Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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immer über solche Dinge reden muss; noch keine Stunde, dass ich mit dem Herrn Hauptmann über unsern Volontär Vehmever gesprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder mit Ihnen, Herr Pastor, auch über so mas. Aber es geht nicht anders. Und dann sind Sie ja doch auch wie verantmortlich für seine Seele.“

      Lorenzen lächelte. ,,Gewiss, liebe Frau von Gundermann. Aber was ist es denn? Um was handelt es sich denn eigentlich?“

      ,,Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngste von unserm Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein hübsches Balg, rotbraun und ganz kraus, und Brandt wollte, sie solle bei uns angelernt werden. Nun, wir sind kein grosses Haus, gewiss nicht, aber Mäntel abnehmen und ʼrumpräsentieren, und dass sie weiss, ob links oder rechts, soviel lernt sie am Ende doch.“

      „Gewiss. Und die Frida Brandt, oh, die kenin’ ich ganz gut; die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingesegnet. Und es ist, wie Sie sagen, ein allerliebstes Geschöpf und klug und aufgefratzt, ein bisschen zu sehr. Sie will zu Ostern nach Berlin.“

      „Wenn sie nur erst da wäre. Mir tut es beinahe schon leid, dass ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber so geht es einem immer.“

      „Ist denn was vorgefallen?“

      ,,Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja doch erst sechzehn und eine Dusche dazu, gerade wie sein Vater; der hat sich auch erst ʼrausgemausert, seit er grau geworden. Was beiläufig auch nicht gut ist. Und da komme ich nun gestern vormittag die Treppe ʼrauf und will dem Jungen sagen, dass er in den Dohnenstrich geht und nachsieht, ob Krammetsvögel da sind, und die Tür steht halb auf, was noch das beste war, und da seh’ ich, wie sie ihm eine Nase dreht und die Zungenspitze ‘raussteckt; so was von spitzer Zunge hab ich mein Lebtag noch nicht gesehen. Die reine Eva. Für die Potiphar ist sie mir noch zu jung. Und als ich nu dazwischentrete, da kriegt ja nu der arme Junge das Zittern, und weil ich nicht recht wusste, was ich sagen sollte, ging ich bloss hin und Klappte den Waschtischdeckel auf, wo der Spruch stand, und sah ihn scharf an. Und da wurde er ganz blass. Aber das Balg lachte.“

      „Ja, liebe Frau von Gundermann, das ist so; Jugend hat keine Tugend.“

      „Ich weiss doch nicht; ich bin auch einmal jung gewesen...“

      „Ja, Damen...“

      Während Frau von Gundermann in ihrem Gespräch in der Fensternische mit derartigen Intimitäteni kam und den guten Pastor Lorenzen abwechselnd in Versetzenheit und dann auch wieder in stille Heiterkeit verletzte, hatte sich Dubslav mit Hauptmann von Ezako in eine schräg gegenübergelegene Ecke zurückgezogen, wo eine altmodische Causeuse stand, mit einem Marmortischchen davor. Auf dem Tische zwei Kaffeetassen samt aufgeklapptem Likörkasten, aus dem Dubslav eine Flasche nach der anderen herausnahm. „Jetzt, wenn man von Tisch kommt, muss es immer ein Kognak sein. Aber ich bekenne Ihnen, lieber Hauptmann, ich mache die Mode nicht mit; wir aus der alten Zeit, wir waren immer ein bisschen fürs Süsse. Crème de Cacao, na, natürlich, das is Damenschnaps, davon kann keine Rede sein; aber Pomeranzen oder, wie sie jetzt sagen, Curaçao, das ist mein Fall. Darf ich Ihnen einschenken? Oder vielleicht lieber Danziger Goldwasser? Kann ich übrigens auch empfehlen.“

      ,,Dann bitte ich um Goldmasser. Es ist doch schärfer, und dann bekenne ich Ihnen offen, Herr Major... Sie kennen ja unsre Verhältnisse, so’n bisschen Gold heimelt einen immer an. Man hat keins und dabei doch zugleich die Vorstellung, dass man es trinken kann — es hat eigentlich was Grossartiges.“

      Dubslav nickte, schenkte von dem Goldmasser ein, erst für Ezako, dann für sich selbst und sagte: „Bei Tische hab’ ich die Damen leben lassen und Frau von Gundermann im speziellen. Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehen’s. Diese Rattengeschichte...“

      „Vielleicht war es ein bisschen zuviel.“

      „I, keineswegs. Und dann, Sie waren ja ganz unschuldig, die Gnäd’ge fing ja davon an; erinnern Sie sich, sie verliebte sich ordentlich in die Geschichte von den Rinnsteinbohlen, und wie sie drauf ʼrumgetrampelt, bis die Ratten ‘rauskamen. Ich glaube sogar, sie sagte ,Biester’. Aber das schadet nicht. Das ist so Berliner Stil. Und unsre Gnäd’ge hier (beiläufig eine geborene Helfrich) is eine Vollblutberlinerin.“

      „Ein Wort, das mich doch einigermassen überrascht.“

      „Ah“, drohte Dubslav schelmisch mit dem Finger, „ich verstehe. Sie sind einer gewissen Unausreichendheit begegnet und verlangen mindestens mehr Quadrat (von Kubik will ich nicht sprechen). Aber wir von Adel müssen in diesem Punkte doch ziemlich milde sein und ein Auge zudrücken, wenn das das richtige Wort ist. Unser eigenstes Vollblut bewegt sich auch in Extremen und hat einen linken und einen rechten Flügel; der linke nähert sich unsrer geborenen Helfrich. Übrigens unterhaltliche Madam. Und wie beseligt sie war, als sie den Namenszug auf Ihrer Achselklappe glücklich entdeckt und damit den Anmarsch auf die Münzstrasse gewonnen hatte. Was es doch alles für Lokalpatriotismen gibt!“

      An dem unser Regiment teilnimmt oder ihn mitmacht. Die Welt um den Alexanderplatz herum hat übrigens so ihren eigenen Zauber, schon um einer gewissen Unresidenzlichkeit willen. Ich sehe nichts lieber als die grosse Markthalle, wenn beispielsweise die Fischtonnen mit fünfhundert Aalen in die Netze gegossen werden. Etwas Anglaubliches von Gezappel.“

      ,,Finde mich ganz darin zurecht und bin auch für Alexanderplatz und Alexanderkaserne samt allem, was dazugehört. Und so brech’ ich denn auch die Gesetzenheit vom Zaun, um nach einem Ihrer früheren Regimentskommandeure zu fragen, dem liebenswürdigen Obersten von Zeuner, den ich noch persönlich gekannt habe. Hier unsere Stechliner Gegend ist nämlich Zeunergegend. Keine Stunde von hier liegt Köpernitz, eine reizende Besitzung, drauf die Zeunersche Familie schon in friderizianischen Tagen ansässig war. Bin oft drüben gewesen (nun freilich schon zwanzig Jahre zurück). und komme noch einmal mit der Frage: Haben Sie den Obersten noch gekannt?“

      „Nein, Herr Major. Er war schon fort, als ich zum Regimente kam. Aber ich habe viel von ihm gehört und auch von Köpernitz, weiss aber freilich nicht mehr, in welchem Zusammenhange.“

      „Schade, dass Sie nur einen Tag für Stechlin festgesetzt haben, sonst müssten Sie das Gut sehen. Alles ganz eigentümlich und besonders auch ein Grabstein, unter dem eine uralte Dame von beinah neunzig Jahren begraben liegt, eine geborene von Zeuner, die sich in früher Jugend schon mit einem Emigranten am Rheinsberger Hof, mit dem Grafen La Roche-Aymon, vermählt hatte. Merkwürdige Frau, von der ich Ihnen erzähle, wenn ich Sie mal wiedersehe. Nui eins müssen Sie heute schon mit anhören, denn ich glaube, Sie haben den Gustus dafür.“

      „Für alles, was Sie erzählen.“

      „Keine Schmeicheleien! Aber die Geschichte will ich Ihnen doch als Andenken mitgeben. Andre schenken sich Photographien, was ich, selbst wenn es hübsche Menschen sind (ein Fall, der übrigens selten zutrifft), immer greulich finde.“

      „Schenke nie welche.“

      „Was meine Gefühle für Sie steigert. Aber die Geschichte: Da war also drüben in Köpernitz diese La RocheAymon, und weil sie noch die Prinz-Heinrich-Tage gesehen und während derselben eine Rolle gespielt hatte, so zählte sie zu den besonderen Lieblingen Friedrich Wilhelms IV. Und als nun — sagen wir ums Jahr fünfzig — der Zufall es fügte, dass dem zur Jagd hier erschienenen König das Köpernitzer Frühstück, ganz besonders aber eine Blut- und Zungenmurst, über die Massen gut geschmeckt hatte, so wurde dies Veranlassung für die Gräfin, am nächsten Heiligabend eine ganze Kiste voll Würste nach Potsdam hin in die königliche Küche zu liefern. Und das ging so durch Jahre. Da beschloss zuletzt der gute König, sich für al die gute Gabe zu revanchieren, und als wieder Weihnachten war, traf in Köpernitz ein Postpaket ein, Inhalt: eine zierliche, kleine Blutwurst! Und zwar war es ein wunderschöner, rundlicher Blutkarneol mit Goldspeilerchen an beiden Seiten, und die Speilerchen selbst mit Diamanten besetzt. Und neben diesem Geschenk lag ein Zettelchen: ,Wurst wider Wurftʻ.“

      „Allerliebst.“

      „Mehr als das. Ich persönlich ziehe solchen guten Einfall einer guten Verfassung vor. Der König, glaub’ ich, tat es auch. Und es denken auch heute noch viele so.“

      „Gerpiss,


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