Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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weil in diesem Augenblick Dubslav darauf aufmerksam machte, dass man noch viel vor sich habe. Zunächst die Kirche. „Seine Hochwürden, der wohl eigentlich dabeisein müsste, wird es nicht übelnehmen, wenn wir auf ihn verzichten. Aber Sie, Krippenstapel, können Sie?“

      Krippenstapel wiederholte, dass er Zeit vollauf habe. Zudem schlug die Schuluhr, und gleich beim ersten Schlage hörte man, wie’s drinnen in der Klasse lebendig wurde und die Jungens in ihren Holzpantinen über den Flur weg auf die Strasse stürzten. Draussen aber stellten sie sich militärisch auf, weil sie mittlerweile gehört hatten, dass der gnädige Herr gekommen sei.

      „Morgen, Jungens“, sagte Dubslav, an einen kleinen Schwarzhaarigen herantretend. „Bist von Globsow?“

      „Nein, gnäd’ger Herr, von Dagow.“

      „Na, lernst auch gut?“

      Der Junge griente.

      „Wann war denn Fehrbellin?“

      „Achtzehnte Juni.“

      „Und Leipzig?“

      „Achtzehnter Oktober. Immer Achtzehnter bei uns.“

      „Das ist recht, Junge . . . Da.“

      Und dabei griff er in seinen Rock und suchte nach einem Nickel. „Sehen Sie, Hauptmann, Sie sind ein bisschen ein Spötter, soviel hab’ ich schon gemerkt; aber so muss es gemacht werden. Der Junge weiss von Fehrbellin und von Leipzig und hat ein kluges Gesicht und steht Red’ und Antwort. Und rote Backen hat er auch. Sieht er aus, als ob er einen Kummer hätte oder einen Gram ums Vaterland? Unsinn. Ordnung und immer feste. Na, so lange ich hier sitze, so lange hält es noch. Aber freilich, es kommen andre Tage.“

      Woldemar lächelte.

      „Na“, fuhr der Alte fort, „will mich trösten. Als der Alte Fritz zu sterben kam, dacht’ er auch, tu ginge die Welt unter. Und sie steht immer noch, und wir Deutsche sind wieder obenauf, ein bisschen zu sehr. Aber immer besser als zuwenig.“

      Inzwischen hatte sich Krippenstapel in seiner Stube proper gemacht: schwarzer Rock mit dem Inhaberband des Adlers von Hohenzollern, den ihm sein gütiger Gutsherr verschafft hatte. Statt des Hutes, den er in der Eile nicht hatte finden können, trug er eine Mütze von sonderbarer Form. In der Rechten aber hielt er einen ausgehöhlten Kirchenschlüssel, der wie ‘ne rostige Pistole aussah.

      Der Weg bis zur Kirche war ganz nah. Und nun standen sie dem Portal gegenüber.

      Rex, zu dessen Ressort auch Kirchenbauliches gehörte, setzte sein Pincenez auf und musterte. „Sehr interessant. Ich setze das Portal in die Zeit von Bischof Luger. Prämonstratenserbau. Wenn mich nicht alles täuscht, Anlehnung an die Brandenburger Krypte. Also sagen wir zwölfhundert. Wenn ich fragen darf, Herr von Stechlin, existieren Urkunden? Und war vielleicht Herr von Quast schon hier oder Geheimrat Adler, unser bester Kenner?“

      Dubslav geriet in eine kleine Verlegenheit, weil er sich einer solchen Gründlichkeit nicht gewärtigt hatte. „Herr von Quast war einmal hier, aber in Wahlangelegenheiten. Und mit den Urkunden ist es gründlich vorbei, seit Wrangel hier alles niederbrannte. Wenn ich von Wrangel spreche, mein’ ich natürlich nicht unsern ‚Vater Wrangel‘, der übrigens auch keinen Spass verstand, sondern den Schillerschen Wrangel . . . Und ausserdem, Herr von Rex, ist es so schwer für einen Laien. Aber Sie, Krippenstapel, was meiten Sie?“

      Rex, über den plötzlich etwas von Dienstlichkeit gekommen war, zuckte zusammen. Er hatte sich an Herrn von Stechlin gewandt, wenn nicht als an einen Wissenden, so doch als an einen Ebenbürtigen, und dass jetzt Krippenstapel aufgefordert wurde, das entscheidende Wort in dieser Angelegenheit zu sprechen, wollte ihm nicht recht passend erscheinen. Überhaupt, was wollte diese Figur, die doch schon stark die Karikatur streifte. Schon der Bericht über die Bienen und namentlich was er über die Haltung der Königin und den Prince Consort gesagt hatte, hatte so merkwürdig anzüglich geklungen, und nun wurde dies Schulmeister-Original auch noch aufgefordert, über bauliche Fragen und aus welchem Jahrhundert die Kirche stamme sein Urteil abzugeben. Er hatte wohlmeislich nach Quast und Adler gefragt, und nun kam Krippenstapel! Wenn man durchaus wollte, konnte man das alles patriarchalisch finden; aber es missfiel ihm doch. Und leider war Krippenstapel — der zu seinen sonstigen Sonderbarkeiten auch noch den ganzen Trotz des Autodidakten gesellte — keineswegs angetan, die kleitten Unebenheiten, in die das Gespräch hineingeraten war, wieder glattzumachen. Er nahm vielmehr die Frage: „Krippenstapel, was meinen Sie?‘ ganz ernsthaft auf und sagte:

      „Wollen verzeihen, Herr von Rex, wenn ich unter Anlehnung an eine neuerdings erschienene Broschüre des Oberlehrers Tucheband in Templin zu widersprechen wage. Dieser Grafschaftswinkel hier ist von mehr mecklenburgischem und uckermärkischem als brandenburgischem Charakter, und wenn wir für unsre Stechliner Kirche nach Vorbildern forschen wollen, so werden wir sie wahrscheinlich in Kloster Himmelpfort oder Gransee zu suchen haben, aber nicht in Dom-Brandenburg. Ich möchte hinzusetzen dürfen, dass Oberlehrer Tuchebands Aufstellungen, soviel ich weiss, unwidersprochen geblieben sind.“

      Czako, der diesem aufflackernden Kampfe zwischen einem Ministerialassessor und einem Dorfschulmeister mit grösstem Vergnügen folgte, hätte gern noch weitere Scheite herzugetragen; Woldemar aber empfand, dass es höchste Zeit sei zu intervenieren, und bemerkte: nichts sei schwerer, als auf diesem Gebiete Bestimmungen zu treffen — ein Satz, den übrigens sowohl Rex wie Krippenstapel ablehnen zu wollen schienen —, und dass er vorschlagen möchte, lieber in die Kirche selbst einzutreten, als hier draussen über die Säulen und Kapitelle weiter zu debattieren.

      Man fand sich in diesen Vorschlag; Krippenstapel öffnete die Kirche mit seinem Riesenschlüssel, und alle traten ein.

      6

      Gleich nach zwölf — Woldemar hatte sich, wie geplant, schon lange vorher, um bei Lorenzen vorzusprechen, von den andern Herrn getrennt — waren Dubslav, Rex und Czako von dem Globsower Ausfluge zurück, und Rex, feiner Mann, der er war, war bei Passierung des Vorhofs verbindlich an die mit Zinn ausgelegte blanke Glaskugel herangetreten, um ihr, als einem mutmasslichen Produkte der eben besichtigten „grünen Glashütte“, seine Ministerialaufmerksamkeit zu schenken. Er ging dabei so weit, von „Industriestaat“ zu sprechen. Czako, der gemeinschaftlich mit Rex in die Glaskugel hineinguckte, war mit allem einverstanden, nur nicht mit seinem Spiegelbilde. „Wenn man nur bloss etwas besser aussähe . . .“ Rex versuchte zu widersprechen, aber Ezako gab nicht nach und versicherte: „Ja, Rex, Sie sind ein schöner Mann, Sie haben eben mehr zuzusetzen. Und da bleibt denn immer noch was übrig.“

      Oben auf der Rampe stand Engelke.

      „Nun, Engelke, wie steht’s? Woldemar und der Pastor schon da?“

      „Nein, gnäd’ger Herr. Aber ich kann ja die Christel schicken.“

      „Nein, nein, schicke nicht. Das stört bloss. Aber warten wollen wir auch nicht. Es war doch weiter nach Globsow, als ich dachte; das heisst, eigentlich war es nicht weiter, bloss die Beine wollen nicht mehr recht. Und hat solche Anstrengung bloss das eine Gute, dass man hungrig und durstig wird. Aber da kommen ja die Herren.“

      Und er grüsste von der Rampe her nach der Bohlenbrücke hinüber, über die Woldemar und Lorenzen eben in den Schlosshof eintraten. Rex ging ihnen entgegen. Dubslav dagegen nahm Szakos Arm und sagte: „Nun kommen Sie, Hauptmann, wir wollen derweilen ein bisschen recherchieren und uns einen guten Platz aussuchen. Mit der ewigen Veranda, das is nichts; unter der Markise steht die Luft wie ’ne Mauer, und ich muss frische Luft haben. Vielleicht erstes Zeichen von Hydropsie. Kann eigentlich Fremdwörter nicht leiden. Aber mitunter sind sie doch ein Segen. Wenn ich so zwischen Hydropsie und Wassersucht die Wahl habe, bin ich immer für Hydropsie. Wassersucht hat so was kolossal Anschauliches.“

      Unter diesen Worten waren sie bis in den Garten gekommen, an eine Stelle, wo viel Buchsbaum stand, dem Poetensteige gerad’ gegenüber. „Sehen Sie hier, Hauptmann, das wäre so was. Niedrige Buchsbaumwand. Da haben wir Luft und doch keinen Zug. Denn vor Zug muss ich mich auch hüten wegen Rheumatismus, oder vielleicht ist es auch Gicht. Und dabei hören wir das Plätschern von meiner Sanssouci-Fontäne. Was meinen Sie?“


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