Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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II., obwohl er selbst der Ketzerei verdächtigt wurde, erklärte sich mit seinem großen Gegner Gregor IX. einverstanden, als dieser im Jahre 1231 ein neues Gesetz zur Ausrottung der Ketzer erließ. Das Neue und Bedenkliche dieses Gesetzes war, daß künftig nicht nur der offenbare, gewissermaßen angreifende Ketzer zu verurteilen war, sondern daß der Ketzerei nachgespürt werden sollte, wodurch die gemeinen Instinkte der Menschen, insbesondere die Angeberei, aufgeregt wurden. Mit dieser peinlichen Aufgabe betraute der Papst den neugegründeten Orden der Dominikaner, der sich wegen seiner gelehrten Bildung dazu zu eignen schien. Die Zahl der häretischen Irrtümer, die sie austüftelten, überstieg sicherlich oft die Zahl der Heilswahrheiten, die den Beschuldigten selbst bekannt waren. Das Jahr des neuen Gesetzerlasses war das Jahr, in welchem die heilige Elisabeth starb. Ob der Tod der jungen Fürstin das düstere Gemüt ihres Beichtvaters trübte? Konrad von Marburg übernahm die seinem Orden zugewiesene Aufgabe mit einem Eifer, als bereite es ihm eine schreckliche Genugtuung, Menschen dem Feuertode zu überliefern. Wie eine Krankheit fraß der Verdacht der Ketzerei um sich; selbst Geistlichen kam Konrads Vorgehen wie ein blindes Wüten vor. Ein bisher unbekanntes Grauen beschlich die Menschen. Vielleicht hätte die Verfolgung sich ungehemmt ausbreiten können, wenn sie sich auf die unteren Volksklassen beschränkt hätte; aber gemäß einer ausdrücklichen Bestimmung des Papstes griff sie gerade die Hochgestellten an. Das reizbare Ehrgefühl des hohen Adels empörte sich gegen die Vergewaltigung durch ein geistliches Gericht. Graf Heinrich von Sayn wurde wegen Ketzerei angeklagt und erschien auf einer großen Kirchenversammlung in Mainz, bei der König Heinrich, Friedrichs II. Sohn, anwesend war. Sowohl er wie der Erzbischof von Mainz mißbilligten das Verhalten Konrads; der Erzbischof hatte ihn sogar ermahnt, sich zu mäßigen, aber ohne etwas auszurichten. Soviel bewirkte der Erzbischof, daß dem Grafen von Sayn eine Frist gegeben wurde, um sich zu rechtfertigen; die Gefahr blieb trotzdem groß, denn das Inquisitionsverfahren war so eingerichtet, daß es sehr schwer war, die einmal angezweifelte Rechtgläubigkeit zu erweisen. Am 30. Juli 1233 wurde Konrad von Marburg ermordet; man schrieb die Tat allgemein dem Grafen von Sayn zu. Er lebte noch 14 Jahre, ohne deswegen angegriffen zu werden; seine Witwe machte später große Schenkungen zum Heil für seine und ihre sündigen Seelen. Beinah gleichzeitig wurde in Straßburg der Dominikanermönch Droso, der durch sein Aufspüren von Ketzern die Stadt beunruhigte, von Heinrich von Mülnstein, einem, der sich bedroht fühlte, ermordet. Johannes Guldein, einer der angesehensten Straßburger Bürger, war im Jahre 1230 verbrannt worden. Nicht nur der Papst, sondern auch der Kaiser war entrüstet über die Mordtaten; es war einer der Vorwürfe, die Friedrich gegen seinen Sohn erhob, daß er die Ketzerverfolgung nicht unterstützt habe. Trotzdem ist anzunehmen, daß die Kaiser diese Pflicht ihres Amtes nur wie eine herkömmliche Formel zuweilen zu betonen für nötig hielten; denn wenn sie sich mit eigenem Willen dafür eingesetzt hätten, würde die Inquisition sich mehr ausgebreitet und festgesetzt haben, als tatsächlich geschah. Allerdings, wenn auch die scharfe Verfolgung, wie sie Konrad von Marburg eingeleitet hatte, sich nicht erneuerte, so wurden doch die Ketzergesetze weiterhin angewendet, und daß von Zeit zu Zeit die Flammen einen Irrgläubigen verzehrten, war nichts Auffallendes.

      Immer weiter unterwühlt der titanische Strom die feste Erde. Ein Augenblick kann kommen, wo er nicht nur stärker, sondern auch reiner sein wird als das herrschende Gesetz. War der Tanz um das Goldene Kalb bei den Rechtgläubigen oder bei den Ketzern? Wenn die Regierenden anfangen, Feuer und Schwert anzuwenden, um die Einheit des Glaubens und Denkens zu erhalten, hat Gott sie meistens schon verlassen.

       Inhaltsverzeichnis

      Unter den deutschen Familien, die wie Sternbilder aus dem Gewimmel der Sterne hervorglänzen, ist die der Grafen von Andechs besonders interessant. Aus den Gaugrafen von Andechs wurden in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts Markgrafen von Istrien und Herzöge von Meran, das heißt Dalmatien. Berthold II., ein Fürst von hervorragenden Gaben, hatte zwei Töchter, Gertrud und Hedwig, von denen die erstere den König von Ungarn, Andreas II., die andere einen Herzog von Polen und Schlesien heiratete. Hedwig nahm sich mit unendlicher Güte der Armen ihres verwilderten Landes an und wurde nach ihrem Tode heiliggesprochen. Ihr Sohn, Herzog Heinrich, warf sich im Jahre 1241 den eindringenden Tataren entgegen und fiel in der furchtbaren Schlacht bei Liegnitz. Gertruds Tochter war die heilige Elisabeth. Bertholds zweiter Sohn, Otto II., dem die Stadt Innsbruck ihre Blüte verdankt, erhielt in der Geschichte seines Landes den Beinamen der Große; mit seinem Sohne Otto starb die Familie aus, die ihren Ursprung auf Karl den Großen zurückführte. Wie es oft der Fall ist, verklärte das Geschlecht sich selbst in seinen letzten Sprossen. Das Schwanenlied der Grafen von Andechs war Opfergesang: sie neigten sich zu den Tiefen des Volkes zurück, über das sie sich hoch erhoben hatten. Wir wissen nicht, ob Elisabeth sich aus Mitleid für die Armen und Kranken dem Dienst der Unglücklichen widmete, oder ob aus Liebe zu Gott und um seinen heiligen Willen zu erfüllen; wahrscheinlich ging beides ineinander über. Sie war von Natur heiter, lachte und tanzte gern, sie liebte ihren Mann und ihre Kinder, vielleicht war der Drang, sich des Lebens zu erfreuen, besonders stark in ihr; aber zugleich lagen ihr die Werke der Barmherzigkeit im Sinn, die Gott fordert: die Hungernden zu speisen, die Dürstenden zu tränken, die Gefangenen zu trösten, die Nackten zu kleiden. Die Kunde von dem, was der heilige Franziskus in Italien tat und predigte, verstärkte die ihr angeborene Neigung, sich ihres Glückes wie eines Raubes zu schämen. Das größte ihr beschiedene Glück war, einen Mann zu haben, der sie liebte und kannte. Sie waren zusammen aufgewachsen, und es war etwas von der zarten Süße geschwisterlicher Selbstverständlichkeit in ihrer Liebe. Er behütete sie, und sie ruhte vertrauensvoll in seiner Güte. Wenn andere ihn besorgt machen wollten, weil sie mit vollen Händen austeilte, beschwichtigte er lächelnd: wenn ihm nur die Wartburg und die Neuenburg blieben. Auf der Wartburg wohnte das junge Paar, und wenn sie die Armen besuchte, so stieg sie wirklich hinunter in das Schattental. Zuweilen bedrängte das Glück ihr Gewissen: war nicht der Ruf an sie ergangen, sich ganz Gott hinzugeben? Wenn sie von der Hungersnot hörte, die im Thüringer Lande war, wenn sie die vielen Bettler sah, aus deren Zügen die Not sprach, dachte sie, daß der Herr sagen würde: ich war bei euch, und ihr habt mich nicht gespeist, ich klopfte an eure Tür, und ihr habt mir nicht aufgetan. Wie wenn der Himmel ihrer Gewissensqual zu Hilfe kommen wollte, nahm er ihr das Glück: Ludwig, der menschliche und kluge Fürst, starb in Italien, wohin er gegangen war, um an Kaiser Friedrichs Kreuzzuge teilzunehmen. Seitdem war sie heimatlos auf Erden, sie wollte nichts mehr, als ihr Leben verströmen. Der ihr angeborene Opferdrang mischte sich mit der Sehnsucht nach dem Drüben, wohin ihr Bruder und Gatte vorangegangen war. Sie verließ die Wartburg und begab sich, nachdem sie der Bestattung des Verstorbenen in Reinhardtsbrunn beigewohnt hatte, nach Marburg, wo ihr Witwensitz war. Daß sie vertrieben worden sei, wird für legendarische Erfindung gehalten; gewiß ist, daß Sophie von Bayern, die zweite Frau des Landgrafen Hermann, eine fromme Frau war, die Verständnis für die Religiosität der jungen Gattin ihres Stiefsohns hatte. Zu Lebzeiten ihres Mannes gründete Elisabeth am Fuße der Wartburg ein kleines Spital, in dem zwanzig Kranke verpflegt werden konnten, die sie täglich besuchte. Nun ließ sie in Marburg gleichfalls ein Spital bauen und widmete sich ganz der Krankenpflege. Der Dominikaner Konrad von Marburg, der schon früher ihr Beichtvater gewesen war, und dem sie geistlichen Gehorsam gelobt hatte, übernahm ihre Leitung und soll die Maßlosigkeit ihres Opferwillens eher gedämpft als gesteigert haben. Während sie, was sie an Geld besaß, sofort verschwenden wollte, erinnerte er sie daran, daß das Geld sie instand setze, Gutes zu tun; andererseits empfahl er ihr, von ihrem Schwager nur anzunehmen, was rechtmäßig erworben sei. Indessen ist doch anzunehmen, daß das Gewaltsame seines Geistes sie beherrschte und antrieb. Die Zeitgenossen verdächtigten sie eines Liebesverhältnisses mit Konrad; der Gedanke lag nah in einer Zeit, wo die sinnlichen Leidenschaften sich zügellos austobten, und wo man den auf ihre Heiligkeit pochenden Geistlichen doppelt gern heimliche Ausschweifungen zutraute, bedarf aber kaum der Widerlegung. Nachdem sie sich ihrer Kinder beraubt und auch die jungen Mädchen, die ihr seit der Kindheit Dienerinnen und Freundinnen gewesen waren, verabschiedet hatte, um alles, was ihr Glück ausgemacht hatte, zu opfern und nichts zu tun als was der menschlichen Natur widerstrebt, fremden, oft widerlich entstellten, oft verbitterten und bösartigen Kranken zu dienen, blieb ihr nur noch übrig zu sterben. Sie war 24 Jahre alt, als sie im Jahre 1231


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