Deutsche Geschichte (Band 1-3). Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte (Band 1-3) - Ricarda Huch


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von Papst und Kaiser zusammen die neuen, scharfen und grausamen Ketzergesetze ausgegeben, die so viel Unruhe in Deutschland veranlaßten. Kaiser Friedrich beauftragte einen Dominikaner in Bremen, der Ketzerei nachzuspüren, verhängte über die Stedinger die Acht, nachdem er sie zusammen mit den Friesen erst fünf Jahre vorher wegen ihrer Taten im Heiligen Lande belobt hatte, und mahnte die Stadt Bremen, bei der Verfolgung mitzuwirken. Als der Erzbischof seiner Stadt den dritten Teil von dem zu erobernden Hab und Gut der Stedinger als Belohnung versprach, gelang es ihm, sie auf seine Seite zu bringen. Am 19. Oktober 1232 forderte der Papst durch die Bulle Intenta fallaciis sathanae zum Kreuzzuge gegen die Stedinger auf.

      Die Stedinger waren entschlossen, alle Kraft und das Leben an die Verteidigung ihrer Freiheit zu setzen und taten es ruhmvoll. Zwei Kreuzheere besiegten sie, den Grafen von Oldenburg, der eins anführte, erschlugen sie. Die Gegner vermehrten ihre Anstrengungen, der Papst versprach in einer neuen Bulle denen, die das Kreuz nehmen würden, vollen Ablaß. Weit und breit wurde geworben und gehetzt, als wäre das Reich, als wäre die Christenheit in Gefahr. Vergeblich machte sich der unglückliche junge König Heinrich, Kaiser Friedrichs Sohn, zum Anwalt der Verketzerten, er beschleunigte dadurch nur seinen eigenen Sturz. Dem dritten Kreuzheer, das ins Feld zog, glückte die Vollstreckung des Urteils; es waren daran beteiligt Graf Heinrich von Oldenburg, Graf Ludwig von Ravensberg, Graf Florentin von Holland, Graf Otto von Geldern, Herzog Heinrich der Jüngere von Brabant, Wilhelm von Jülich und Dietrich von Cleve. Der Adel mußte viel aufwenden, um des kleinen Bauernvolkes Herr zu werden. Von denen, die die unglückliche Schlacht bei Altenesch überlebten, verließen viele das Land; Familien mit dem Namen Stedinger erschienen in verschiedenen Städten, auch in Lübeck und Hamburg. Die Güter der Stedinger wurden verteilt, ihre Freiheiten vernichtet. So unüberwindlich war der Unabhängigkeitssinn des Stammes, daß sie sich immer wieder, wenn auch ohne Aussicht und ohne Glück, erhoben; immerhin gelang es den Nieder-Stedingern gegenüber den Grafen von Oldenburg eine gewisse Selbständigkeit zu bewahren.

      Länger, nämlich bis ins sechzehnte Jahrhundert, erhielten sich die Friesen und die Dithmarscher frei.

      Die vokalreiche, wohlklingende Sprache der Friesen, die, wie es scheint, mehr Ähnlichkeit mit dem Englischen als mit deutschen Dialekten hatte, verschwand schon im sechzehnten Jahrhundert. Eala frya Fresena – Heil, freier Friese, mit diesen Worten sollen die Friesen sich begrüßt haben. Die Freiheit gehörte zu ihnen, wie das Meer und die Marschen zu ihnen gehörten, sie hatten in ihr ein Element mehr als andere Menschen. Rechtlich führten sie ihre Freiheiten auf Karl den Großen zurück, und die Kaiser haben ihre Reichsunmittelbarkeit anerkannt. Es gibt eine Überlieferung, wonach Friesen, die Barbarossa nach Italien begleiteten, ihm bei einer Verschwörung in Rom das Leben gerettet hätten. Als er sie zum Dank alle zu Rittern schlagen wollte, hätten sie das abgelehnt, indem sie sagten: »Wir halten uns höher als deine Ritter an Rang und Ruhm, denn wir haben unser Land dem Meere abgerungen und besaßen es zu eigen, ehe anderen das ihre zu Lehen gegeben wurde.« Der Kaiser habe erwidert: »So mögt ihr denn des Reiches Adler in eurem Wappen führen zum Gedächtnis, daß ihr wacker mitgekämpft habt zu des Reiches Ehre!« Gewisse Geschlechter führten nämlich den halben Adler im Wappen. Wie die Stedinger und die Dithmarscher litten sie unter sich keinen Adel und keine Hörige, was nicht hinderte, daß begüterte oder sonst ausgezeichnete Familien besonders angesehen waren. Ihre Demokratie war sehr aristokratisch.

      Die Dithmarscher, die das Land nördlich der Elbmündung bewohnten, waren überwiegend Niedersachsen, sehr hochgewachsen, mit schmalen Gesichtern, während die Friesen auch groß, aber mehr plump und breitgesichtig sind. Doch sind Friesen und Sachsen an der Nordsee so ineinander übergegangen, daß eine genaue Scheidung nicht möglich ist. Noch jetzt gibt es in Dithmarschen, überhaupt an der Elbmündung junge Menschen von leuchtender Schönheit, alte Menschen voll Tiefsinn und Würde, mit festen, markanten Zügen, so wie man sich germanischen Adel vorstellt. Bei ihnen erhielten sich altgermanische Sitten und Zustände zum Teil so, wie sie Tacitus geschildert hat. Sie gehörten ursprünglich zur Grafschaft Stade und mit ihr später zum Erzbistum Bremen. Als sie 1227 in der Schlacht von Bornhövede, durch welche die Herrschaft der Dänen in Niedersachsen gebrochen wurde, den Ausschlag zum Siege gaben, bedangen sie sich vom Erzbischof aus, daß er ihre Landesfreiheit unangetastet lasse, so daß sie sagen konnten, sie seien dem Erzstift verwandt und zugetan, nicht ihm unterworfen. Es war derselbe Erzbischof Gerhard II., der die Stedinger vernichtete. Die Dithmarscher behielten ihre Selbstverwaltung. Die fünf Vögte, durch die der Erzbischof seine Interessen im Lande wahrnehmen ließ, wurden aus den begüterten Landbesitzern Dithmarschens gewählt, und die entscheidende Stimme hatte die universitas terrae Dithmarsiae, die Landesgemeinde, die sich in Meldorf, der einzigen Stadt, versammelte. Später kam Lunden, als zweite Stadt, dazu. Ihre Pfarrer bestellten die Dithmarscher selbst; es galt das germanische Eigenkirchenrecht, nicht in dem Sinne, daß die Kirche ihrem Stifter gehörte, sondern so, daß die Gemeinde die kirchlichen Angelegenheiten selbst verwaltete. Das ganze Land war in Kirchspiele eingeteilt, zugleich politische und kirchliche Bezirke; darunter waren Meldorf, Büsum, Wesselburen.

      Es ist immer aufgefallen, daß im friesisch-sächsischen Recht, in friesisch-sächsischer Eigenart, im allgemeinen in der Freiheitsliebe und demokratisch-aristokratischen Gesinnung Ähnlichkeit mit den Schweizern besteht, was sich auch daraus erklären ließe, daß, wie behauptet wird, sowohl Friesen und Sachsen wie Alemannen von den Sueven abstammen. Indessen die Verschiedenheit ist ebenso groß wie die Ähnlichkeit, wie denn auch das Ergebnis der Freiheitskämpfe am Meer und in den Alpen ein verschiedenes war. Die Freiheitskämpfe der Meerfriesen und Meersachsen haben etwas von der Wildheit eines Löwen, der sich in seinem Reich gewaltig verteidigt; wagt sich einer hinein, so zermalmt ihn die königliche Tatze, und die Seinen müssen froh sein, wenn sie den blutigen Leichnam heimtragen dürfen. Da fielen König Wilhelm von Holland und viele andere holländische Grafen, da fielen Grafen von Oldenburg, da fiel Herzog Gerhard VI. von Schleswig-Holstein und mancher andere. Sie fochten kaum andere als Verteidigungsschlachten und diese mit naiver Großartigkeit. Sie hatten keine einzige befestigte Stadt; ihre Wälle waren die Sümpfe und Moore, die ihr Gebiet umgeben, die sie etwa durch Verschanzungen noch undurchdringlicher machten. Sie schützten sich auch persönlich nicht durch Harnische; die Natur ihres Landes und ihre furchtlose Tapferkeit, ihr Glauben an das Recht ihrer Freiheit waren die Mittel ihrer Siege. Die von der Natur gegebene Grundlage ihrer Freiheit auszubauen, sich mit Gleiches erstrebenden Nachbarn zu verständigen, dazu fehlte es ihnen an staatsmännischer Gesinnung. Es war ihnen wichtiger, unbehelligt zu bleiben, als sich in ihre Umwelt einzugliedern. Sie waren noch immer am liebsten allein auf ihrem Hof mit dem wie eine Adlerschwinge schirmenden Dach unter alten Eschen und Erlen. Vielleicht war es gerade die Geschlechterverfassung, die den einzelnen fest an sein Geschlecht band, einen einzelnen ohne Geschlecht überhaupt nicht kannte, die den Gemeinsinn, der zur Staatenbildung führt, weniger aufkommen ließ. Niemals schlossen sie Bündnisse mit den großen Handelsstädten, die an ihren Grenzen lagen, Hamburg, Bremen, obwohl sie gemeinsame Interessen im Kampfe gegen dieselben Fürsten nicht selten gehabt hätten. Die Bremer sahen in den Friesen, nicht durchaus mit Unrecht, Seeräuber, die Friesen gaben ihnen die Geringschätzung zurück. Zwei friesische Brüder, Didde und Gerolt, sollten in Bremen hingerichtet werden, weil sie eine Burg hatten zerstören wollen, mit der die Bremer friesische Nachbarn zu beherrschen gedachten. Nachdem Diddes Haupt gefallen war, ergriff es Gerolt und küßte den toten Mund. Als von dieser Gebärde gerührt die Ratsherren ihm das Leben schenken wollten, wenn er ein Mädchen aus der Stadt heiratete, sagte Gerolt: »Ich bin ein edler freier Friese und will lieber sterben, als eines Pelzers oder Schuhmachers Tochter zur Frau nehmen«, und ließ sich den Kopf abschlagen. So erzählt die Überlieferung. Die Dithmarscher traten zwar vorübergehend mit Hamburg, Bremen und Lüneburg in Verbindung, änderten auch mit ihrem Beistand im Anfang des 15. Jahrhunderts ihre Verfassung im Sinne einer Stärkung der Zentralgewalt, aber eine Einung von Dauer kam nicht zustande. Der Stadt Hamburg nahmen es die Dithmarscher, deren hauptsächlicher Feind ihr Nachbar, der Graf von Holstein war, sehr übel, daß sie es mit Holstein gegen Dänemark hielt. Sie zogen die Verbindung mit Dänemark immer einer solchen mit dem gehaßten Holstein vor, haben ja auch später zu Dänemark gehört.

      Die Friesen hatten einen Mittelpunkt in der Landesversammlung am Upstalsboom in der Nähe von Aurich, wo die Abgeordneten von West- und Ostfriesland zusammenkamen; aber schon im dreizehnten Jahrhundert hörte das auf. Wegen des fehlenden


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