Sand im Dekolleté. Micha Krämer
Читать онлайн книгу.Willi Bogner wissen, nachdem Lotta und Onno ihm den Sachverhalt erklärt hatten.
„Ähm … ja … keine Ahnung. Eben hat er noch da gesessen“, entgegnete Lotta und deutete auf die Stelle, wo sie vor wenigen Minuten noch Martin von Schlechtinger, Lumpi und Doktor Bechersheim gesehen hatte. Suchend sah sie sich um und entdeckte den Doktor, der sich gerade die vier kleinen blauroten Pünktchen am Bein der rosa Tante ansah. Martin und den Hund konnte sie allerdings nirgends entdecken.
„Kann sein, dass der schon gegangen ist“, überlegte Onno laut.
„Ja, scheint so“, gab nun auch Lotta zu. Sie fand es unmöglich, dass Martin einfach so abgehauen war. So etwas tat man nicht als Zeuge bei einer Mordermittlung.
„Na ja, man kennt sich ja. Ich kann ihn ja gleich mal anrufen und mich mit ihm auf ein Fischbrötchen verabreden“, meinte Willi gelassen und lächelte sogar ein wenig. Vermutlich wegen der Vorfreude auf das Fischbrötchen. Lotta wusste nämlich, dass Willi total auf Matjesbrötchen mit extra viel Zwiebeln stand. Ihr Ding waren die allerdings nicht. Besonders, wenn andere sie aßen und sich anschließend in ihrer Nähe aufhielten. Letztens, als sie beim Zahnarzt gewesen war, hatte der wohl vorher ein Mettbrötchen verputzt, was mindestens genauso schlimm war. Da half auch der Mundschutz des Doktors nicht. Ihr war dermaßen schlecht geworden, als der sie ansprach. Sie war dann einfach aufgestanden und hatte die Behandlung für beendet erklärt. Nee, so was ging gar nicht.
„Was wissen wir denn über die Identität der Toten?“, wollte Willi nun wissen.
„Bisher wissen wir nur, dass sie Erna mit Vornamen heißt und wohl heute Geburtstag hat … hatte“, berichtete Lotta, was sie von Martin wusste.
„Keine Papiere … ein Ausweis … vielleicht eine Handtasche?“, fragte Willi Bogner.
„Nein. Negativ. Sie hat nichts dabei. Allerdings wissen wir, in welchem Hotel die Gruppe nächtigt, mit der sie die Insel besucht“, antwortete Onno. Willi nickte nachdenklich.
„Und was ist mit der Dame, um die der Arzt sich da kümmert?“, wollte der Kriminalhauptkommissar nun wissen.
Lotta erklärte ihm, was vorgefallen war und zeigte ihm den beschlagnahmten Elektroschocker.
„Das ist ja wohl das Letzte. Maddin versucht die Dame zu reanimieren und diese andere hindert ihn daran. Das is ja … ja fast Behinderung von Rettungsmaßnahmen … wenn nicht gar Beihilfe zum … was auch immer. Was hat denn der Arzt gesagt, wie lange die Verstorbene bereits tot ist?“, ereiferte sich Willi.
„Doktor Bechersheim hat gemeint, er müsse sich erst um die Lebenden kümmern, bevor er sich die Tote ansieht“, gab Onno das wieder, was der junge Arzt ihnen vorhin bei seinem Eintreffen erklärt hatte und was Lotta sehr plausibel erschien. Dieser Erna konnte auch ein Halbgott in Weiß nicht mehr helfen. Tote waren nun mal tot und liefen nicht mehr weg. Anders als Martin von Schlechtinger, der sich nach der Untersuchung einfach verdünnisiert hatte.
*
Als Gina Marie Bechersheim um acht Uhr die Ferienhausvermittlung Hansen aufsperrte, warteten schon die ersten beiden Gäste vor der Tür. Obwohl sie die Arbeit in Annemaries Firma, in der sie seit etwas über einem Jahr tätig war, sehr mochte, gingen ihr die Kunden schon mal mächtig auf den Keks. Es verging kein Tag, an dem nicht wenigstens einer irgendetwas zu meckern hatte. Konnten die nicht einfach mal ihren Urlaub genießen und Fünfe gerade sein lassen? Nein, scheinbar nicht. Es gab Leute, die hatten an allem etwas auszusetzen.
„So lange dieser verdammte Wasserhahn tropft, kann ich mich nicht in Ruhe entspannen. Ich verlange, dass Sie das sofort beheben lassen. Dieses Getropfe macht einen ja schier wahnsinnig“, schimpfte der dicke Mann mit der Halbglatze, der dem Dialekt nach eindeutig aus dem Süden der Republik stammte.
„Natürlich, Herr Huber, unser Klempnermeister Herr von Schlechtinger wird sich Ihrem Wasserhahn zeitnah annehmen“, versicherte sie wie immer freundlich und obwohl es ihr ziemlich egal war, ob der Wasserhahn im Bad des Ferienhauses tropfte oder nicht. Draußen schien die Sonne. Konnte der Mann nicht einfach an den Strand gehen und sich entspannen wie andere?
Gina Marie notierte die Beschwerde und legte sie unter den Stapel mit den andern Aufträgen in Martins Fach. Der würde diese von oben nach unten nach und nach abarbeiten. Und das „zeitnah“. Sie mochte dieses Wort und gebrauchte es im Büro gefühlt bei jedem Gespräch mindestens einmal. Es sagte so herrlich wenig aus, suggerierte dem anderen aber, dass es vermutlich nicht mehr lang dauern würde, bis man sich um dessen Anliegen kümmerte. Mit Aussagen wie „gleich“, „in einer Stunde“ oder „morgen“ konnte man sich hingegen schnell mal eine Falle stellen. Nein … dann doch lieber zeitnah.
Wo Martin und Annemarie heute wohl steckten? Ihre Chefin und ihr Papa waren sonst immer die Ersten morgens in der Firma. Das sah ihnen gar nicht ähnlich, sich zu verspäten.
Nachdem Gina Marie auch die Beschwerde des zweiten Gastes aufgenommen hatte – die Matratze seiner Frau sei viel zu weich – machte sie sich daran, Kaffee zu kochen und Wasser für Tee aufzusetzen.
Da Annemarie und Martin auch noch nicht aufgetaucht waren, als der Kaffee bereits durchgelaufen war, begann sie langsam, sich Sorgen zu machen. Entschlossen griff sie zum Telefon, wählte bereits Martins Nummer, um nachzufragen, ob alles in Ordnung sei, als die Eingangstüre aufschwang und ein Herr mittleren Alters mit einem Rucksack auf dem Rücken das Büro betrat.
„Einen wunderschönen guten Morgen, gnädige Frau“, trällerte er so gut gelaunt, dass Gina sofort hellhörig wurde. Natürlich hatte sie nichts gegen Menschen, die bereits am Morgen Frohsinn versprühten, doch irgendetwas an dem Kerl erschien ihr seltsam. Das Ganze wirkte so aufgesetzt.
„Moin moin, Herr …?“, erwiderte sie friesisch echt und wartete, dass der Mann sich vorstellte.
„Friedhelm von Gerau, gnädige Frau“, meinte der immer noch sehr schmalzig lächelnd und hielt ihr die Hand hin.
Gina Marie ignorierte die Geste. Sie hatte es noch nie gemocht, Wildfremden die Hand zu geben, da man nie wusste, wo diese Hand vorher alles so gewesen war. Nein, bei so etwas war sie stur. Außerdem musste sie gerade jetzt in der Schwangerschaft besonders auf sich und ihre Gesundheit achten. Ihr Mann Jan Martin sah dies als Arzt ähnlich. Der schüttelte auch nicht mehr jedem die Pfote.
„Was kann ich denn für Sie tun, Herr von Gerau?“, erkundigte sie sich derweil freundlich.
„Sie könnten mir für die nächsten zwei Wochen ein Apartment vermieten, Frau Hansen“, kam er direkt auf den Punkt.
Jetzt musste Gina ebenfalls lächeln.
„Sorry, Herr von Gerau. Erstens bin ich nicht die Frau Hansen und zweitens sind wir leider vollkommen ausgebucht“, behauptete sie jetzt einfach mal ohne nachzusehen.
Sofort wich das Grinsen aus dem Gesicht des Mannes.
„Und wenn Sie noch mal genau nachschauen … es würde mir auch nichts ausmachen, wenn ich das Apartment zwischendurch mal wechseln müsste“, ließ er nicht locker.
Gina Marie schüttelte den Kopf.
„Nein, sorry. Da muss ich nicht nachschauen. Wir haben noch immer Saison. Es ist alles belegt“, log sie nun nicht wirklich. Klar, sie hätte schon noch etwas drehen können. Es gab bei der Menge an Objekten, die sie betreuten, tatsächlich immer das eine oder andere, was gerade leer stand, weil Urlauber später anreisten oder früher nach Hause mussten. Allerdings mussten die Wohnungen dann ja auch immer wieder nach jedem Wechsel gereinigt werden. Ein Mordsaufwand für nur ein oder zwei Tage. Und für länger hatten sie garantiert nichts frei. Da brauchte sie gar nicht nachzuschauen. Noch dazu, wo ihr Bauch ihr sagte, dass mit dem Typen irgendetwas nicht ganz koscher war.
„Sie wollen nicht. Habe ich Ihnen was getan? Gefällt Ihnen meine Nase nicht?“, war der plötzlich nun auch gar nicht mehr so freundlich.
„Nein, Herr von Gerau. Mit Ihrer Nase hat das nichts zu tun. Es ist eben nun mal nichts frei. Die meisten unserer Gäste buchen bereits ein Jahr im Voraus. Urlaub auf den deutschen Inseln ist derzeit