel Langeoog, auf der er sich gerade befand, war ebenfalls ein herrliches Fleckchen Erde und im Gegensatz zu Amalfi verstand er hier sogar die Einheimischen. Also zumindest im Ansatz und solange sie nicht in ihren norddeutschen Slang verfielen.

      Was Hans Peter allerdings an der beschaulichen ostfriesischen Insel störte, waren die Sorte Menschen, die keine vier Meter hinter ihm an dem Ecktisch in der „Düne 13“ hockten, laut grölten, Witze erzählten, die gar keine waren, und die über Dinge lachten, über die man einfach nicht lachen konnte. Das Alleralleralleraller­schlimmste daran war jedoch der Umstand, dass er diese Rumkugeln, wie sie sich selbst nannten, schon seit der Abfahrt am Betzdorfer Busbahnhof ertragen musste. Nun gut, das kleine beschauliche Städtchen Betzdorf am Rande des Westerwalds konnte jetzt erst einmal eine Woche verschnaufen. So lange nämlich würde der Kegelclub „Die Wäller Rumkugeln“ das beschauliche Eiland in der Nordsee mit ihrem Frohsinn und guter Laune terrorisieren. Wie hatte er sich bloß von seiner Lebensgefährtin Inge Moretti zu diesem Ausflug überreden lassen können? Ihr schien das Ganze, im Gegensatz zu ihm, auch noch zu gefallen. Sie hockte da zwischen den Rumkugeln, trank Birnenschnaps und kicherte gerade wie ein Schulmädchen über eine Schote von Erna Kolchowsky. Hans Peter vermutete, dass man die Lache der beinahe sechzigjährigen Erna bestimmt auch noch auf einer der Nachbarinseln hören konnte. Bei jedem Lacher bebte ihr mächtiger Busen dermaßen, dass man Angst haben könnte, er würde ihr jeden Moment aus dem Dirndl hüpfen. Ja, Erna trug selbst hier an der See ein Dirndl. Das passte zwar nicht wirklich auf die Insel und zur maritimen Umgebung, aber man kannte es eben nur so an ihr. Erna trug immer und überall eines ihrer Dirndl. Dabei stammte sie gebürtig noch nicht einmal aus Bayern, sondern irgendwo aus dem Kohlenpott. Zumindest hatte er so etwas mal gehört.

      Mit ein Grund für den geselligen Abend war die Tatsache, dass Erna Kolchowsky in ihren Jubeltag hineinfeierte. Morgen, also ziemlich genau in neun Minuten, würde Erna sechzig. Für die Rumkugeln ein gefundener Anlass zum Feiern. Wobei die vermutlich auch hier sitzen und trinken würden, wenn keines ihrer Mitglieder um Mitternacht Geburtstag hätte. Einen Grund zu feiern, das wusste Hans Peter nur zu gut, fand die Truppe immer.

      „Wir hätten dann bitte noch eine Runde Birne für alle“, bestellte Oberrumkugel Hubert Bitterbach die nächste Runde.

      „Jo, ich hät dann auch noch gern einen. Dat kann man hier heut ja nur im Suff ertragen“, orderte Käpt’n zur See a. D. Piet Dönges ebenfalls noch einen. Dieser alte ehemalige Kapitän der Langeooger Schifffahrt war ein Kerl nach Hans Peters Geschmack. So und nicht anders hatte er sich immer einen ostfriesischen Seemann im Ruhestand vorgestellt. Auf den ersten Blick ähnelte der Käpt’n, wie ihn hier alle lediglich nannten, einer zu heiß gewaschenen Version des Kerls aus der Fischstäbchen-Werbung. Piet Dönges wirkte nämlich irgendwie eingelaufen. Alles an dem alten Seebären war faltig und zerknautscht. Das fing bei seiner Mütze an, setzte sich im Gesicht fort und endete bei den ausgetretenen Schuhen. Hans Peter wurde in vier Wochen siebzig Jahre alt. Der Käpt’n könnte geschätzt sein Vater sein. Wobei er das nicht beschwören würde. Vielleicht lag es ja einfach nur an der salzigen Luft, dass dem die Haut so schrumpelig geworden war. Ähnlich wie bei einer salzigen, im Wind getrockneten Salami oder einer Mumie.

      Martin von Schlechtinger, ein ehemaliger Kölner Heizungsbauer, der links von Hans Peter an der Theke saß, hatte ihm erklärt, dass auch er nicht genau wüsste, wie alt der Käpt’n tatsächlich sei. Er vermute aber mal, dass er von den Hundert nicht mehr weit entfernt sein dürfte. Darüber hinaus wusste Martin von einer weiteren herausragenden Fähigkeit des Alten zu berichten. Angeblich tauchte der Käpt’n, ähnlich wie ein Geist, immer und überall da auf, wo gerade auf der Insel etwas passiere. Vermutlich habe der Seebär im Unruhestand so eine Art siebten Sinn.

      „Der taucht nämlich immer und überall auf, wo etwas los ist und wo man ihn überhaupt gerade nicht gebrauchen kann“, hatte Martin behauptet.

      Der Alte sei auch immer bestens über alles informiert. Wer den Käpt’n kannte, brauchte auf der Insel weder Zeitung noch Radio.

      Dieser Martin von Schlechtinger war, das hatte Hans Peter schon bemerkt, als er ihn vor einem halben Jahr kennenlernte, ein feiner Kerl. Ein kölsches Original, gestrandet auf einer Insel in der Nordsee. Martin arbeitete bei der Ferienhausvermittlung Hansen, mit deren


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