Sand im Dekolleté. Micha Krämer

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Sand im Dekolleté - Micha Krämer


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heute ist Grill- und Spieleabend bei Annemarie und Martin“, wusste sie. Onno nickte versonnen. Wenn Tine es sagte, würde es wohl so sein. Er selbst besaß überhaupt keinen Terminkalender. So viele Termine hatte man als Inselpolizist auch gar nicht. Dienstlich kam es eben immer, wie es gerade kam. Wenn etwas passierte, musste man eben hin. Wenn nichts passierte … dann musste man eben nirgends hin. Verbrechen, Unfälle und was sonst noch in Onnos Zuständigkeit fiel, kündigte sich im Vorfeld selten an. Viel passierte hier auch gar nicht. Das Leben als Inselpolizist auf einer autofreien Insel würde Onno daher als eher ruhig bezeichnen. Um die Organisation und Einhaltung von privaten Terminen kümmerte sich Tine. Einen Kalender brauchte sie dafür ebenfalls nicht. Nein, seine bessere Hälfte hatte all diese Dinge in ihrem hübschen Köpfchen gespeichert.

      „Annemarie hat für heute auch diesen Kriminalkommissar aus dem Westerwald und dessen Gattin eingeladen“, wusste Tine ebenfalls.

      „Aha“, antwortete Onno lediglich. Was sollte er auch sonst dazu sagen? Er kannte diese Leute bisher nur vom Hörensagen. Martin, Annemarie, Lotta und Krischan hatten die beiden an Karneval bei einem Besuch im Westerwald kennengelernt. Annemarie und auch seine Kollegin Lotta Dönges schwärmten seitdem ständig vom Kölner Rosenmontagszug, den sie mit den Westerwäldern besucht hatten. Wenn es nach Tine ging, würde diese beim nächsten Mal glatt mit den Freunden dorthin reisen, um mitzufeiern. Onno hatte da keine Lust zu. Er glaubte nicht, dass Karneval sein Ding war. All die betrunkenen, feiernden Menschen. Nein, da blieb er doch lieber auf seiner Insel.

      Das Läuten seines Diensthandys ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Er nahm das Gerät und schaute auf das Display. Es kam wahrlich nur selten vor, dass die Leitstelle in Wittmund ihn so früh morgens kontaktierte.

      „Polizeihauptmeister Onno Federsen, Dienststelle Langeoog“, meldete er sich korrekt und lauschte dann, was der Kollege ihm zu sagen hatte. Dabei klappte seine Kinnlade immer weiter herunter. Wollten die ihn gerade auf den Arm nehmen?

      „Verstanden, ich fahre sofort hin und überprüfe das“, erwiderte er, als der Kollege fertig war und legte dann auf.

      „Ist was passiert?“, wollte Tine sogleich wissen.

      „Das kannst du aber mal laut sagen, meine Liebe. Angeblich hat ein entblößter Sittenstrolch am Strand eine Frau ermordet. Eine andere hat ihn dabei überrascht und überwältigt“, wiederholte er grob, was man ihm gerade berichtet hatte und erhob sich eiligst. Sein Blick fiel auf die halb volle Tasse Tee auf dem Tisch. Schade drum, gerade jetzt, wo der süßeste Teil an die Reihe kam. Die auf dem Boden der Tasse aufgelösten Kluntjes waren doch das Beste an allem.

      Während er sich nun im Flur hastig seine Schuhe anzog, rief er die Kollegin Lotta Dönges an. Es würde bei einem solchen Einsatz nicht schaden, sie als Verstärkung dabeizuhaben.

      *

      Lotta war gerade im Begriff das Haus zu verlassen, um zur Dienststelle zu radeln, als der Anruf von Onno sie erreichte. Da sie nicht weit weg vom Strand wohnte, ließ sie das Rad aber dieses Mal kurzerhand im Schuppen stehen und sprintete zu Fuß los. Im Sand käme sie mit dem Rad eh nicht gut voran, da machte es keinen Sinn, es mitzunehmen. Sie würde es später holen.

      Angeblich hatte es einen Mord am Strand gegeben und der Täter war sogar noch vor Ort. So etwas hatte sie auch noch nicht erlebt. Ihr war klar, dass sie um einiges früher als Onno an der von der Leitstelle beschriebenen Stelle sein würde. Onno musste ja zuerst noch einmal quer durchs Dorf.

      Im Laufen zog sie bereits ihre Pistole aus dem Holster. Bei einem Mörder wusste man ja nie, was im nächsten Moment passieren würde. Sicher war sicher.

      Noch bevor sie den Strand erreichte, konnte sie es schon hören. Ein Hund bellte wie irre und eine Frau schrie, als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Das Geschrei kam von einem der hintersten Strandkörbe ganz im Osten. Lotta glaubte kaum ihren Augen zu trauen. Hoch oben auf dem Korb hockte eine Frau im rosaroten Trainingsanzug und brüllte wie am Spieß, während eine tobende Lumpi immer im Kreis herum laut kläffend um den Korb flitzte.

      „Erschießen Sie die Bestie … Sie müssen sie erschießen!“, brüllte die rosa Frau panisch.

      Lotta senkte ihre Pistole und musste nun doch einmal erst einen Moment überlegen und Luft holen.

      „Lumpi aus … bei Fuß!“, rief sie dann entschlossen.

      Lumpi gehorchte aufs Wort. Nur Sekunden später hockte die Hündin brav neben Lotta im Sand.

      „Super …Fein hast du das gemacht“, lobte sie das kluge Tier erst einmal.

      „Ich verlange, dass Sie den Köter auf der Stelle abknallen … sofort. Vorher komme ich nicht herunter“, kreischte die rosa Frau auf dem Strandkorb.

      „Ähm ja … nee … dann bleiben Sie am besten erst mal da oben … Verstärkung ist unterwegs“, beschied Lotta sie. Was sollte sie auch sonst sagen. Hunde abknallen ging gar nicht, und wenn die nicht runterkommen wollte, war das ihr Problem. Außerdem war sie sich sicher, dass Lumpi ihre guten Gründe gehabt hatte, die rosa Frau zu verbellen.

      „Moin erst mal. Mein Name ist Polizeimeisterin Lotta Dönges. Haben Sie den Notruf abgesetzt?“, stellte sie sich jetzt erst einmal vor und damit auch gleich eine erste entscheidende Frage.

      „Ja, das war ich. Ich habe diesen nackten Wilden dabei überrascht, wie er sich an einer Frau vergangen hat.“

      „Ähm ja … welchen nackten Wilden meinen Sie genau?“, erkundigte sich Lotta, da sie irgendwie gar nicht recht verstand, was die rosa Tante auf dem Strandkorb meinte. Ein Gedanke kam ihr. Vielleicht war die ballaballa oder irgendwo entlaufen? Aber warum war dann Lumpi hier? Die Hündin war doch eigentlich immer da, wo Martin war.

      „Da hinten ist es passiert“, rief die Rosafarbene und deutete in die Morgensonne. Lotta hielt sich schützend die Hand über die Augen und sah in die Richtung. Tatsächlich, in knapp fünfzig Meter Entfernung erkannte sie zwei reglose Gestalten im Sand liegen.

      „Okay, ich geh mir das mal ansehen, Sie bleiben bitte hier“, wies Lotta an und marschierte dann zu den beiden Körpern. Lumpi lief vor ihr direkt zu der einen Person hin, die Lotta beim Näherkommen eindeutig als Martin identifizierte. Immer wieder stupste die Hündin ihr Herrchen an. Lotta fiel wahrlich ein Stein vom Herzen, als sie registrierte, dass Martin sich plötzlich bewegte.

      „Auauaua“, hörte sie ihn stöhnen.

      „Mensch, Maddin … was ist denn los? Ist alles in Ordnung mit dir?“ Lotta musste zugeben, dass sie ihren Lieblingsklempner noch niemals zuvor so derangiert gesehen hatte. Wobei sie ebenfalls gestehen musste, ihn zuvor noch nie nackt erblickt zu haben. Es gab wahrlich Schöneres. Dennoch versuchte sie dies auszublenden und ging neben ihm in die Hocke.

      „Lotta, Mädchen. Jod, dat du da bist. Der rosa Elefant hat mich elektritisiert“, stammelte er wirr und deutete auf zwei blauschwarze Flecke auf seiner Brust. Sie hatte so etwas vor Jahren schon mal in ihrer ehemaligen Dienststelle, nach einem Übergriff mit einem Elektroschocker gesehen. Sollte Martin tatsächlich mit so einem Ding attackiert worden sein?

      Lotta blickte kurz zu der fremden Frau in dem blaugrünen Dirndl, die sie aus leblosen Augen anstarrte. Das Gesicht war weiß wie Kalk. Da brauchte man kein Medizinstudium, um zu sehen, dass sie tot war. Das alles hier war sehr mysteriös und sie war nun sehr gespannt zu erfahren, was vorgefallen war.

      „Martin, jetzt konzentrier dich mal und erzähl mir genau, was hier passiert ist?“, wies sie ihn an. Martin nickte, machte aber immer noch einen total verpeilten Eindruck. Lotta sah sich noch einmal um. Sie entdeckte in einiger Entfernung ein Handtuch, neben dem fein säuberlich einige Kleidungsstücke zusammengelegt waren.

      „Warte, Martin, ich hol dir erst mal deine Klamotten“, sagte sie und rannte dann los, um die Sachen zu holen. So viel Zeit musste sein. Alles andere war ja auch nicht mit anzusehen. Bei dem Strandkorb mit der rosa Frau erkannte sie nun Onno. Na, Gott sei Dank war der Kollege endlich da.

      Nachdem sie dem immer noch vollkommen neben sich stehenden Martin seine Kleidung gebracht hatte, leinte sie noch Lumpi an. Sicher


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