Das letzte Mahl. Harald Schneider
Читать онлайн книгу.weiß nicht, ob es Champagner gibt«, meinte die Landwirtin skeptisch. »Eigentlich mag ich keinen Alkohol.«
»Ach was«, konterte KPD und schob Heidelinde Rustik mit sanfter Gewalt zum Durchgang zur nächsten Halle. Ich nutzte die Gelegenheit, meine leere Flasche gegen ein volles Exemplar einzutauschen. Danach folgte ich den beiden, die gerade durch die nächste Kühlhalle liefen. Immerhin wurde dadurch mein Bier nicht warm.
»Da kann man sich ja verlaufen«, beschwerte sich KPD missmutig. »Gehen wir nach draußen, in den Hallen ist es mir zu kühl.« Den Ausgang fanden die beiden schnell, ich folgte ihnen ins Freie. Wir befanden uns auf der Rückseite des Neubaus. Nicht weit entfernt donnerte der Verkehr der A61 an uns vorbei. Auf dem freien Platz neben dem Hallenensemble stand ein einzelner, verloren wirkender offener Lkw-Hänger, vollbeladen mit abenteuerlich gestapeltem Gemüse in den unterschiedlichsten Behältnissen.
»So, an diesem Ort sind wir ungestört«, meinte KPD zu der Landwirtin. »Hier draußen kann uns niemand belauschen.«
Heidelinde Rustik wollte gerade zu sprechen beginnen, da unterbrach sie mein Chef abrupt. »Lassen Sie uns doch besser in den Schatten des Hängers gehen, die Sonne blendet mich zu sehr.«
»Ja was jetzt?«, motzte die Landwirtin. »Zuerst in der Halle, dann doch lieber draußen, und jetzt jammern Sie wegen des bisschen Sonnenlichts. Wissen Sie, was es heißt, den ganzen Tag im Freien zu arbeiten?«
KPD grummelte vor sich hin und ging unbeirrt zu dem Hänger, Rustik folgte ihm sichtlich genervt.
Während ich hinter den beiden hertrottete und aufpasste, kein Bier zu verschütten, passierten zwei Dinge gleichzeitig: Die Landwirtin sagte etwas zu meinem Chef, das ich nicht verstand. Mein Chef blieb stehen und starrte sie zornig an. War ein Streit zwischen den beiden ausgebrochen? Ich konnte nur kurz darüber nachdenken, denn ich sah, wie sich plötzlich mehrere volle Gemüsekisten selbstständig machten und aus mehreren Metern Höhe herabzustürzen drohten. In der direkten Falllinie stand KPD.
»Achtung!«, schrie ich, so laut ich konnte. Da ich gerade einen Schluck Bier im Mund hatte, schoss das Getränk fontänenmäßig aus demselben. KPD reagierte kaum. Er drehte sich zwar zu mir um, verließ dabei aber seinen Platz nicht. Seinem Blick nach deutete er den Schrei falsch. Frau Rustik reagierte ebenfalls anders, als erwartet. Sie ging nicht aus der Falllinie, sondern direkt auf sie zu, genau in dem Moment, als das Gemüse den Kampf um das Gleichgewicht verlor und sich der Gravitation geschlagen gab.
Nur meiner unermesslich fixen Reaktion war es zu verdanken, dass ich die beiden rechtzeitig erreichte und seitlich zu Boden stoßen konnte. Dass dabei die Flasche Bier auf dem Beton zerschellte, war das geringste Problem.
Irrsinnige Mengen Gemüse nebst Verpackungen knallten mit lautem Getöse auf den Boden und verteilten sich dort in einem größeren Radius. Es sah aus wie auf einem Miniaturschlachtfeld. KPD verdeckte mit seinem Oberkörper zur Hälfte die Landwirtin. Sein Hinterkopf war mit zwei oder drei Kisten Radieschen bedeckt. Ein längliches Stück Gemüse mit mir unbekanntem Namen lag zerbrochen quer über seiner Nase. Ich selbst hatte ebenfalls mein Fett abbekommen: Es musste eine Gemüsesorte geben, die sehr wasserhaltig war. Aus mehreren gestapelten Holzkisten, die deformiert neben mir lagen, tropfte eine eklige Pampe direkt in mein Gesicht sowie meinen Rücken hinunter.
Mehrere Personen kamen angerannt und halfen uns aus der Misere. Meinem Einsatz war es zu verdanken, dass alle Beteiligten mit kleineren Verletzungen davonkamen. KPD beschwerte sich zwar bei mir lautstark, wie ich es wagen könnte, ihn umzustoßen, doch ich ignorierte ihn einfach. Zwei Pfalzmarktmitarbeiter sperrten den Bereich großzügig ab. »Wir wissen immer noch nicht, welchem Idioten dieser Hänger gehört«, meinte der eine zu dem anderen. »Jetzt müssen wir das ganze Zeug aufwendig entsorgen.« Der andere Mitarbeiter, wahrscheinlich der Vorgesetzte des zweiten, fragte uns, ob wir ärztliche Hilfe benötigten. Heidelinde Rustik, die nur ein paar Kratzer am Arm hatte, verneinte genauso wie mein Chef. Seiner Mimik nach hatte er ein paar schmerzhafte blaue Flecken davongetragen. Auch mir ging es einigermaßen gut, wenn man von der übelriechenden Brühe absah, mit der ich getränkt war.
»Ich habe jemanden gesehen«, flüsterte die Landwirtin mir und KPD zu, nachdem die neugierigen Menschen verschwunden waren. Da KPD in seinem Zustand, seine Uniform hatte den einen oder anderen Fleck abbekommen, nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen wollte, standen wir im Freien etwas abseits. »Ich meine, ich habe jemanden auf dem Hänger stehen sehen. Diese Person war äußerst seltsam gekleidet, in Decken oder Tücher, so genau konnte ich das nicht erkennen.«
Wir schauten sie neugierig an, und Rustik präzisierte. »Als das Zeug auf uns stürzte, fiel ich mit Blickrichtung zu dem Hänger auf den Boden. Dabei konnte ich schemenhaft eine Gestalt erkennen, die sich da oben versteckt haben musste.«
»Dann wurde das Zeug mit Absicht auf uns geworfen, ein klassischer Sabotageakt«, stellte KPD fest. »Ich dachte im ersten Augenblick, Palzkis abscheulicher Schrei sei dafür verantwortlich gewesen.«
Die Landwirtin machte ein finsteres Gesicht. »Ich bin endgültig davon überzeugt, dass ich etwas überaus Heikles entdeckt habe und man mich deswegen beseitigen will. Das war eindeutig ein Attentat auf mich, Herr Diefenbach. Ich möchte Polizeischutz haben, und zwar sofort.«
KPD überlegte. »Nun habe ich wegen des feigen Attentats einen Grund, Ermittlungen aufzunehmen. Immerhin wäre ich selbst fast zum Opfer geworden, das ist ungeheuerlich. Palzki und ich werden sofort zur Dienststelle fahren, damit ich mich umziehen kann. Und dann werde ich den Täter ermitteln, und zwar schnellstmöglich.«
»Wissen Sie was, Herr Diefenbach? Kommen Sie doch gegen 17 Uhr zum Abendessen bei uns auf dem Hof vorbei. Dann können wir die weiteren Schritte besprechen, wie Polizeischutz und so weiter.«
KPD war von der Idee begeistert. »Dann kann ich den Parkplatz und die ausländischen Laster höchstpersönlich in Augenschein nehmen. So machen wir es, Frau Rustik. Ich bringe Palzki mit, der kann das Protokoll schreiben.«
»Ich kann heute Abend nicht«, flehte ich. Mit diesem Plan hatte ich nicht gerechnet.
»Keine Chance, Palzki. Ich kann schließlich nicht alles alleine machen. Warum habe ich denn Untergebene? Sie fahren mit mir zum Dinner bei Frau Rustik. Wir werden sogar etwas früher losfahren, damit ich mir vor Ort ein Bild machen kann.«
Heidelinde Rustik verabschiedete sich. Ängstlich sah sie sich um, als sie in Richtung Parkplatz ging.
»Ich bin mir mit dieser Frau noch nicht im Klaren, Palzki. Zuerst fängt sie mit mir Streit an, dann dieses Attentat auf mich, das ist schon sonderbar.«
»Attentat auf Sie, Herr Diefenbach?«
KPD seufzte. »Das ist mir klar, dass Sie das nicht bemerkt haben. Warum sollte jemand die Landwirtin umbringen wollen, bloß weil sie Lastwagen beobachtet hat, die heimlich umgeladen werden? Nein, das Attentat galt eindeutig mir. Irgendetwas ist faul im Pfalzmarkt. Das habe ich sofort bemerkt, als die Vorstände und der Aufsichtsratsvorsitzende meine Wichtigkeit ignoriert haben. Dass kein Sitzplatz auf meinen Namen reserviert war, ist ein weiteres eindeutiges Indiz, dass man mich in eine Falle locken wollte. Aber nicht mit mir!«
»Welche Falle?«, hakte ich nach. KPDs Paranoia war legendär, doch das setzte allem die Krone auf.
»Heidelinde Rustik handelt meiner Meinung nach im Auftrag des Vorstands. Sie ist doch Genossin in dem Unternehmen, nicht? Ihre Aufgabe war es, mich in eine Falle zu locken. Dieser beladene Lkw-Hänger stand nur mit dem Ziel im Hof herum, um mich zu beseitigen. Durch die Ablenkung mit ihrem Schrei hat sie sich unbeabsichtigt selbst gefährdet. Den Streit mit mir hat sie nämlich nur deshalb begonnen, damit ich alleine an der Stelle stehe, wo das Gemüse herabstürzen sollte.« KPD nickte selbstbestätigend wie ein Wackeldackel. »Und deshalb müssen wir unbedingt die Einladung wahrnehmen. Ich werde sie entlarven, die falsche Schlange.«
Da wir in der prallen Sonne standen, begann die Substanz, mit der ich getränkt war, übel zu riechen. Die ersten Schmeißfliegen schwirrten um mich herum.
KPD wedelte sich mit der Hand frische Luft zu und trat einen Schritt zurück. »Das ist mit Ihnen nicht auszuhalten,