Sand im Dekolleté. Micha Krämer
Читать онлайн книгу.„Also dat war so: Dat Lumpi und ich, mir wollten, wie jeden Morgen, baden gehen tun. Dann haben mir dat Frau Erna da liegen gesehen … also dat Lumpi hat die zuerst gesehen und mir Bescheid gesagt. Ich bin dann zu der hin … zuerst hab ich ja gedacht, die tut schlafen. Dat die tot is, hab ich erst gesehen, als ich die mit dem Fuß angedeut und dann umgedreht han. Nä, Lotta, dat muss man sich mal vorstellen tun. An ihrem Geburtstag hat die arme Frau einer erwürgt“, schilderte er sehr theatralisch, was passiert war, während er sich anzog. Lotta dachte angestrengt nach und blickte anstatt zu Martin lieber hinaus auf die Nordsee. Sie hatte schon viel zu viel gesehen. Der Anblick von Martins nacktem Astralkörper würde sie vermutlich noch lange in ihren Albträumen verfolgen.
„Du kanntest die Frau?“, hakte sie jetzt erst einmal nach.
„Ja, natürlich. Die is doch eine von den Rumkugeln aus dem Westerwald. Mit denen waren mir, dat Frau Annemarie und ich, doch gestern abends noch aus“, berichtete er. Lotta hörte, wie die Verschlüsse der Latzhose zuklickten und drehte sich nun wieder zu ihm um. Bis auf die nackten Füße war Martin nun schon fast wieder der Alte. Wobei … nein. Irgendwie wirkte der heute stark mitgenommen.
„Und was hat jetzt die komische Tante in dem rosa Strampelanzug mit all dem zu tun?“, musste sie nun wissen. Martins Aussage, die habe ihn elektrisiert, kam ihr schon merkwürdig vor. Natürlich hatte sie schon gehört, dass manche Frauen auf Männer eine elektrisierende Wirkung hätten. Aber das konnte sie sich in diesem Fall überhaupt nicht vorstellen. Dazu diese komischen Male auf der Brust des Kölners.
„Der rosa Elefant? Dat kann ich dir sagen tun. Ich war gerade dabei, bei der Frau Erna … ähm ja … wie sät man … also, ich hatte bei der dat Herz getastet, ob dat noch geht. Plötzlich brüllt mich die bekloppte Alte an, ich soll aufhören. Ich glaub, die hat echt gedacht, ich hätte die Frau Erna erwürgt. Bevor ich mich vertu, hat die dann plötzlich so ein Elektrodingens in der Hand und gibt mir damit einen Stromschlag“, ereiferte Martin sich so dermaßen, dass Lumpi wieder zu bellen begann.
„Du meinst, die hatte ein Taser?“, glaubte Lotta nun zu verstehen.
Martin blickte sie verständnislos an.
„Wat für ein Teedings … Nein … ich meine so einen Elektroschocker. So, wie die den immer in den Krimis zeigen. Die brutzeln doch immer vorne so, wenn man da draufdrücken tut“, erklärte er, lief dann suchend um sie herum und bückte sich schließlich nach einem Gegenstand im Sand.
„Na, wer sagt dat dann … da is er ja. Den hat die olle Schrulle wohl verloren, als dat Lumpi mir geholfen hat. Die hätte mich ja sonst bestimmt auch noch umgebracht“, meinte Martin, hielt ihr das Teil hin und tätschelte dann den Hund.
Es war, wie Lotta bereits vermutet hatte, ein sogenannter Taser. Sie nahm das Teil und betrachtete es. Einige dieser Schocker durfte man in Deutschland tatsächlich führen. Erkennen konnte man das an einem Prüfzeichen. Das Gerät, das sie gerade in Händen hielt, besaß dieses Zeichen nicht. Außerdem würde ein zugelassenes Gerät bestimmt nicht so schwere Male hervorrufen, wie Martin sie auf der Brust hatte. Da war sie jetzt doch mal gespannt, was die rosa Tante dazu zu sagen hatte.
*
Onno war sich mittlerweile ziemlich sicher, dass Helmine Heckholz, die Frau in Rosa, nicht mehr alle Latten am Zaun hatte. Was die für ein Gezeter machte wegen ihrer zerfetzten Turnhose und den vier kleinen Löchlein in ihrer Wade – es war kaum auszuhalten. Mittlerweile bereute er sogar, ihr von dem Strandkorb heruntergeholfen zu haben.
„Gute Frau, jetzt beruhigen Sie sich erst einmal“, versuchte er einen weiteren Vorstoß.
„Nein, ich möchte mich nicht beruhigen. Ich möchte, dass dieser tätliche Angriff Konsequenzen hat und das Tier eingeschläfert wird“, blaffte sie zurück.
Noch bevor Onno etwas erwidern konnte, trat Lotta zu ihnen.
„Gehört dieses Gerät Ihnen?“, fragte die Kollegin die Furie.
„Ja, das ist meiner. Den hat mir mein Mann geschenkt. Den habe ich immer dabei, wenn ich alleine unterwegs bin. Als Frau ist man ja in diesem Land seines Lebens nicht mehr sicher“, antwortete sie schnippisch.
„Und damit haben Sie Herrn von Schlechtinger einen Stromschlag versetzt, sodass dieser gestürzt ist und das Bewusstsein verloren hat?“, forschte Lotta weiter und Onno begriff nun endlich, was vorgefallen war. Er hatte sich schon gewundert, dass Lumpi, dieses brave Tier, einfach so einen Menschen angefallen haben sollte.
„Wenn Sie dieses nackte Ungeheuer meinen …ja, den habe ich unschädlich gemacht“, war die rosa Frau nun tatsächlich auch noch stolz auf ihre Tat.
Onno mochte Lumpi, dass die Hündin die Touristin gebissen und ihr damit die Hose ruiniert hatte, konnte er nun sehr gut nachvollziehen. Wäre er ein Hund, hätte er das Gleiche getan. Immerhin hätte diese dumme Person seinen eh schon herzschwachen Freund Martin mit dem Ding umbringen können. Solche Fälle hatte es schon gegeben. Diese Elektroschocker waren lebensgefährlich.
„Sie möchten also Konsequenzen? Die können Sie haben. Ich verhafte Sie hiermit wegen des dringenden Tatverdachts der schweren Körperverletzung und des versuchten Mordes an Herrn von Schlechtinger. Dass der benutzte Elektroschocker Ihnen gehört, und dass Sie ihn gegen Herrn von Schlechtinger eingesetzt haben, haben Sie bereits zugegeben. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, dass alles, was Sie ab nun sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden kann“, klärte Lotta sie nun auf.
Frau Heckholz starrte die Kollegin mit offenem Mund an.
„Aber, ich habe mich doch nur verteidigt. Dieser Nackte wollte mich umbringen.“
„Nein, das wollte er nicht. Herr von Schlechtinger hat lediglich versucht, bei dem mittlerweile verstorbenen Opfer Erste Hilfe zu leisten, als Sie ihn attackiert haben“, schimpfte Lotta, legte der total perplexen rosa Dame Handschellen an und kettete sie damit an den Griff des Strandkorbes.
„Hast du schon den Arzt und die Kripo verständigt?“, erkundigte sich Lotta nun bei ihm und zog ihn ein Stück abseits. Onno war beeindruckt, wie sachlich und professionell die kleine Kollegin vorging, während die dingfest gemachte Frau Heckholz Gift und Galle spie.
„Nein, ich hatte ja noch kein Bild von der Lage“, gab er zu und setzte sich in Bewegung, um dies nachzuholen. Auf dem Weg zu der toten Frau klärte Lotta ihn über das Wenige, was sie wusste, auf. Während Onno dann die Kripo verständigte, rief Lotta bei Doktor Jan Martin Bechersheim an. Ein Arzt konnte wahrlich nicht schaden. Sowohl bei den Überlebenden als auch bei der Toten. Wobei er bei der Verstorbenen außer einen Totenschein auszustellen nichts mehr machen könnte. Aber auch das war wichtig.
„Und was machen wir jetzt mit Frau Heckholz?“, erkundigte er sich anschließend bei der Kollegin.
Lotta zuckte mit den Schultern.
„Um die kümmern wir uns später … wenn sie sich beruhigt hat.“
„Und wat is mit mir und dem Lumpi“, mischte Martin sich ein. Onno fand, dass der Freund irgendwie arg angeschlagen schien.
„Du setzt dich jetzt mal besser da vorne hin und wartest, bis der Doktor dich untersucht hat. So lass ich dich nicht gehen, mein Lieber. Mit Stromschlägen ist nicht zu spaßen“, belehrte er den Freund.
Zu seiner Verwunderung nickte Martin und schlurfte durch den Sand in Richtung des Holzbohlenwegs, wo er sich hinsetzte und seine Pfeife aus der Latzhose kramte. Heieiei … den guten Martin hatte es tatsächlich heftig aus der Bahn geworfen. Doch zum Glück lebte er noch. So manch einem hatten diese Teufelsdinger auch schon das Leben gekostet.
*
Annemarie Hansen saß frisch geduscht am Frühstückstisch und blickte auf die Wanduhr über der Küchentüre. Wo Martin bloß blieb? Normalerweise ging sie jeden Morgen zum Joggen an den Strand. Heute war allerdings nicht normal. Nein, sie musste zugeben, dass sie es letzte Nacht mit dem Alkohol doch ein wenig übertrieben hatte. Eigentlich trank sie nur selten und dann auch nur ein oder zwei Gläschen. Doch gestern am Abend hatte sie sich von den Besuchern