Sämtliche Werke von Shakespeare in einem Band: Zweisprachige Ausgabe (Deutsch-Englisch). William Shakespeare
Читать онлайн книгу.erseufzend, Wolk an Wolke drängte.
Allein sobald im fernsten Ost die Sonne,
Die allerfreunde, von Auroras Bett
Den Schattenvorhang wegzuziehn beginnt,
Stiehlt vor dem Licht mein finstrer Sohn sich heim
Und sperrt sich einsam in sein Kämmerlein,
Verschließt dem schönen Tageslicht die Fenster
Und schaffet künstlich Nacht um sich herum.
In schwarzes Mißgeschick wird er sich träumen,
Weiß guter Rat den Grund nicht wegzuräumen.
BENVOLIO
Mein edler Oheim, wisset Ihr den Grund?
MONTAGUE
Ich weiß ihn nicht und kann ihn nicht erforschen.
BENVOLIO
Lagt Ihr ihm jemals schon deswegen an?
MONTAGUE
Ich selbst sowohl als mancher andre Freund.
Doch er, der eignen Neigungen Vertrauter,
Ist gegen sich, wie treu, will ich nicht sagen,
Doch so geheim und in sich selbst gekehrt,
So unergründlich forschendem Bemühn
Wie eine Knospe, die ein Wurm zernagt,
Eh sie der Luft ihr zartes Laub entfalten
Und ihren Reiz der Sonne weihen kann.
Erführen wir, woher sein Leid entsteht,
Wir heilten es so gern, als wirs erspäht.
[Romeo erscheint in einiger Entfernung.]
BENVOLIO
Da kommt er, seht! Geruht, uns zu verlassen;
Galt ich ihm je was, will ich schon ihn fassen.
MONTAGUE
O beichtet' er für dein Verweilen dir
Die Wahrheit doch! - Kommt, Gräfin, gehen wir!
Montague und Gräfin Montague gehen ab. Romeo tritt auf.
BENVOLIO
Ha, guten Morgen, Vetter!
ROMEO
Erst so weit?
BENVOLIO
Kaum schlug es neun.
ROMEO
Weh mir. Gram dehnt die Zeit.
War das mein Vater, der so eilig ging?
BENVOLIO
Er wars. Und welcher Gram dehnt Euch die Stunden?
ROMEO
Daß ich entbehren muß, was sie verkürzt.
BENVOLIO
Entbehrt Ihr Liebe?
ROMEO
Nein.
BENVOLIO
So ward sie Euch zuteil?
ROMEO
Nein, Lieb entbehr ich, wo ich lieben muß.
BENVOLIO
Ach, daß der Liebesgott, so mild im Scheine,
So grausam in der Prob erfunden wird!
ROMEO
Ach, daß der Liebesgott, trotz seinen Binden,
Zu seinem Ziel stets Pfade weiß zu finden!
Wo speisen wir? - Ach, welch ein Streit war hier?
Doch sagt mirs nicht, ich hört es alles schon:
Haß gibt hier viel zu schaffen, Liebe mehr.
Nun denn: Liebreicher Haß! Streitsüchtge Liebe!
Du Alles, aus dem Nichts zuerst erschaffen!
Schwermütger Leichtsinn! Ernste Tändelei!
Entstelltes Chaos glänzender Gestalten!
Bleischwinge! Lichter Rauch und kalte Glut!
Stets wacher Schlaf, dein eignes Widerspiel!
So fühl ich Lieb und hasse, was ich fühl!
Du lachst nicht?
BENVOLIO
Nein, das Weinen ist mir näher.
ROMEO
Warum, mein Herz?
BENVOLIO
Um deines Herzens Qual.
ROMEO
Das ist der Liebe Unbill nun einmal.
Schon eignes Leid will mir die Brust zerpressen,
Dein Gram um mich wird voll das Maß mir messen.
Die Freundschaft, die du zeigst, mehrt meinen Schmerz;
Denn, wie sich selbst, so quält auch dich mein Herz.
Lieb ist ein Rauch, den Seufzerdämpf erzeugten,
Geschürt, ein Feur, von dem die Augen leuchten,
Gequält, ein Meer, von Tränen angeschwellt;
Was ist sie sonst? Verständge Raserei
Und ekle Gall und süße Spezerei.
Lebt wohl, mein Freund!
Im Gehen.
BENVOLIO
Sacht! Ich will mit Euch gehen;
Ihr tut mir Unglimpf, laßt Ihr so mich stehen.
ROMEO
Ach, ich verlor mich selbst; ich bin nicht Romeo.
Der ist nicht hier: er ist - ich weiß nicht, wo.
BENVOLIO
Entdeckt mir ohne Mutwill, wen Ihr liebt.
ROMEO
Bin ich nicht ohne Mut und ohne Willen?
BENVOLIO
Nein, sagt mirs ernsthaft doch!
ROMEO
Bitt einen ernsthaft um sein Testament,
Den Kranken quälts, wenn man das Wort ihm nennt!
Hört, Vetter, denn im Ernst: Ich lieb ein Weib.
BENVOLIO
Ich trafs doch gut, daß ich verliebt Euch glaubte.
ROMEO
Ein wackrer Schütz! - Und die ich lieb, ist schön.
BENVOLIO
Ein glänzend Ziel kann man am ersten treffen.
ROMEO
Dies Treffen traf dir fehl, mein guter Schütz;
Sie weicht dem Pfeil aus, sie hat Dianens Witz
Umsonst hat ihren Panzer keuscher Sitten
Der Liebe kindisches Geschoß bestritten.
Sie wehrt den Sturm der Liebesbitten ab,
Steht nicht dem Angriff kecker Augen, öffnet
Nicht ihren Schoß dem Gold, das Heilge lockt.
O sie ist reich an Schönheit; arm allein,
Weil, wenn sie stirbt, ihr Reichtum hin wird sein.
BENVOLIO
Beschwor sie der Enthaltsamkeit Gesetze?
ROMEO
Sie tats, und dieser Geiz vergeudet Schätze.
Denn Schönheit, die der Lust sich streng enthält,