Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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der Mensch steht, mühten sie sich als ein Ganzes, Sinnvolles zu begreifen. Gott zu erleben war ihnen wichtiger als über Gott und göttliche Dinge nachzudenken. Der Ausspruch des Rupert von Deutz, es sei für die menschliche Seele schwer, etwas nicht zu lieben, zeigt sein warmes Herz und seinen für alles offenen Geist, beleuchtet aber auch das Wesen des damaligen Deutschen, seine Gläubigkeit, seine Phantasie, seine Begabung für das Übersinnliche. Denn Liebe ist ja eine überirdische Begegnung, die Fähigkeit, etwas in seiner tiefsten Wurzel, in seiner ewigen Bedeutung zu erfassen. Mit der auf das Übersinnliche gerichteten Phantasie des Deutschen, mit seiner Sehnsucht auszudrücken, was Worte auszusprechen nicht imstande sind, hängt seine stärkste schöpferische Begabung, die für Musik, zusammen. Es läßt sich nicht genau verfolgen, welche Formen sich diese Begabung damals schuf; aber gewiß ist, daß sie den benachbarten Nationen auffiel. Bernhard von Clairvaux vermißte, als er Deutschland verließ, den Gesang seiner deutschen Begleiter, und der heilige Franziskus hatte Freude an den deutschen Brüdern, die singend durch Italien pilgerten. Die Deutschen sangen am Pfluge, sie sangen in der Kirche, sie sangen in der Schlacht. Als der Kaiser Lothar Apulien erobern wollte, zwang ihn der Herzog von Bayern, sein Schwiegersohn, den Plan aufzugeben dadurch, daß er im Heer eine bestimmte Weise anstimmen ließ, die das Zeichen zur Heimkehr bedeutete. Wenn diese Weise durch die Reihen des Heeres ging, wurde das Heimweh, das es immer erfüllte, so übermächtig, daß es unmöglich war, es zurückzuhalten. Dem Tagewerk wie dem Tod gab die Musik den Glanz; sie war das Licht des grauen Landes. Durch die größten Dichtungen des Mittelalters, sowohl durch das Nibelungenlied wie das Gudrunlied, wildheidnische Balladen, perlt Musik als der gewaltigste Zauber: Volker singt mit seiner Geige die todgeweihten Burgunder in Schlummer, und Horand berückt mit seinen Liedern die Herzen, daß sie sich wehrlos in seine Hand geben.

      Dichtung und Musik gehörten zur Bildung, besonders zum Schmuck der Höfe. Herzog Leopold V. von Österreich und Landgraf Hermann von Thüringen waren unter den Fürsten die bekanntesten Freunde der Dichter. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt das seltsame Gedicht vom Sängerkrieg auf der Wartburg. Es erzählt von sechs Sängern, die am Hof des Landgrafen Hermann zusammenkamen, Heinrich dem tugendhaften Schreiber, Reimar von Zweter, Wolfram von Eschenbach, Biterolf, Walther von der Vogelweide und Heinrich von Ofterdingen. Während fünf den Landgrafen von Thüringen rühmen, verkündet Heinrich von Ofterdingen das Lob Leopolds von Österreich. Sie kommen überein, einen Wettstreit zu veranstalten, bei dem jeder den von ihm bevorzugten Fürsten rühmen soll; der verlierende soll sterben. In diesem schauerlichen Wettgesange mit dem lauernden Henker im Hintergrunde unterliegt Heinrich von Ofterdingen; aber durch Vermittlung der Landgräfin Sophie wird ihm erlaubt, bei dem berühmten Meister Klingsor aus Ungarland Berufung einzulegen. Er reitet zuerst nach Wien an den Hof des Herzog Leopold, wo er mit großen Ehren empfangen wird, und dann zu Meister Klingsor, einem Mann von Adel, der in den weltlichen Künsten, aber auch in der schwarzen Kunst bewandert ist. Durch schwarze Kunst führt er Heinrich von Ofterdingen in einer Nacht aus Ungarn nach Eisenach, wo sie im Haus eines Bürgers absteigen. Dort beobachtet Klingsor die Sterne und liest in ihnen, daß in dieser Nacht dem König von Ungarn eine Tochter geboren wird, die künftige Frau des Sohnes des Landgrafen. Nun beginnt ein Wettstreit zwischen Klingsor und Wolfram von Eschenbach. Da Klingsor erkennt, daß Wolfram ihn zu überwinden vermöge, beschwört er den Teufel, der in menschlicher Gestalt auf die Wartburg kommt und vom Landgrafen die Erlaubnis erhält, sich in den Streit einzumischen. Er erzählt wunderbar alle Geschichten, die sich von Anfang der Welt an zugetragen haben; Wolfram aber spricht von der Süßigkeit des göttlichen Wortes, das Fleisch ward, und endet mit den Worten, die der Erlöser sprach, als er das heilige Abendmahl einsetzte. Bei diesen furchtbar heiligen Worten fliehen beide, der Teufel und Klingsor. Klingsor empfindet jedoch die Niederlage als unleidlich und bittet den Teufel, die schwache Seite von Wolframs Gelehrsamkeit auszukundschaften. Noch einmal sucht der Teufel Wolfram in Eisenach auf und legt ihm Fragen nach der Natur der himmlischen Sphären, nach Sternen und Planeten auf, die Wolfram nicht beachtet. Der Teufel lacht und ruft aus: »Er ist ein Laie, er ist ein Laie!« und schreibt diese Worte an die Wand des Gemachs.

      Der Sängerkrieg hat in Wirklichkeit nicht stattgefunden und hätte sich jedenfalls nicht auf der Wartburg abgespielt, die damals als Festung diente, während der Landgraf in einem steinernen Hause in Eisenach Hof hielt; aber Hermann war in der Tat ein Freund der Dichtkunst und der Sänger. An seinem Hofe fand Wolfram von Eschenbach Zuflucht und schrieb dort einige Bücher des Parzival; dem Heinrich von Veldecke, der sich unter Hermanns Schutze in Eisenach aufhielt, wurde bei Gelegenheit einer Hochzeit sein Epos Eneit gestohlen, das er als Handschrift mitgebracht hatte. Nach neun Jahren konnte der Landgraf sie ihm zurückstellen. Während des Kampfes zwischen den Welfen und Staufen, der im Anfang des 13. Jahrhunderts heftiger als je entbrannte, wechselte Hermann, während sein Vater und Großvater, mit Barbarossa verwandt, diesem treu angehangen hatten, je nach augenblicklichem Vorteil zwischen den Parteien und schädigte dadurch seinen Ruf. Da er sich außerdem die Mönche von Reinhartsbrunn, einer Gründung der landgräflichen Familie und ihre Gruft, zu Feinden gemacht hatte, haben sie ihn der Nachwelt als einen frevelhaften Mann geschildert; es scheint, daß die Ausgelassenheit an seinem Hofe die Grenzen der üblichen, recht freien Sitte überschritt. Während seiner letzten Lebenszeit soll er in Wahnsinn verfallen sein. Es wird erzählt, daß einem Priester, der für den Verstorbenen betete, ein Heiliger erschienen sei und ihm geraten habe, das Beten für den zu unterlassen, der schon ein Jahr vor seinem Tode tot gewesen sei; denn seinen Körper habe anstatt der Seele ein böser Geist belebt. Hermanns Sohn, Ludwig der Heilige, so erzählt die Sage weiter, wünschte das Schicksal seines Vaters im Jenseits zu erfahren und bewog einen Schüler, der in der schwarzen Kunst erfahren war, den Toten zu beschwören. Der Landgraf kam zu Roß; als er seinen Mantel auseinanderschlug, wurde die Glut sichtbar, in der sein Leib brannte. Als Beweis seiner Gegenwart zeichnete er den Fuß des Schülers mit einem Funken aus dem höllischen Feuer.

      Man glaubt in diesen dunklen Geschichten von fernher den dämonischen Umriß Fausts heranschweben zu sehen. Der Gegensatz, der das deutsche Gemüt bewegte, war nicht der zwischen Denken und Glauben, sondern der zwischen Weltlust und Seligkeit in Gott. Zur Weltlust gehört auch das Wissen und die Kunst, soweit sie nicht Gott geweiht und Gott untergeordnet sind; aber das Wissen ist nicht gegen den Glauben gerichtet. Heinrich von Ofterdingen und Klingsor leben ebenso inmitten der christlichen Weltanschauung wie Wolfram von Eschenbach oder Walther von der Vogelweide. Ein unheimliches Licht aus der Hölle huscht um Klingsor, weil er Zauberei treibt, die Sünde der Sünden, weil er an die Wurzeln der göttlichen Kraft vordringen will, die Gott sich selbst vorbehalten hat, weil er die Quellen aufreißen will, die Gott zum Heil für den Menschen versiegelt hat. Der Drang, die Schranken zu durchbrechen, die nach der Anschauung der Gläubigen dem menschlichen Geiste gesetzt sind, macht ihn gefährlich, aber doch auch anziehend und herrlich. Wenn Wolframs Reinheit siegt, so werden seine Gegner nicht unbedingt verworfen. Heißt es doch sogar im Sängerkrieg, daß Heinrich von Ofterdingen mit Hilfe falschen Würfelspiels überwunden sei, und die weltliche Wissenschaft und schwarze Kunst, in der Klingsor dem Wolfram überlegen ist, stellt sich, obwohl sie einer niederen Sphäre angehört, als hoch und begehrenswert dar. Die Gottesdiener wie die Zauberer umfaßt eine gemeinsame Sphäre von Gläubigkeit, in der der Teufel zugelassen ist. Einem dunklen Schatten gleich, der eisig in die lichte Natur Gottes fällt, gleitet der Böse, zugleich ein Gott und ein Nichts, vorüber; zerstören kann er sie nicht. Bemächtigt sich der Zweifel wirklich des deutschen Geistes, so wird er zur Verzweiflung und von dort aus überwunden.

      Die lyrischen und epischen Dichtungen der Hohenstaufenzeit offenbaren ein kultiviertes Leben und eine erlesene, verfeinerte Kunst, doch nur wenige reichen aus der Zeit in die Ewigkeit, darunter einige Gedichte Walthers von der Vogelweide. Die meisten interessieren mehr als Dokumente einer großen Zeit, als daß sie unmittelbar als Poesie ergreifen. Unter die Sterne versetzt, allen Wandlungen des Geschmackes entrückt, sind die beiden großen Epen von den Nibelungen und von Gudrun, die mit keinem Namen eines Dichters verbunden sind. Sie gehören zu den Werken, an denen in Jahrhunderten ein ganzes Volk geschaffen hat. Während die meisten Dichtungen der mittelalterlichen Blütezeit den Charakter und die Anschauungsweise von Rittern oder Geistlichen widerspiegeln, also eines Standes, wittert im Nibelungen- und im Gudrunliede die brausende Natur. Kriemhild, Gudrun, Siegfried, Hagen sind keine Ritter und keine Christen, Dämonen sind es, die mit tödlichen Leidenschaften ein grandioses Spiel treiben, das den Betrachter zugleich mit


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