Zauberwalzer. Barbara Cartland
Читать онлайн книгу.er schon alles gesehen hat. Er war gerade dabei, sich die Uhr in die Westentasche zu stecken, als laut an die Tür geklopft wurde.
Sein Bursche öffnete.
In der Tür stand ein Flügeladjutant in einer prächtigen Uniform.
»Seine Majestät der Zar bittet Mr. Melton um seine Gesellschaft«, sagte er in gestelztem Englisch.
»Sagen Sie ihm, daß er gleich kommt«, sagte der Bursche und schlug die Tür zu. »Der Zar verlangt nach Ihnen, Chef«, teilte er Richard unnötigerweise mit. »Hier hat man aber auch keinen Augenblick seine Ruhe.«
»Ganz richtig, Harry, aber wir müssen uns nach der Decke strecken.«
»Hören Sie bloß damit auf, Chef. Noch sind wir nicht am Ende mit unserem Latein.«
»Jedenfalls nicht, so lange wir hier sein können. Und so lange sollten wir auch nicht vergessen, wessen Brot wir essen.«
»Das tue ich schon nicht, Chef. Aber diese Typen hier sind nichts für meiner Mutter Sohn. Was die sich gefallen lassen, geht auf keine Kuhhaut. Ich hätte schon längst mein Messer gezogen, wenn man mir so käme.«
»Das glaube ich dir ohne weiteres«, erwiderte Richard trocken. »Falls dir aber etwas an unserer feinen Unterkunft liegt, solltest du dich mit solchen Gefühlsausbrüchen etwas zurückhalten.«
»Alles klar, Chef; ich kann mein loses Maul schon halten«, antwortete Harry fröhlich und fuhr ruhig fort: »Keine Neuigkeiten aus England?«
»Keine besonderen, außer daß mein geliebter Vetter, der Marquis, letzte Woche die Ehre hatte, mit dem Prinzregenten im Buckingham-Palast zu dinieren.«
»Verflucht sei seine Seele! Hoffentlich ist er daran erstickt.«
»Diesem Wunsch möchte ich mich anschließen«, sagte Richard seufzend, »aber bekannterweise vergeht Unkraut nicht so schnell. Zweifellos verbrachte mein verehrter Vetter einen angenehmen Abend.«
»Sie hätten sich selbst an den Prinzregenten wenden sollen, Chef, und ihm die ganze Geschichte auftischen sollen.«
»Das haben wir doch längst besprochen, Harry«, antwortete Richard, und die Resignation in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Du weißt, niemand hätte auf mich gehört. Ich war ganz allein, als ich den unglücklichen Mr. Danby in seinem Blut liegend fand. Sie dagegen waren zu dritt und bereit, jeden Eid zu schwören, daß ich es gewesen sei.«
»Aber Sie hatten doch mit dem Armen nichts am Hut.«
»Ach, das hätten sie auch geschworen. Nein, Harry, es gibt Augenblicke im Leben, da muß man sich in das Unvermeidliche schicken. Zumindest hat der Marquis meine Schulden bezahlt und mir noch fünfhundert Pfund Reisegeld gegeben.«
»Oh, wie großzügig von ihm«, sagte Harry sarkastisch. »Eines Tages kriegt er schon noch, was er verdient.«
Richard hatte seinen Vetter, den Marquis von Glencarron, noch nie ausstehen können, und doch hatte er ihn um Hilfe bitten wollen, damals in jener Nacht. Seine Gläubiger waren immer unverschämter geworden, und so war er dem Marquis bis nach Hause gefolgt. Wie sehr hatte er seine Dummheit verflucht, die ihn sogar dazu gebracht hatte, in den dunklen Garten einzudringen! Ein Blick hatte ihm genügt, ihn sehen zu lassen, was passiert war. Charles Danby lag im Gras, und seine weiße Hemdenbrust verfärbte sich dunkel. Richard bemerkte, daß sein plötzliches Erscheinen die drei Männer störte, und dann fiel ihm ein, daß der Prinzregent seinen Vetter erst vor einem Monat davor gewarnt hatte, sich erneut zu duellieren.
Der Marquis war aber sehr aufbrausend, und es fiel ihm schwer, sich zu zügeln. Außerdem verstand er es gut, mit dem Degen umzugehen. Jetzt hatte er sich erneut hinreißen lassen, und dieses Duell konnte wohl sein letztes sein. Noch während Richard diese Gedanken durchzuckten, flüsterte der Marquis mit den bei ihm stehenden Männern, und ein verschlagener Zug erschien um seinen Mund. Schon bevor er Richard ansprach, wußte dieser, was kommen würde. Und es war in der Tat schlau, so schlau, daß Richard nichts anderes übrig blieb, als mit fünfhundert Pfund in der Tasche das Weite zu suchen, wollte er nicht wegen eines Duells angeklagt werden, an dem er nicht beteiligt war.
»Wir haben glücklicherweise eine Zuflucht gefunden«, sagte er laut und verließ, ohne auf Henrys Fluchen zu hören, den Raum.
Man hatte den während des Kongresses in Wien weilenden Monarchen und ihrem jeweiligen Gefolge die schönsten Räume der Hofburg überlassen, und da der Zar mit den meisten Begleitern angereist war, hatte er sich den Löwenanteil der verfügbaren Räume gesichert. Sein privater Salon war ein entzückendes Zimmer, dessen Fenster auf die Gärten im französischen Stil hinausgingen und dessen Einrichtung von Gold und Silber glänzte.
Alexander I. war siebenunddreißig Jahre alt, aber er wirkte viel jünger. Er hatte feingeschnittene, regelmäßige Gesichtszüge und eine große, majestätische Figur. Wie einer seiner Kritiker zutreffend bemerkt hatte, war er die ideale Besetzung der Rolle, die er spielte.
Als Richard den Salon betrat, begrüßte ihn der Zar mit einem gewinnenden Lächeln und sagte mit geradezu jungenhafter Ungeduld: »Richard, ich habe eine Idee für heute abend.«
»Für heute abend, Sire?« fragte Richard.
»Ja, du weißt doch, der Maskenball. Wir werden uns alle maskieren, aber jeder weiß, daß wir Majestäten uns nicht so verkleiden, daß man nicht wüßte, wer wir sind. Ich möchte, daß du an meiner Stelle gehst.«
»An Ihrer Stelle, Sire? Ich kann Ihnen leider nicht ganz folgen.«
»Nun, beim letzten Maskenball habe ich auf alle Orden verzichtet - bis auf das Großkreuz von Schweden. Heute abend mache ich es genauso, nur daß du es an meiner Stelle und in meiner Uniform tragen wirst.«
»Ich verstehe, Sire, aber glauben Sie wirklich, wir könnten so die anderen Ballbesucher täuschen?«
»Warum nicht? Schließlich sind wir doch verwandt.«
»Aber doch nur sehr entfernt, und ich dachte eigentlich immer, ich sehe ziemlich Englisch aus.«
Der Zar jedoch zog Richard in seiner Begeisterung vor den Spiegel, der in einer Ecke des Raums stand.
»Sieh selbst«, befahl er.
Richard mußte zugeben, daß in der Tat eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihnen bestand. Sie waren beide blond und hatten die gleiche Größe und eine ähnliche Statur, besaßen das gleiche entschlossene Kinn und die feingemeißelte Nase. Nur die Augen und der Gesichtsausdruck waren sehr verschieden.
»Siehst du, was ich meine?« fragte der Zar. »Das Haar läßt sich ähnlich kämmen. Das besorgt Butinski, mein Friseur, und den Rest verbirgt die Maske. Ich habe eine etwas hellere Haut, aber da hilft sicher etwas Puder. Wenn du den Saal zusammen mit den anderen Monarchen betrittst, wird niemand Verdacht schöpfen.«
»Und Sie, Sire?« fragte Richard, dem die Idee allmählich ebenfalls gefiel.
»Heute abend werde ich tanzen können, mit wem ich will, und alle werden sie mir die Wahrheit sagen. Ich möchte wissen, was der normale Bürger in Wien von mir hält.«
»Das kann unvorhersehbare Schwierigkeiten heraufbeschwören«, sagte Richard warnend, »aber wenn es Ihnen Spaß macht, dann bin ich dabei.«
»Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann«, sagte der Zar. »Ich freue mich schon ganz schrecklich auf heute abend. Der Tag war ziemlich unangenehm. Metternich erwies sich als ziemlich widerspenstig. Ich glaube, ich bin bald der Einzige der hier versammelten Herrscher und Staatsmänner, der die Ideale und Prinzipien der christlichen Freiheit hochhält.«
Richard war klar, daß Alexander wirklich glaubte, was er sagte. Den meisten Kongreßteilnehmern fiel es allerdings schwer, dem Zaren diese Rolle abzunehmen, wenn man bedachte, wie autokratisch er in Rußland herrschte.
»Weiß der Kaiser von Ihrem Plan?« fragte Richard.
Er wollte von der polnischen Frage ablenken, da er das Thema schon zu oft mit dem Zaren diskutiert hatte.
Der