Sand im Dekolleté. Micha Krämer

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Sand im Dekolleté - Micha Krämer


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      Montag, 21. September 2020, 8:05 Uhr

      Hotel Klabautermann, Insel Langeoog

      Hans Peter Thiel musste zugeben, dass die Übernachtung in einem Hotel mit Frühstücksbüfett schon etwas für sich hatte. Es war ein Service, den er sonst eher selten genoss, da er und Inge für gewöhnlich nicht in Hotels nächtigten. Nein, ihnen beiden war es am liebsten, wenn sie mit ihren eigenen vier Wänden verreisten. Ein Luxus auf Rädern, der ihn allerdings auch ein Vermögen gekostet hatte. Halb Europa hatten er und Inge bisher mit ihrem Reisemobil erkundet. Dennoch empfand er es heute als sehr angenehm, dass es nicht an seiner Inge hängen blieb, das Frühstück zu bereiten. Wobei die es heute Morgen tatsächlich eh nicht fertiggebracht hätte, so elend wie es ihr ging.

      Obwohl er sich geschworen hatte, kein Mitleid mit ihr zu haben, tat sie ihm jetzt doch leid, wie sie da vorhin mit dem Mülleimer auf dem Schoß im Bad gesessen hatte. Ganz grün war sie im Gesicht gewesen. Sein Mitleid zeigen würde er ihr nicht. Er hatte sie mehrfach gewarnt, es doch langsamer anzugehen. Gerade dieser Vater Heins Birne war tückisch. Das Zeug schmeckte nämlich bei Weitem nicht so hochprozentig, wie es war. Keine Frage, der Stoff war wirklich gut. Hans Peter trank gelegentlich auch schon mal ein Gläschen davon. Der intensive Geschmack nach Frucht ließ die über 40 Prozent nur erahnen, und bevor man es sich versah, hatte man einen an der Lampe, wie er gerne zu sagen pflegte.

      Inge hatte nur gelacht, seine Warnung in den Wind geschlagen und einen Schnaps nach dem anderen in sich hineingekippt, als sei das Zeug nur Limonade. Jetzt musste sie eben die Konsequenzen tragen.

      „Moin, Hans Peter“, begrüßte sein alter Freund Heribert Wolf ihn.

      „Guten Morgen, Heri. Ich hoffe, du hattest eine gute Nacht“, erkundigte er sich.

      „Ja, alles gut. Nur ein bisschen kurz. Die erste Nacht im fremden Hotelbett ist eben immer ein wenig ungewohnt“, erwiderte der und deutete dann auf einen der drei freien Plätze an seinem Tisch.

      „Ist da schon besetzt?“

      „Nein, du hast noch freie Platzwahl. Inge kommt vermutlich erst später zum Frühstück … wenn überhaupt“, beschied er den ehemaligen Schulfreund.

      „Na, da scheint deine Frau heute Morgen nicht die Einzige zu sein. Die haben ja fast alle ein wenig über die Stränge geschlagen“, fand Heribert und sah sich grinsend um. Tatsächlich war noch kein einziges Mitglied der Reisegesellschaft anwesend. Außer natürlich ihr Reiseleiter Ulli Schneider vom Reisebüro Seezeit. Der war aber gestern am Abend bei dem Gelage in der Gaststätte auch nicht dabei gewesen, sondern war noch einmal brav das Programm für den heutigen Tag durchgegangen. Zumindest hatte er das so behauptet, als die Rumkugeln ihn ansprachen, ob er abends nicht mitkommen wolle.

      Hans Peter fand einen Reiseführer bei einer solchen Vereinsfahrt nicht schlecht. Einen, der, zumindest grob, sagte, wo es lang ging. So musste man selbst nicht schauen, was wann wo los war und lief auch nicht Gefahr, dass diese oberschlaue Oberrumkugel Hubert Bitterbach das Zepter übernahm. Hans Peter konnte Hubert nicht leiden. Wobei er, wenn er recht überlegte, eigentlich keinen aus der Truppe leiden konnte. Außer natürlich seine Inge und Heribert Wolf.

      Für den Nachmittag, das hatte Ulli ihm heute Morgen schon gesteckt, war eine Inselführung mit der Pferdekutsche geplant. Hans Peter mochte Stadtrundfahrten. Wenn er mit Inge in irgendeine der Metropolen Europas reiste, war es immer das Erste, was sie unternahmen. Letztens waren sie sogar in Trier mit einer solchen Tour mitgefahren. Im Omnibus mit einem Studenten als Führer. Sehr zu empfehlen. Diese Reiseführer wussten immer sehr interessante Dinge zu berichten, die man, wenn man auf eigene Faust loszog, gar nicht erfahren würde. In Trier war es hauptsächlich um das Wirken der alten Römer gegangen. Höchst interessant das Ganze. Dennoch hatte er keine Vorstellung, was ihn heute erwarten könnte. Eine Rundfahrt mit einem Pferdewagen war selbst für ihn Neuland. Er war gespannt, was der Kutscher ihnen über mehrere Stunden erzählen wollte. Langeoog war ja nun einmal lediglich ein Dorf. Da konnte es doch gar nicht so viel darüber zu sagen geben. Römer hatte es hier vermutlich auch keine gegeben.

      Am Abend würden Inge und er sich dann aus der Reisegesellschaft ausklinken. Annemarie Hansen und ihr Lebensgefährte Martin hatten sie beide zu einem Grillfest eingeladen. Ein weiteres Pärchen, der Mann war wohl der hiesige Inselpolizist, würde ebenfalls zugegen sein. Auch darauf freute sich Hans Peter. Zum einen, weil diese Annemarie und ihr Martin im Gegensatz zu den Rumkugeln wirklich sehr angenehme Menschen waren, und zum anderen, weil er Gespräche mit Kollegen immer schon interessant gefunden hatte. Nun gut, Hans Peter war nicht mehr im Dienst. Aber dennoch war er erpicht zu erfahren, was das Leben als Inselpolizist so mit sich brachte. Sehr aufregend stellte er sich dies nicht vor. Dennoch interessierten ihn die Gründe, warum man als Polizist solch eine Stelle annahm.

      Heribert Wolf legte sein Mobiltelefon und den Zimmerschlüssel auf den Tisch und ging dann erst einmal zum Büfett. Hans Peter vertiefte sich derweil in den Inselkurier, den er an der Rezeption mitgenommen hatte. Die Ostfriesen kamen wahrlich auf sonderbare Ideen, wie er nach dem Lesen eines Berichtes über das Dünensingen feststellen musste. Die trafen sich tatsächlich einmal in der Woche irgendwo im Nirgendwo der Dünenlandschaft und sangen gemeinsam Lieder. Wobei die Idee, wenn er so darüber nachdachte, gar nicht so übel war. Vereine, wie die Wäller Rumkugeln, trafen sich ja ebenfalls einmal die Woche angeblich zum Kegeln und betranken sich dann. Nein, dann doch lieber singen in den Dünen. Wobei das für ihn auch nicht wirklich eine Alternative wäre, da er noch nie singen konnte. So etwas konnte man auch nicht lernen. Zum Singen brauchte man Talent, von dem er bestimmt keines besaß. Schon in der Schule war seine Lehrerin nicht böse darum gewesen, wenn er im Klassenchor einfach nur den Mund auf und zu gemacht und so getan hatte, als würde er mitträllern.

      „Am Strand haben deine ehemaligen Kollegen abgesperrt. Irgendetwas muss da passiert sein. Sogar ein Hubschrauber ist gelandet“, berichtete Heribert, als er vom Büfett zurückkehrte und sah sich suchend auf dem Tisch um.

      „Ein Hubschrauber? Am Strand? Woher weißt du das denn jetzt?“, erkundigte sich Hans Peter und legte die Zeitung beiseite.

      „Ich konnte ja nicht mehr schlafen und war schon eine Runde spazieren. Glaube, da lag eine Person unter einer Plane … könnte aber auch ein Tier gewesen sein. Viel konnte man nicht erkennen. Die haben das nämlich ziemlich weiträumig abgesperrt“, wusste Heribert und blickte sich nun im Raum um.

      „Suchst du was?“, erkundigte Hans Peter sich.

      „Sag mal … haben die hier kein Maggi?“, antwortete der alte Schulfreund und setzte sich sichtlich enttäuscht hin.

      „Wozu zum Teufel brauchst du Maggi?“

      „Na, für mein Frühstücksei. Gekochtes Ei ohne Maggi geht eigentlich gar nicht“, fand er. Hans Peter verzog es alleine bei dem Gedanken an die braune Würze den Magen. Sein Vater hatte das Zeugs auch immer und überall drübergeschüttet. Sein Ding war das nicht. Dennoch sah auch er sich nun suchend um. Sein Blick blieb an einem Herrn in den Fünfzigern im schwarzen Anzug hängen. In seinem ebenfalls schwarzen Hemd steckte vorne ein weißer Kragen, ein Kollar, wie ihn Priester trugen. Er fragte sich, ob der hier auch Urlaub machte oder im Namen des Herrn auf der Insel weilte?

      Der Pfarrer hatte Hans Peters Blick nun dummerweise bemerkt und nickte ihm freundlich zu. Er erwiderte den Gruß und fühlte sich dabei irgendwie ertappt. Was starrte er den Mann auch so an. Natürlich durfte auch ein Pastor mal Urlaub machen. Und das ohne begafft zu werden.

      „Na ja, dann muss es eben wohl ohne gehen“, hatte Heribert die Suche nach der Würze nun scheinbar enttäuscht aufgegeben.

      „Was hältst du davon, wenn wir beide gleich nach dem Frühstück noch mal einen Spaziergang zum Strand machen?“, schlug Hans Peter vor.

      „Warum? Da war ich doch eben schon … ach so … du bist neugierig, was die Polizei da treibt“, verstand der Freund und grinste.

      „Nein … nur mal so. Ein bisschen die Beine vertreten und Seeluft schnuppern. Das, was meine ehemaligen Kollegen treiben, interessiert mich nicht mehr. Ich kann ganz gut ohne Mord und Totschlag“, log er,


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