Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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singe.

      Ebenso wie Pflanzen und Tiere suchte er den Menschen zu erforschen. Er dachte nach über den Traum, bemerkte, daß man seltener von Gerüchen als von Gestalten und Farben träume und suchte das zu deuten, er glaubte, daß es prophetische Träume gebe, zweifelte aber, ob man sich darauf verlassen könne. Er war überzeugt, daß Mensch und Tier durch die Eigenart des geographischen Ortes beeinflußt werden, und meinte, daß die Germanen wegen der größeren Kälte ihrer Heimat groß, stark, mutig und ursprünglich ungeschickt zum Studieren seien, daß sie aber, wenn sie es einmal beginnen, mehr ausdauerten als andere. Als Beispiel führte er die Mailänder an. Von den romanischen Völkern sagte er lobend, daß sie die schöne Mitte bilden zwischen der Wildheit des Nordens und der Weichlichkeit des Südens. Er beobachtete, daß die Bergbewohner häufig »knotige, skrophulöse Hälse und Schlünde haben« und führte die Auswüchse auf das Wasser zurück. Daß die Physiognomie die herrschende Naturanlage des Menschen anzeige, glaubte er, aber nicht immer und nicht mit Notwendigkeit. Die Gegend an den Polen hielt er im allgemeinen für unbewohnbar wegen der Kälte; gebe es aber dort Tiere, so müßten sie große, fleischige Körper haben, damit die Kälte sie nicht so schnell durchdringe, und ihre Farbe müßte weißlich sein. Die andere Hälfte der Erde sei bewohnt, meinte er; wenn noch keiner der Bewohner zu uns gekommen sei, so liege das an der Größe des dazwischen ausgebreiteten Ozeans.

      Wenn Albert die Natur aus sich selbst und ihren eigenen Bedingungen zu verstehen suchte, so sah er sie doch nie als etwas von Gott Geschiedenes oder Gott Entgegengesetztes an, sondern als von Gott erfüllt. Er glaubte fest an die Unsterblichkeit der Seele, und zwar der Einzelseele eines jeden. Heftig bekämpfte er die Ansicht der Araber, daß die Menschheit nur eine Seele habe, die nur durch die Körper individualisiert werde. Jede Seele, meinte er, sei unmittelbar von Gott erschaffen; da sie wesentlich vom Körper verschieden sei, nehme sie am Tode desselben nicht teil. Die Seele ist nach ihm die Form des Körpers und das Prinzip der Bewegung.

      Fast noch bedeutsamer als das, was von Alberts philosophischer und naturwissenschaftlicher Wirksamkeit berichtet wird, sind die Sagen, die im Volke über ihn umgingen. Sie knüpfen zum Teil an mechanische Versuche, die er wohl wirklich angestellt hat. Einmal, so heißt es, habe sein Schüler Thomas von Aquino in seiner Abwesenheit die geheime Zelle betreten, wo er zu feilen und zu drechseln pflegte. Dort habe er allerlei ihm unbekannte Instrumente und Apparate und ein seltsam gestaltetes Tier und in einer Ecke einen feuerroten Vorhang gesehen. Da er es nicht habe lassen können, den Vorhang zurückzuschlagen, habe er ein wunderschönes Frauenbild erblickt, das ihn mit magischer Gewalt gefesselt habe. Das habe ihm zugerufen: Salve! Salve! Salve!, worüber er so entsetzt gewesen sei, daß er einen Stab genommen und darauf geschlagen habe. Unter wunderlichem Klirren und Stöhnen sei es zusammengebrochen. »Thomas«, habe der eben eintretende Albert ausgerufen, »was hast du getan? Das Werk dreißigjähriger Mühe hast du vernichtet.« Auch als Bischof von Regensburg soll er in dem Schlößchen Donaustauf, wohin er es liebte, sich zurückzuziehen, ein Laboratorium gehabt haben, wo er geheime Künste trieb. Womit er sich dort beschäftigte, kann man daraus schließen, daß er gelegentlich davon sprach, wie man durch Dampf das Entstehen eines Erdbebens veranschaulichen und daß man einem darauf bezüglichen Apparat die Gestalt eines blasenden Menschen geben könne. Indem er erzählte, Dädalus habe nach der Überlieferung aus Holz ein Minervabild gemacht, das beweglich gewesen sei und gesungen habe, erklärt er, auf welche Art sich das bewerkstelligen lasse. An den Besuch des Königs Wilhelm von Holland in Köln knüpft sich die Sage, wie Albert ihn und sein Gefolge im Dominikanerkloster empfing und sie einlud, im Klostergarten ein Mahl einzunehmen, wie den ungern Eintretenden statt des gefürchteten Frostes warmer Sommer, Blumenduft und Vögelgesang entgegenblühte, und wie Albert seine Gäste mit köstlichem Wein, jeden mit dem gewünschten, bewirtete. Die Zauberkunst, Menschen anzuziehen, übte Albert tatsächlich an dem jungen König aus, der sich von ihm, um seinen Umgang länger zu genießen, nach Utrecht begleiten ließ und ihm dort für seinen Orden ein schön gelegenes Haus schenkte. Medizinische Studien Alberts mögen der Sage zugrunde liegen, daß er einen Becher besessen habe, mit dem, bald mit Wasser, bald mit Wein gefüllt, er alle Kranken geheilt habe. Wenn es ferner heißt, daß er die Tochter des Königs von Frankreich durch die Lüfte nach Köln entführt habe, daß er auf dem Rücken des Teufels nach Rom geritten sei, um den Papst von einer Sünde abzuhalten, daß er sich von Gott erbeten habe, einige Tage im Fegefeuer zubringen zu dürfen, damit er auch diese Region kennenlerne, nachdem er auf Erden alles erforscht habe, glaubt man nicht wiederum aus Nebelgewölk die Gestalt Fausts auftauchen zu sehen? Aus dem Schoße des Volkes ringt sich ein deutsches Urbild los, der Himmelhochstrebende, Unersättliche, Niebefriedigte, auf den ein flackernder Schein aus der Hölle fällt. Wie neben Gottvater beinah kameradschaftlich der Teufel steht, so steht er auch neben dem genialen Menschen, halb mächtiger Gegengott, halb betrogener Kobold. Im Bunde mit dem Teufel selbst erscheint der Verwegene doch nicht schuldig, solange er kämpft und strebt und die Götterkraft in sich fühlt, den Bösen zu überwinden.

      Wenn Albert nicht wie Goethes Faust wünschte, dem Meere Land abzugewinnen, um mit freiem Volk auf freiem Boden zu stehen, so beschützte er doch die Rechte und Freiheiten des Volkes soviel er konnte. Als Erzbischof Konrad von Hochstaden mit der Stadt Köln in einen schweren Streit geriet, gelang es Albert zweimal, eine Vermittelung herbeizuführen, wobei jedem das Seine gegeben wurde, was bei der Masse verwickelter Rechtsfragen und übergreifender Ansprüche außerordentlich schwierig war. Das Vertrauen, das beide Teile in Alberts Gerechtigkeitsliebe, Unbestechlichkeit und Sachkenntnis setzten, läßt seinen Charakter im schönsten Licht erscheinen. Bei der Sühne, der die verhängnisvolle kriegerische Auseinandersetzung folgte, fehlte seine Mitwirkung. Auch in Würzburg wurde er bei einem Streit zwischen Bischof und Bürgerschaft zur Vermittlung herangezogen und hat sie nicht versagt. Gerade diese Teilnahme an wichtigen öffentlichen Akten zeigt die frische Tätigkeit des gelehrten Dominikaners und seinen unbefangenen Sinn für die weltlichen Lebensverhältnisse.

      So unbegrenzt war das Zutrauen zu Alberts Allvermögen, daß er nicht nur für den Erbauer der Dominikanerkirche und des neuen Domes in Regensburg gehalten wurde, sondern auch den Plan zum Kölner Dom soll er entworfen haben, nachdem der alte romanische im Jahre 1248 abgebrannt war. Dabei hätten ihm die Jungfrau Maria und die Patrone und Meister der Baukunst, die Vier Gekrönten, geholfen; denn die Heiligen bemühten sich nicht weniger um ihn als der Teufel. Überhaupt soll er die gotische Bauweise in Deutschland eingeführt haben, die deshalb kurzweg die Albertinische Kunst geheißen habe. Es spricht aus dieser durch nichts zu begründenden Sage das Gefühl, daß ein neuer Geist aus diesem Manne sprach, auf den man darum alles Neue und Große bezog. Wie seine Art der Naturbetrachtung, so widersprach er auch in religiösen Dingen oft der üblichen Auffassung. »Wenn wir denen vergeben, die uns an Leib, Ehre oder Gut schadeten, das ist uns mehr nütze, als wenn wir über Meer gingen und uns ins heilige Grab legten.« »Wenn wir Lieb und Leid in rechter Demut aus Gottes Hand empfangen und beides als Gottes Gabe erkennen, so ist uns das mehr nütze, als wenn wir alle Tage einen Wagen voll Birkenreiser auf unserem Rücken zerschlügen.« »Wenn der Mensch krank ist, so glaubt er oft, daß sein Leben unnütz sei vor Gott. Wenn er aber nicht des Gebetes und der guten Werke pflegen kann, schaut seine Krankheit und sein Verlangen tiefer in die Gottheit als zehnhundert Gesunde.« Der Katholizismus war unüberwindlich groß, als er noch den Protestantismus und die Mystik in sich schloß. Erhob sich Albert über das Formelhafte und Äußerliche sowohl wie über das krampfhaft Übertriebene, was kirchliche Gebräuche so leicht verfälscht, bewegte er sich doch treu in den Schranken der Kirchlichkeit und gab viele Proben herzlicher Frömmigkeit. Auch die Askese wußte er zu schätzen und übte sie in verständiger Weise, ließ sich aber doch, als er Bischof wurde, vom Gelübde der Armut entbinden. Liebesgeschichten sind nie von ihm berichtet worden, wieviel Gerüchte auch über ihn umgingen, und wie rücksichtslos er auch als Nekromant angegriffen wurde. Die Sage von der argen Herzogstochter, die neun Jünglinge liebte und dann umbrachte, und die auch ihn besitzen wollte, führt ihn als zauberkundig, aber als unverführbar ein. Doch war er ein Freund der Frauen und der Frauenbildung. Im Gegensatz zur Bibel forderte er, daß im Falle des Ehebruchs nicht nur der Mann die Frau, sondern auch die Frau den Mann entlassen dürfe. Das Recht, die ehebrecherische Frau zu töten, sprach er dem Manne ab.

      In allen seinen Anschauungen hielt er die Mitte ein, nicht im Sinne des Mittelmäßigen, Verwaschenen, Verplatteten, sondern so, daß er das


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