Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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verschwisterte Sage entwerfen kann: wie wenn Kriemhild einzig ihren Bruder Giselher mit einem Kusse begrüßt, und Hagen, das Ende ahnend, den Helm fester bindet, oder wenn Gudrun den unwillkommenen Freiern als Gruß entbieten läßt: wollt ihr unseren Wein nicht trinken, soll euch Blut eingeschenkt werden. Mit den höfischen Menschen der Dichtung haben diese Gestalten keine Verwandtschaft, wohl aber mit der Wirklichkeit. Hier ist etwas eingefangen von dem eigentümlichen Heidenchristentum des Mittelalters. Wenn die streitenden Königinnen, als sie den Knoten der Tragödie schürzen, auf den Stufen des Wormser Domes stehen, wenn die Möwe, die, auf dem eisigen Meere schaukelnd, Gudrun Botschaft von ihren Angehörigen bringt, sich plötzlich als Engel Gottes anmeldet, so berührt das nicht seltsamer, als wenn Heinrich der Löwe, der mit eigener Hand den Feuerbrand in seine Burg wirft, eh er sie dem Kaiser überliefert, Reliquien aus dem Heiligen Lande heimträgt, oder als wenn Heinrich IV. und Friedrich II., die mit teuflischer Grausamkeit gegen ihre Feinde wüten, in salbungsvollen Glaubensbekenntnissen mit den Päpsten wetteifern. Das Fest der Elemente, das die meerhaft sich ausbreitenden Verse des Heldengesanges feiern, das Ungeheure, das aus längst verschütteter Urzeit hervorzusteigen schien, grenzte nah an die Wirklichkeit. Es war so gut Wirklichkeit wie die Flamme ewiger Anbetung am Altare, wie das dem am Kreuz verscheidenden Gott dargebrachte Opfer an Erdenglück und Erdenleben. Die Begegnung von Element und Wort ist es, die das Wunder zeugt.

       Inhaltsverzeichnis

      Er, der zur Rechten mir am nächsten steht,

       War Bruder mir und Meister; er ist Albert

       Von Köln, und ich bin Thomas von Aquino.

      Der, den Dante als Bruder und Meister des Thomas von Aquino einführt, ist nicht wie dieser von der Kirche unter ihre Heiligen aufgenommen; aber die Geschichte hat ihm als einzigen unter allen Gelehrten, unter allen Privatpersonen den Namen des Großen verliehen. An dieser überragenden mittelalterlichen Erscheinung stellt sich der Unterschied zwischen römischem und deutschem Wesen dar; wie durchaus mittelalterlich-katholisch er war, zugleich war er deutsch-protestantisch, er steht in der Kirche und ist doch auch größer als die Kirche, frei wandert er unter den Sternen, das Haupt gekrönt vom Sausen der Elemente. Fromm, treu, gerecht, ein unermüdlicher Arbeiter, tapfer zu seiner Überzeugung stehend, ein Zögling der Natur, bis ins höchste Alter jugendlich strebend, offen allem Lebendigen, ist der Doctor universalis zwar nicht das, was der Deutsche im allgemeinen ist, aber das, was er sein möchte, was er als deutsch liebt und verehrt.

      Albert von Bollstädt ist in dem jetzt bayrischen Städtchen Lauingen, das seinen Ursprung in graue Vergangenheit zurückführt, als Sohn eines dem niederen Adel angehörigen Geschlechts geboren. Er wuchs in der Art der jungen Männer seines Standes auf, liebte die Jagd und war in allen ritterlichen Künsten geübt; was ihn bewog zu studieren, war neben dem Drang nach Erkenntnis sicherlich auch die Hoffnung, auf der Universität mit allen Fasern Leben und Lebenslust in sich aufnehmen zu können. Im alten ghibellinischen Padua, das sich unter den Hohenstaufen das Recht unbeschränkter Selbstregierung erworben hatte, tat sich im Jahre 1222 durch Übersiedelung von Professoren und Schülern aus Bologna eine neue Universität auf, wo besonders das Studium der freien Künste betrieben wurde. Dort gewann der damalige General des Dominikanerordens, Jordan, ein Deutscher aus der Gegend von Paderborn, der ein Schüler des heiligen Dominikus gewesen war und einen starken Einfluß auf die Jugend ausübte, Albert von Bollstädt für das Studium der Theologie und für den Orden. Nachdem er in Bologna Theologie studiert hatte, wurde er als Lehrer nach Köln berufen, lehrte vorübergehend an den Schulen von Hildesheim, Straßburg, Freiburg, Regensburg und in den Jahren 1245 bis 1248 in Paris. Als dann eine Schule in Köln gegründet wurde, schickte der Orden ihn dorthin.

      Die Predigten und Erbauungsbücher Alberts bewegen sich in dem zu seiner Zeit üblichen Stile, der uns unverständlich geworden ist. Warum hat Christus Weizenbrot zur Verwandlung genommen? Sieben Gründe werden dafür angeführt, z. B. die Ähnlichkeit von Christi Leib mit dem Weizenbrot. Es folgt eine dreifache Betrachtung des Weizenbrotes: wie es in einem Haufen liegt, wie es in der Erde liegt, wie es zu Brot gebacken ist. In der ersten Hinsicht bedenkt er, wie Christus von der Jungfrau empfangen ist, in der zweiten wie er für uns gelitten hat, in der dritten wie er im Himmel verherrlicht ist. In der ersten wird die Mutter Christi geehrt, in der zweiten wird der Sünder befreit, in der dritten wird der Selige beglückt. Die Verkündigung wird in folgender Weise betrachtet: War es notwendig, daß der Erzengel Gabriel zu Maria geschickt wurde? Durch welchen Boten geschah die Verkündigung am passendsten? Mußte der Bote ein Engel sein? Oder ein Erzengel? Oder ein Cherub? Oder ein Seraph? Sollten alle Klassen der Engel zugleich die Sendung ausführen? Oder alle Engel zugleich? Oder der Vater? Oder der Sohn? Oder der Heilige Geist? Oder die ganze Heilige Dreifaltigkeit? In welcher Gestalt ist der Erzengel erschienen? Als Schlange oder als Taube? In welchem Alter? In welchem Kleid? – Eine alpdrückende Erinnerung an Schulaufsätze überkommt uns.

      Aus der reichsten, blühendsten Offenbarung ist der Geist herausgepreßt, und der übriggebliebene Teig wird mit Fäusten bearbeitet und als Speise vorgesetzt. Man pflegte die in der Bibel erzählten Vorgänge nicht so zu behandeln, daß man den in ihnen liegenden Sinn entfaltete, daß man sie als vorbildliche Lebenserscheinung betrachtete, zu der das Leben aller in Beziehung steht, daß man sie durch sich selbst, durch die in ihnen liegende Poesie wirken ließ, sondern man machte eine Allegorie daraus, eine beliebige, an das Äußerliche anknüpfende Vergleichung, bei der die Einteilung die Hauptsache war, die aber mit dem Geist des Bibelwortes nichts zu tun hatte. Albert hat sich diese Mode angeeignet, ohne je den Drang nach einer tieferen, lichtvolleren Behandlung zu spüren. Man muß annehmen, daß dem frommen Manne die Form, in welcher die Frömmigkeit ausgeübt wurde, genügte, daß die Art, wie die Kirche die Beziehung des einzelnen zur Kirche vermittelte, für ihn die gute und richtige, durch die Überlieferung geheiligte war. Das schloß nicht die unmittelbare Beziehung zu Gott durch Gebet, in Glaube, Liebe und Erkenntnis aus. Wie die Kirchenlehrer schrieb er der natürlichen Vernunft eine hohe Kraft im Erkennen der Wahrheit zu, schätzte er die Griechen als das Volk, das durch Beobachtung der Gesetze und die höchste Weltweisheit blühte. Das größte Verdienst auf dem Gebiete der Philosophie erwarb er sich dadurch, daß er die Schriften des Aristoteles, gereinigt von den Irrtümern, die durch Averroës entstanden waren, übersetzte und bearbeitete und den Zeitgenossen Zugang zu dem heidnischen Heiligen des Mittelalters verschaffte. In seiner Ansicht über den Staat ist Albert wohl von Aristoteles beeinflußt, wie er denn überhaupt in allen seinen Anschauungen gern das Überlieferte übernahm und zu bestimmten eigenen, etwa auch von den überlieferten abweichenden nur dann kam, wenn er sie durch Erfahrung oder Erlebnis gewann. Damit hängt es zusammen, daß er kein Systematiker war und daß nicht seine Summa, sondern die des Thomas von Aquino, die endgültige, noch heute von der Kirche anerkannte, alles in Sein und Denken Existierende in einem geschlossenen Kosmos zusammenfassende All-Form geworden ist. Der mächtige Geist des großen Albert baute sich einen Kosmos und durchbrach ihn immer wieder, um jenseits in das Unendliche zu greifen. Der Natur gegenüber band ihn keine Fessel, suchte er den Grund der Erscheinungen in der Natur selbst. »Wir haben in der Natur nicht zu erforschen, wie Gott der Schöpfer nach seinem freien Willen die Geschöpfe gebraucht zu Wundern, wodurch er seine Allmacht zeigt, sondern vielmehr was in den Naturdingen nach den natürlichen Ursachen auf natürliche Weise geschehen kann.« Scientiae naturalis non est simpliciter narrata accipere sed in rebus naturalibus inquirere causas. Von früher Jugend an beseelte ihn der Hang, den Zusammenhang der natürlichen Erscheinungen aufzufinden. Auf der Jagd stellte er Beobachtungen mit den Falken und den Hunden an. In Padua beobachtete er, wie bei der Öffnung eines verschlossenen Brunnens die beiden Männer, die zuerst hinunterstiegen, starben, der dritte in Ohnmacht fiel, und daß das Wasser gut und brauchbar wurde, nachdem ein augenscheinlich fauliger Dunst daraus verflogen war. Auf seinen zahlreichen Reisen, die er zu Fuß machte, sah er immer gespannten und scharfen Blickes um sich und begab sich auch eigens dahin, wo etwas Merkwürdiges kennenzulernen war. Beim Austernessen interessierte er sich für die Perlen, die er fand, von 96 Edelsteinen zählte er die Fundorte und Eigenschaften auf. In Ostfranken sah er Magnetsteine von besonderer Kraft und notierte sich, daß ein wißbegieriger Gefährte beim Kaiser Friedrich Magnetsteine gesehen haben wollte,


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