Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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es, von Gottes Recht solle kein Jude Wucher nehmen, doch sei ihre Ordnung anders als bei den Christen, weil sie hierzulande nichts Eigenes haben könnten, darum seien sie von Kaisern und Königen begnadet, daß sie sonderliches Recht hätten. Sie müßten wuchern, weil sie erblich Land und Boden nicht haben dürften und weil die Handwerker sie nicht in ihre Zünfte einließen. Man sagte auch geradezu, Juden müßten wuchern, weil die Christen es nicht dürften.

      Die Übernahme der Geldgeschäfte durch die Juden hatte für Juden und Christen verhängnisvolle Folgen. Indem die Juden zu Gläubigern, die Christen zu Schuldnern wurden, entstand ein gespanntes Verhältnis mit der Neigung zu gewaltsamen Entladungen. Während der Glaubenshaß eigentlich nur von der Kirche ausging, betraf der Schuldnerhaß fast alle Kreise des Volkes, und der letztere war viel grimmiger, weil er auf der Not des Ausgepreßten zu seinem Dränger beruhte. Die Klage der Christen, daß die Juden hohe Wucherzinsen forderten und sie dadurch erdrückten, war nicht unberechtigt. Es war üblich, Geld auf kurze Frist und zu erstaunlich hohen Zinsen auszuleihen. Die Höhe des Zinsfußes betrug im Jahre sechzig und siebzig Prozent; in Österreich stieg der Zins infolge besonderer Verhältnisse auf 174, sogar auf 304 Prozent im Jahr. Wenn nun aber die Juden gelegentlich auch über den gesetzlich erlaubten Zins hinaus ihre Schuldner auspreßten, so waren sie dazu fast gezwungen durch die Forderungen, die an sie selbst gestellt wurden. Je spärlicher die regelmäßigen Einkünfte der Kaiser wurden, desto mehr nützten sie die Quellen aus, die ihnen zur Verfügung standen, und das waren außer den Abgaben der Reichsstädte die der Juden, die für die Gewährung des kaiserlichen Schutzes gewisse Zahlungen zu leisten hatten. Zu den regelmäßigen Leistungen kamen außergewöhnliche, wenn sich eine Gelegenheit bot. Waren die Judenerträgnisse vom Kaiser den Fürsten oder Städten übertragen, die Ansprüche an sie hatten, so wurden sie von diesen ausgesogen. Je mehr die Juden zu zahlen hatten, je mehr sie selbst ausgebeutet wurden, desto mehr mußten sie ihre Schuldner ausbeuten: es war ein häßlicher, unheilvoller Kreislauf. Bei dem ungeheuren Geldbedürfnis und Geldmangel des Mittelalters, hervorgerufen durch die steigenden Ansprüche auf der einen und den noch unentwickelten Verkehr auf der anderen Seite, waren alle Stände den Juden verschuldet: die Kaiser, die Päpste, der hohe und niedere Adel, die Handwerker. Wenn die Verschuldung einen bestimmten Grad erreicht hatte, so suchten die Schuldner sich aus der Schlinge, die sie erwürgte, gewaltsam zu befreien.

      Es leuchtet ein, daß Hochgestellte eher die Möglichkeit hatten, sich Einnahmequellen zu verschaffen oder den Ansprüchen der Gläubiger sich zu entziehen, als das niedere Volk. Daraus erklärt es sich, daß dies die gerechte Handhabung des Judenschutzes durch Kaiser, Fürsten und Stadträte so beurteilte, als wären sie von den Juden bestochen. Sie waren es, insofern sie auf die hohen Gebühren, die sie von den Juden erzielten, nicht verzichten wollten; trotzdem geschah es auch aus Bildung, Einsicht und Pflichtgefühl, daß sie bei Judenverfolgungen durch den Pöbel hindernd und strafend einschritten. In dieser erhitzten Stimmung verschärfte sich teils der Glaubenshaß, teils wurde er Vorwand. Ohnehin nahm im 13. Jahrhundert der Fanatismus der Kurie zu, sowohl in bezug auf die Ketzer als auf die Juden. Innocenz III. erließ ein Gesetz, das den Juden eine bestimmte Tracht vorschrieb, die sie kenntlich und zugleich lächerlich machte. Die spitzen gelben Hüte gaben sie dem Hohn der Gasse preis.

      Die Judenverfolgungen des 14. Jahrhunderts wühlten auf, was an bestialischen Trieben in den Untiefen des deutschen Volkes sich verbarg, und offenbarten den Heroismus, dessen die Juden fähig waren. So pflegt die ewige Gerechtigkeit Gewinn und Verlust zwischen Verfolgern und Verfolgten zu verteilen. Die Einsicht, daß die Deutschen in bezug auf das Geldgeschäft oft schlechter als die Juden handelten, ohne dieselben Entschuldigungen zu haben, machte niemanden in seiner Wut wankend. Der Mönch von Winterthur, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Geschichte seiner Zeit niederschrieb, erzählt einmal, in Lindau sei bei den meisten Menschen Gottesfurcht und Nächstenliebe so verschwunden, daß sie gegen das ausdrückliche kanonische Gebot, verworfener als die Juden, hohen Zins verlangten. Sie wären in der Gewissenlosigkeit so verhärtet, daß sie den Minoriten Schuld gäben, weil sie, wie sie behaupteten, ihnen bei der Beichte keine Sünde daraus machten. Da sei ein wohlhabender Jude gekommen, habe um Aufnahme gebeten und versprochen, gegen geringen Zins wöchentlich Geld auszuleihen. Die Bürger hätten sich gefreut, und der Rat habe beschlossen, daß Christen künftighin keinen Wucher treiben dürften. Derselbe Mönch erzählt, daß in Überlingen Unwille gegen die Juden entstanden sei, weil sie einen Knaben ermordet hätten. Das Volk von Überlingen wünschte nun die Juden zu vernichten, ohne daß Kaiser Ludwig, von dem man wußte, daß er die Juden schützte, die Stadt bestrafte; man glaubte das zu erreichen, indem man die Juden überredete, zu ihrem Schutz in ein hohes steinernes Haus zu flüchten. Nachdem sie das getan hatten und alle darin eingeschlossen waren, zündete man das Haus unten an. Da sie nicht herauskonnten, flohen die Betrogenen immer höher hinauf, bis sie zuletzt auf dem Dach erschienen. In ihrem Zorn und ihrer Verzweiflung warfen sie Steine und Balken auf die Volksmenge, die sich gaffend unten angesammelt hatte. Dann versanken sie unter Gesängen in das in eine Flammenpyramide verwandelte Haus.

       Inhaltsverzeichnis

      Ketzer waren einzelne, die es besser wissen wollten, und Völker, die als Sonderwesen ihre besondere Beziehung zu Gott und den göttlichen Dingen zum Ausdruck bringen wollten.

      Das Christentum ist keine Religion wie die übrigen. Es ist der Glaube, in dem sich die Menschheit vollendet, es bezeichnet den Augenblick, wo sie, in Christus, mit Gott eins wird, wo sie in Christus ihres göttlichen Ursprungs und Zieles innewird. Der Gottmensch ist die Wahrheit, der Weg und das Leben. Was diese Religion lehrt und spendet, ist, so voll von Übersinnlichkeit sie auch sein mag, doch nichts der Menschheit Wesensfremdes, sondern eine Entfaltung, ein Erstrahlenlassen des Menschheitsgedankens. Eine Religion, die über sie hinausgehn kann, ist so wenig denkbar wie ein Zurückgehn auf das Heidentum, das im Christentum mündete, in ihm enthalten ist; die einmal christlich gewordene Menschheit kann, wenn sie nicht christlich bleibt, nur zerfallen, verwildern und in einem entgötterten und naturfernen Zustand ihr Dasein weiterschleppen. Innerhalb des Christentums aber sind unzählige Besonderheiten der Auffassung möglich entsprechend den unzähligen Völkern und einzelnen innerhalb der Menschheit. Die Kirche erfaßte ihre Aufgabe, die Weltreligion zu verkünden, den großen Gedanken, die ganze Menschheit, zunächst wenigstens das Abendland, in einem Glauben zu vereinen, mit Ernst und Klugheit. Es schien selbstverständlich und auch leicht, solange das Christentum im Kampfe gegen den römisch-heidnischen Staat alle seine Kräfte im Namen des Erlösers zusammenfaßte; kaum aber war es herrschend geworden, als die unendliche Mannigfaltigkeit der Menschen die Schlichtheit des Bekenntnisses durchbrach und über den großen Symbolen und Worten des Herrn der einzelne ein verwickeltes Gedankengebäude auftürmte. So wie jeder Mensch unter Millionen sein eigenes Antlitz trägt, das ihn von allen anderen unterscheidet, sein eigenes Schicksal erlebt, das keinem anderen gleicht, so gehen auch seine Gedanken eigene Wege, und unüberwindlich ist die Lust eines jeden, die Welt mit eigenen Augen zu betrachten und ihre Rätsel mit eigenem Scharfsinn zu durchdringen. Diesem Drange nach eigener Erkenntnis steht der kindliche Hang gegenüber, sich den Anschauungen der Väter, dem Zeugnis Ehrwürdiger anzuschließen, und das unmittelbare Einströmen der großen Geister in die göttlichen Offenbarungen der Vorzeit. Wäre das nicht, die geistige Welt der Menschen und damit die Welt überhaupt wäre längst zerfallen. Dennoch greifen die auflösenden Kräfte so zahlreich und so kräftig an, daß außerordentliche Gewalt am Werk sein muß, um ihnen den sinnvoll gestalteten Kosmos zu entreißen. Als die Juden in der Wüste das Goldene Kalb anbeteten, erschlug Moses dreitausend Mann; da das wandernde Volk durch kein anderes Band zusammengehalten wurde, als durch den Glauben an seinen Gott, zog er es vor, einen Teil zu opfern, um das Ganze zu erhalten. Das Gebot »Die Zauberer sollst du nicht leben lassen«, das später die Aufschrift über einer düsteren Periode der abendländischen Geschichte wurde, will die Anwendung magischer Mittel zur Erreichung eines Zweckes durchaus, auch mit den schärfsten Mitteln ausschließen. Immer brandete unterirdisch ein titanischer Strom gegen die herrschende Ordnung, die auf unantastbaren Grundwahrheiten beruht.

      Innerhalb der christlichen Kirche wurde in den ersten Jahrhunderten die Grundlage des Glaubens nicht angegriffen; wohl aber tauchten allmählich verschiedene


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