Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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Familie?“

      „Nein, Papa, du machst dieselbe Verwechslung, die beinah alle machen. Die fromme Familie, das sind die Reckes, gräflich und sehr vornehm. Die Rex’ natürlich auch, aber doch nicht so hoch hinaus und auch nicht so fromm. Allerdings nimmt mein Freund, der Ministerialassessor, einen Anlauf dazu, die Reckes womöglich einzuholen.“

      ,,Dann hab’ich also doch recht gesehn. Er hat so die Figur, die so was vermuten lässt, ein bisschen wenig Fleisch und so glatt rasiert. Habt ihr denn beim Rasieren in Kremmen gleich einen gefunden?“

      ,,Er hat alles immer bei sich; lauter englische. Von Solingen oder Suhl will er nichts wissen.“

      „Und muss man ihn denn vorsichtig anfassen, wenn das Gespräch auf kirchliche Dinge kommt? Ich bin ja, wie du weisst, eigentlich kirchlich, wenigstens kirchlicher als mein guter Pastor (es wird immer schlimmer mit ihm), aber ich bin so im Ausdruck mitunter ungenierter, als man vielleicht sein soll, und bei niedergefahren zur Hölle‘ kann mir’s passieren, dass ich nolens volens ein bisschen tolles Zeug rede. Wie steht es denn da mit ihm? Muss ich mich in acht nehmen? Oder macht er bloss so mit?“

      „Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke mir, er steht so, wie die meisten stehn; das heisst, er weiss es nicht recht.“

      „Ja, ja, den Zustand kenn’ ich.“

      „Und weil er es nicht recht weiss, hat er sozusagen die Auswahl und wählt das, was gerade gilt und nach oben hin empfiehlt. Ich kann das auch so schlimm nicht finden. Einige nennen ihn einen Streber‘. Aber wenn er es ist, ist er jedenfalls keiner von den schlimmsten. Er hat eigentlich einen guten Charakter, und im cercle intime kann er reizend sein. Er verändert sich dann nicht in dem, was er sagt, oder doch nur ganz wenig, aber ich möchte sagen, er verändert sich in der Art, wie er zuhört. Ezako meint, unser Freund Rex halte sich mit dem Ohr für das schadlos, was er mit dem Munde versäumt. Szako wird überhaupt am besten mit ihm fertig; er Schraubt ihn beständig, und Rex, was ich reizend finde, lässt sich diese Schraubereien gefallen. Daran siehst du schon, dass sich mit ihm leben lässt. Seine Frömmigkeit ist keine Lüge, bloss Erziehung, Angewohnheit, und so schliesslich seine zweite Natur geworden.“

      „Ich werde ihn bei Tisch neben Lorenzen setzen; die mögen dann beide sehn, wie sie miteinander fertig werden. Vielleicht erleben wir ’ne Bekehrung. Das heisst Rex den Pastor. Aber da höre ich eine Kutsche die Dorfstrasse ’raufkommen. Das sind natürlich Gundermanns; die kommen immer zu früh. Der arme Kerl hat mal mas von der Höflichkeit der Könige gehört und macht jetzt einen zu weitgehenden Gebrauch davon. Autodidakten übertreiben immer. Ich bin selber einer und kann also mitreden. Nun, wir sprechen morgen früh weiter; heute wird es nichts mehr. Du wirst dich auch noch ein bisschen striegeln müssen, und ich will mir ’nen schwarzen Rock anziehn. Das bin ich der guten Frau von Gundermann doch schuldig; sie putzt sich übrigens nach wie vor wie’n Schlittenpferd und hat immer noch den merkwürdigen Federbusch in ihrem Zopf — das heisst, wenn’s ihrer ist.“

      3

      Engelke schlug unten im Flur zweimal an einen alten, als Tamtam fungierenden Schild, der an einem der zwei vorspringenden und zugleich die ganze Treppe tragenden Pfeiler hing. Ebendiese zwei Pfeiler bildeten denn auch mit dem Podest und der in Front desselben angebrachten Rokokouhr einen zum Gartensalon, diesem Hauptzimmer des Erdgeschosses, führenden, ziemlich pittoresken Portikus, von dem ein auf Besuch anwesender hauptstädtischer Architekt mal gesagt hatte: sämtliche Bausünden von Schloss Stechlin würden durch diesen verdrehten, aber malerischen Einfall wiedergutgemacht.

      Die Uhr mit dem Hippenmann schlug gerade sieben, als Rex und Czako die Treppe herunterkamen und, eine Biegung machend, auf den von berufener Seite so glimpflich beurteilten sonderbaren Vorbau zusteuerten. Als die Freunde diesen passierten, sahen sie — die Türflügel waren schon geöffnet — in aller Bequemlichkeit in den Salon hinein und nahmen hier wahr, dass etliche ihnen zu Ehren geladene Gäste bereits erschienen waren. Dubslav, in dunkelm Überrock und die Bändchenrosette sowohl des Preussischen wie des Wendischen Kronenordens im Knopfloch, ging den Eintretenden entgegen, begrüsste sie nochmals mit der ihm eignen Herzlichkeit, und, beide Herren gleich danach in den Kreis der schon Versammelten einführend, sagte er: „Bitte die Herrschaften miteinander bekannt machen zu dürfen: Herr und Frau von Gundermann auf Siebenmühlen, Pastor Lorenzen, Oberförster Katzler“ und dann, nach links sich wendend, „Ministerialassessor von Rex, Hauptmann von Szako vom Regiment Alexander.“ Man verneigte sich gegenseitig, worauf Dubslav zivischen Rex und Pastor Lorenzen, Woldemar aber, als Adlatus seines Vaters, zwischen Czako und Katzler eine Verbindung herzustellen suchte, was auch ohne weiteres gelang, weil es hüben und drüben weder an gesellschaftlicher Gewandtheit noch an gutem Willen gebrach. Nur konnte Rex nicht umhin, die Siebenmühlener etwas eindringlich zu mustern, trotzdem Herr von Gundermann in Frack und weisser Binde, Frau von Gundermann aber in geblümtem Atlas mit Marabufächer erschienen war — er augenscheinlich Parvenü, sie Berlinerin aus einem nordöstlichen Vorstadtgebiet.

      Rex sah das alles. Er kam aber nicht in die Lage, sich lange damit zu beschäftigen, weil Dubslav eben jetzt den Arm der Frau von Gundermann nahm und dadurch das Zeichen zum Aufbruch zu der im Nebenzimmer gedeckten Tafel gab. Alle folgten paarweise, wie sie sich vorher zusammengefunden, kamen aber durch die von seiten Dubslavs schon vorher festgesetzte Tafelordnung wieder auseinander. Die beiden Stechlins, Vater und Sohn, plazierten sich an den beiden Schmalseiten einander gegenüber, während zur Rechten und Linken von Dubslav Herr und Frau von Gundermann, rechts und links von Woldemar aber Rex und Lorenzen sassen. Die Mittelplätze hatten Katzler und Czako inne. Neben einem grossen alten Eichenbüfett, ganz in Nähe der Tür, standen Engelke und Martin, Engelke in seiner sandfarbenen Livree mit den grossen Knöpfen, Martin, dem nur oblag, mit der Küche Verbindung zu halten, einfach in schwarzem Rock und Stulpstiefeln.

      Der alte Dubslav war in bester Laune, stiess gleich nach den ersten Löffeln Suppe mit Frau von Gundermann vertraulich an, dankte für ihr Erscheinen und entschuldigte sich wegen der späten Einladung: ,,Aber erst um zwölf kam Woldemars Telegramm. Es ist das mit dem Telegraphieren solche Sache, manches wird besser, aber manches wird auch schlechter, und die feinere Sitte leidet nun schon ganz gemiss. Schon die Form, die Abfassung. Kürze soll eine Tugend sein, aber sich kurz fassen heisst meistens auch, sich grob fassen. Jede Spur von Verbindlichkeit fällt fort, und das Wort „Herr‘ ist beispielsweise gar nicht mehr anzutreffen. Ich hatte mal einen Freund, der ganz ernsthaft versicherte: „Der hässlichste Mops sei der schönste‘; so lässt sich jetzt beinahe sagen, ,das gröbste Telegramm ist das feinste‘. Wenigstens das in seiner Art vollendetste. Jeder, der wieder eine neue Fünfpfennigersparnis herausdoktert, ist ein Genie.“

      Diese Worte Dubslavs hatten sich anfänglich an die Frau von Gundermann, sehr bald aber mehr an Gundermann selbst gerichtet, weshalb dieser letztere denn auch antmortete: „Ja, Herr von Stechlin, alles Zeichen der Zeit. Und ganz bezeichnend, dass gerade das Wort ,Herr‘, wie Sie schon hervorzuheben die Güte hatten, so gut wie abgeschafft ist. „Herr‘ ist Unsinn geworden, „Herr‘ passt den Herren nicht mehr — ich meine natürlich die, die jetzt die Welt regieren wollen. Aber es ist auch danach. Alle diese Neuerungen, an denten sich leider auch der Staat beteiligt, was sind sie? Begünstigungen der Unbotmässigkeit, also Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Weiter nichts. Und niemand da, der Luft und Kraft hätte, dies Wasser abzustellen. Aber trotzdem, Herr von Stechlin — ich würde nicht widersprechen, wenn mich das Tatsächliche nicht dazu zwänge —, trotzdem geht es nicht ohne Telegraphie, gerade hier in unsrer Einsamkeit. Und dabei das beständige Schwanken der Kurse. Namentlich auch in der Mühlen- und Brettschneidebranche...“

      „Versteht sich, lieber Gundermann. Was ich da gesagt habe... Wenn ich das Gegenteil gesagt hätte, wäre es ebenso richtig. Der Teufel is nich so schwarz, wie er gemalt wird, und die Telegraphie auch nicht und wir auch nicht. Schliesslich ist es doch was Grosses, diese Naturwissenschaften, dieser elektrische Strom, tipp, tipp, tipp, und wenn uns daran läge (aber uns liegt nichts daran), so könnten wir den Kaiser von China wissen lassen, dass wir hier versammelt sind und seiner gedacht haben. Und dabei diese merkwürdigen Verschiebungen in Zeit und Stunde. Beinahe komisch. Als Anno siebzig die Pariser. Septemberrevolution ausbrach, wusste man’s in Amerika drüben um ein paar Stunden früher, als die Revolution überhaupt


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