Das letzte Mahl. Harald Schneider
Читать онлайн книгу.mich. KPD ging an seinem Wagen vorbei und steuerte auf eine Stretch-Limousine zu, die mitten auf dem Hof hinter unserer Dienststelle parkte. Verblüfft registrierte ich die Aufschrift an der hinteren Tür sowie am Heckfenster: »Hier fährt Klaus P. Diefenbach, der gute Dienststellenleiter der Schifferstadter Kriminalinspektion.«
Pure Angst überkam mich. Wenn KPD dieses Ungetüm fuhr, würde man aufgrund der vielen Unfälle Katastrophenalarm im Kreisgebiet ausrufen müssen. Meine panische Reaktion erwies sich als unbegründet. Ein livrierter Chauffeur stieg aus und kam meinem Chef entgegen, der in der Nähe des Hecks stehengeblieben war. Der Chauffeur öffnete die hinterste Tür der Stretch-Limousine und gab KPD mit einer geschmeidigen Geste zu verstehen, dass er einsteigen könne. Ich beobachtete die Szene kopfschüttelnd. KPD war in meinen Augen schon immer ein eitler Spinner, der übertriebenen Wert auf Etikette legte. Mit dieser Aktion übertraf er alles bisher Dagewesene. Um mir die Peinlichkeit einer vom Chauffeur aufgehaltenen Tür zu ersparen, öffnete ich auf gleicher Höhe des Wagens die Tür auf der anderen Seite. Ich musste zweimal hinschauen, bis ich den exorbitant großen Innenraum überblicken konnte. Luxus, wohin mein Auge traf. Stand neben dem 75-Zoll-Fernseher tatsächlich eine Badewanne? Mehr Zeit, darüber nachzudenken, hatte ich nicht: KPD fuhr mich böse an.
»Was wollen Sie, Palzki? Warum haben Sie die Tür geöffnet?« Die Beinfreiheit vor dem Einzelsessel meines Chefs war gigantisch.
»Einsteigen?«, fragte ich naiv. »Oder darf ich nun doch zu Hause bleiben?«
KPD zog eine Schnute. »Natürlich kommen Sie mit, Palzki. Ihr Platz ist vorne. Beeilen Sie sich jetzt endlich.«
Froh, nicht neben meinem Chef sitzen und gezwungenen Small Talk führen zu müssen, ging ich nach vorne und stieg auf der Beifahrerseite ein. Hier war es nicht ganz so komfortabel wie hinten, an Platz mangelte es dennoch nicht. »Tach, mein Name ist Reiner Palzki.«
Der Chauffeur sagte mir seinen Namen, der so kompliziert klang, dass ich ihn sofort wieder aus meinem Kurzzeitgedächtnis strich.
Ein Motorengeräusch war nicht zu hören. Lautlos rollten wir über die Straße. Die Inneneinrichtung ließ mir keine Ruhe. »Sagen Sie mal, Herr, äh, habe ich da hinten wirklich eine Badewanne gesehen? Ist das nicht zu schwer?«
Der Fahrer grinste spitzbübisch. »Gewichtsmäßig ist der Wagen bis 7,5 Tonnen zugelassen«, erklärte er mir. »Bis zu einem Dutzend Fahrgäste kann ich befördern. Oft sind es ziemliche Schwergewichte, die deutlich mehr wiegen als die statistischen 75 Kilogramm.« Er blickte kurz zu mir rüber. »Die Badewanne ist leer, außerdem gehört sie nicht zur Ausstattung der Limousine. Ich renoviere zu Hause zurzeit mein Bad. Da habe ich die Gelegenheit genutzt, vorhin am Baumarkt vorbeizufahren und die Wanne zu kaufen. Nachher kommt die natürlich wieder raus.«
»Dann hoffen wir mal, dass mein Chef unterwegs nicht baden möchte.«
Der Chauffeur schmunzelte. »Es sind ja nur ein paar Kilometer.«
»Wo geht’s eigentlich hin?«
»Mutterstadt«, antwortete der Fahrer.
»Für die kurze Strecke diesen Aufwand?« Mutterstadt lag nur wenige Kilometer nördlich von Schifferstadt. Mehr als die Hälfte der Strecke hatten wir bereits hinter uns.
Er hob die Schultern kurz hoch. »Das kann mir egal sein. Herr Diefenbach hat mich und den Wagen für einen halben Tag gebucht inklusive aller Kilometer. Während der Wartezeit kann ich mir den Fernseher anmachen. So leicht wie heute verdiene ich selten mein Geld.«
Ich zog meine Schlussfolgerungen. »Wir fahren nach Mutterstadt, und später fahren Sie uns wieder zurück?«
Er nickte. »So wurde es vertraglich vereinbart.«
»Und wo geht’s genau hin?«
»Hat Ihnen das Herr Diefenbach nicht gesagt? Wir sind gleich da.«
Kurz darauf fuhren wir durch das Zentrum von Mutterstadt. Ohne zu rangieren konnte der Chauffeur an der großen Kreuzung im Ortszentrum nach Westen in Richtung Dannstadt auf die Neustadter Straße abbiegen. Ich hatte keine Ahnung, wohin die kurze Reise gehen könnte. Keine Minute später ließen wir die letzten Häuser des Orts hinter uns. »Fahren Sie nicht zu weit? Hier endet Mutterstadt.«
»Nur die Bebauung, Herr Palzki. Wie gesagt, wir sind gleich am Ziel.«
Mir kam die Sache inzwischen spanisch vor. Links und rechts von uns gab es nur Felder. Die Vorderpfalz wurde gerne der Gemüsegarten Deutschlands genannt, was aufgrund der nicht enden wollenden Äcker und Felder nachvollziehbar war. Dabei wusste ich nicht einmal, ob es einen Unterschied zwischen Feld und Acker gab. Ein Gemüsegarten entsprach sowieso nicht meiner Interessenslage. Die Landstraße führte über die A61. Auf der anderen Seite der Brücke begann Dannstadt-Schauernheim.
Unvermittelt bog der Chauffeur rechts ab auf ein Firmengelände mit übergroßen Hallen. Erst als ich das Firmenschild entziffern konnte, wusste ich, wo wir waren: im Pfalzmarkt. Ich kannte zwar ein paar Eckdaten des Unternehmens, das als Genossenschaft jedes Jahr unendlich viel Obst und Gemüse produzierte, doch vor Ort gewesen war ich noch nie. Als Schifferstadter kam man ohne Grund eigentlich nur sehr selten bis nie auf den Gedanken, die Landstraße zwischen Dannstadt und Mutterstadt zu befahren.
Der Wagen hielt auf dem gut gefüllten Firmenparkplatz. »Wir sind am Ziel«, sagte der Chauffeur. In dem Moment polterte KPDs Stimme aus dem Lautsprecher.
»Bitte parken Sie etwas prominenter direkt am Zufahrtsweg. An der Stelle, wo wir im Moment halten, können uns die Gäste nicht sehen.«
Während ich darüber nachdachte, welche Gäste er meinte und warum diese den Wagen sehen sollten, antwortete der Fahrer: »An den Zufahrtswegen gilt überall striktes Halteverbot.«
»Das ist für mich irrelevant«, plusterte sich KPD stimmlich auf. »Ich als VIP habe selbstredend eine Ausnahmegenehmigung. Fahren Sie direkt vor bis zum Eingang.«
Der Chauffeur seufzte und folgte der Aufforderung. Nachdem er die Lautsprecheranlage abgeschaltet hatte, meinte er mit einem Seitenblick zu mir: »Auch wenn der heutige Auftrag für mich leicht verdientes Geld ist, Herr Diefenbach ist einer meiner bisher schwierigsten Kunden. Nein, ich muss mich verbessern, er ist definitiv der schwierigste Kunde.«
»Ich weiß«, bestätigte ich seine treffende Einschätzung. »Steigt hier ein Fest?« Längst waren mir die vielen anderen Wagen aufgefallen und jede Menge Personen, die in festlicher Garderobe in Richtung eines der Hallenkomplexe liefen.
»Der Neubau wird heute eingeweiht. Wussten Sie das nicht?«
Ich hatte keine Ahnung. Was ich wusste, war, dass sich der Pfalzmarkt Mitte der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus der Fusion von mehreren Vorläufergesellschaften gebildet hatte. Einer dieser Vorläufer befand sich früher in Schifferstadt schräg gegenüber dem Hauptbahnhof. Von meiner Grundschulzeit sind mir glücklicherweise nicht viele Erinnerungen geblieben, doch an den Wandertag zur Versteigerungshalle des Großmarkts konnte ich mich erinnern. Wir Knirpse saßen auf einer steilen Tribüne und schauten fasziniert auf die Versteigerungsuhr, die rückwärtslief. Wer beim höchsten Preis einen Knopf drückte, dem gehörte die Ware.
Der Chauffeur fluchte. »Ich werde direkt neben der Hallenwand parken, dort stört der Wagen hoffentlich nicht zu sehr. Macht es Ihnen etwas aus, über die Fahrerseite auszusteigen?«
Angesicht der blockierten Beifahrertür blieb mir nichts anderes übrig. Die körperliche Anstrengung hielt sich in Grenzen. Währenddessen befreite der Chauffeur KPD, der abwartete, bis ihm die Tür geöffnet wurde.
»Da ist ja das neue Prunkstück«, sagte er in Richtung Hallenwand, die an dieser Stelle wie eine gewöhnliche Hallenwand aussah. Dann blickte er mich scharf an. »Palzki, Sie bleiben, wie vereinbart, stets einige Schritte hinter mir. Falls Ihre Anwesenheit benötigt wird, gebe ich Ihnen ein Zeichen. Und versuchen Sie, mich nicht allzu sehr zu blamieren. Am besten reden Sie nur das Allernötigste.« KPD stiefelte in Richtung Eingang.
»Darf ich bitte Ihre Einladung sehen?«, fragte eine junge Frau am Eingang.
KPD