Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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Niemann und die del Era. Aber solche Rattenschlacht, das muss wahr sein, die haben wir nicht. Und warum nicht? Weil wir keine Katakomben haben.“

      Der alte Dubslav, der das Wort „Katakomben“ gehört hatte, wandte sich jetzt wieder über den Tisch hin und sagte: „Pardon, Herr von Szako, aber Sie müssen meiner lieben Frau von Gundermann nicht mit so furchtbar ernsten Sachen kommen, und noch dazu hier bei Tisch, gleich nach Karpfen und Meerrettich. Katakomben! Ich bitte Sie. Die waren ja doch eigentlich in Rom und erinnern einen immer an die traurigsten Zeiten, an den grausamen Kaiser Nero und seine Verfolgungen und seine Fackeln. Und da war dann noch einer mit einem etwas längeren Namen, der noch viel grausamer war, und da verkrochen sich diese armen Christen gerade in ebendiese Katakomben, und manche wurden verraten und gemordet. Nein, Herr von Ezako, da lieber was Heiteres. Tricht wahr, meine liebe Frau von Gundermann?“

      ,,Ach nein, Herr von Stechlin; es ist doch alles so sehr gelehrig. Und wenn man so selten Gesetzenheit hat...“

      „Na, wie Sie wollen. Ich hab’ es gut gemeint. Stossen wir an! Ihr Rudolf soll leben; das ist doch der Liebling, trotzdem er der Älteste ist. Wie alt ist er denn jetzt?“

      „Vierundzwanzig.“

      „Ein schönes Alter. Und wie ich höre, ein guter Mensch. Er müsste nur mehr ‘raus. Er versauert hier ein bisschen.“

      „Sag’ ich ihm auch. Aber er will nicht fort. Er sagt, zu Hause sei es am besten.“

      „Bravo. Da nehm’ ich alles zurück. Lassen Sie ihn. Zu Hause ist es am Ende wirklich am besten. Und gerade wir hier, die wir den Vorzug haben, in der Rheinsberger Gegend zu leben. Ja, wo ist so was? Erst der grosse König und dann Prinz Heinrich, der nie ʼne Schlacht verloren. Und einige sagen, er wäre noch klüger gewesen als sein Bruder. Aber ich will so was nicht gesagt haben.“

      4

      Frau von Gundermann schien auf das ihr als einziger, also auch ältester Dame zustehende Tafelaufhebungsrecht verzichten zu wollen und wartete, bis statt ihrer der schon seit einer Viertelstunde sich nach seiner M eerschaumpfeife sehnende Dubslao das Zeichen zum Aufbruch gab. Alles erhob sich jetzt rasch, um vom Esszimmer aus in den nach dem Garten hinaussehenden Salon zurückzukehren, dem es — war es Zufal oder Absicht? — in diesem Augenblick noch an aller Beleuchtung fehlte; nur im Kamin glühten ein paar Scheite, die während der Essenszeit halb niedergebrannt waren, und durch die offenstehende hohe Glastür fiel von der Veranda her das Licht der über den Parkbäumen stehenden Mondsichel. Alles gruppierte sich alsbald um Frau von Gundermann, um dieser die pflichtschuldigen Honneurs zu machen, während Martin die Lampen, Engelke den Kaffee brachte. Das ein paar Minuten lang geführte gemeinschaftliche Gespräch kam, all die Zeit über, über ein unruhiges Hin und Her nicht hinaus, bis der Knäuel, in dem man stand, sich wieder in Gruppen auflöste.

      Das erste sich abtrennende Paar waren Rex und Katzler, beide passionierte Billardspieler, die sich — Katzler übernahm die Führung — erst in den Esssaal zurück und von diesem aus in das danebengelegene Spielzimmer begaben. Das hier stehende, ziemlich vernachlässigte Billard war schon an die fünfzig Jahre alt und stammte noch aus des Vaters Zeiten her. Dubslav selbst machte sich nicht viel aus dem Spiel, aus Spiel überhaupt nicht, und interessierte sich, soweit sein Billard in Betracht kam, nur für eine sehr nachgedunkelte Karoline, von der ein Berliner Besucher mal gesagt hatte: ,,Alle Wetter, Stechlin, wo haben Sie die her? Das ist ja die gelbste Karoline, die ich all mein Lebtag gesehen habe“ — Worte, die damals solchen Eindruck auf Dubslav gemacht hatten, dass er seitdem ein etwas freundlicheres Verhältnis zu seinem Billard unterhielt und nicht ungern von seiner Karoline“ sprach.

      Das zweite Paar, das sich aus der Gemeinschaft abtrennte, waren Woldemar und Gundermann. Gundermann, wie alle an Kongestionen Leidende, fand es überall zu heiss und wies, als er ein paar Worte mit Woldemar gewechselt, auf die offenstehende Tür. „Es ist ein so schöner Abend, Herr von Stechlin; könnten wir nicht auf die Veranda hinaustreten?“

      ,,Aber gerpiss, Herr von Gundermann. Und wenn wir uns absentieren, wollen wir auch alles Gute gleich mitnehmen. Engelke, bring uns die kleine Kiste, du weisst schon.“

      ,,Ah, kapital. So ein paar Züge, das schlägt nieder, besser als Sodamasser. Und dann ist es auch wohl schicklicher im Freien. Meine Frau, wenn wir zu Hause sind, hat sich zmar daran gervöhnen müssen und spricht höchstens mal von ,paffen‘ (na, das is nicht anders, dafür is man eben verheiratet), aber in einem fremden Hause, da fangen denn doch die Rücksichten an. Unser guter alter Kortschädel sprach auch immer von ,Dehors’.“

      Unter diesen Worten waren Woldemar und Gundermann vom Salon her auf die Veranda hinausgetreten, bis dicht an die Treppenstufen heran, und sahen auf den kleinen Wasserstrahl, der auf dem Rundell aufsprang.

      „Immer wenn ich den Wasserstrahl sehe“, fuhr Gundermann fort, „muss ich wieder an unsern guten alten Kortschädel denken. Is nu auch hinüber. Na, jeder muss mal, und wenn irgendeiner seinen Platz da oben sicher hat, der hat ihn. Ehrenmann durch und durch und loyal bis auf die Knochen. Redner war er nicht, was eigentlich immer ein Vorzug, und hat mit seiner Schwätzerei dem Staate kein Geld gekostet; aber er wusste ganz gut Bescheid, und, unter vier Augen, ich habe Sachen von ihm gehört, grossartig. Und ich sage mir, solchen kriegen wir nicht wieder...“

      „Ach, das ist Schwarzseherei, Herr von Gundermann. Ich glaube, wir haben viele von ähnlicher Gesinnung. Und ich sehe nicht ein, warum nicht ein Mann wie Sie...“

      ,,Geht nicht.“

      „Warum nicht?“

      „Weil Ihr Herr Papa kandidieren will. Und da muss ich zurückstehen. Ich bin hier ein Neuling. Und die Stechlins waren hier schon...“

      „Nun gut, ich will dies letztere gelten lassen, und nur was das Kandidieren meines Vaters angeht — ich denke mir, es ist noch nicht soweit, vieles kann noch dazwischenkommen, und jedenfalls wird er schwanken. Aber nehmen wir mal an, es sei, wie Sie vermuten. In diesem Falle träfe doch gerade das zu, was ich mir soeben zu sagen erlaubt habe. Mein Vater ist in jedem Anbetracht ein treuer Gesinnungsgenosse Kortschädels, und wenn er an seine Stelle tritt, was ist da verloren? Die Lage bleibt dieselbe.“

      „Nein, Herr von Stechlin.“

      „Nun, was ändert sich?“

      „Vieles, alles. Kortschädel war in den grossen Fragen unerbittlich, und Ihr Herr Vater lässt mit sich reden...“

      „Ich weiss nicht, ob Sie da recht haben. Aber wenn es so wäre, so wäre das doch ein Glück...“

      „Ein Anglück, Herr von Stechlin. Wer mit sich reden lässt, ist nicht stramm, und wer nicht stramm ist, ist schwach. Und Schwäche (die destruktiven Elemente haben dafür eine feine Fühlung), Schwäche ist immer Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie.“

      Die vier andern der kleinen Tafelrunde waren im Gartensalon zurückgeblieben, hatten sich aber auch zu zwei und zwei zusammengetan. In der einen Fensternische, so dass sie den Blick auf den mondbeschienenen Vorplatz und die draussen auf der Veranda auf und ab schreitenden beiden Herren hatten, sassen Lorenzen und Frau von Gundermann. Die Gundermann war glücklich über das Tête-à-Tête, denn sie hatte wegen ihres jüngsten Sohnes allerhand Fragen auf dem Herzen oder bildete sich wenigstens ein, sie zu haben. Denn eigentlich hatte sie für gar nichts Interesse, sie musste bloss, richtige Berlinerin, die sie war, reden können.

      „Ich bin so froh, Herr Pastor, dass ich nun doch einmal Gesetzenheit finde. Gott, wer Kinder hat, der hat auch immer Sorgen. Ich möchte wegen meines Jüngsten so gerne mal mit Ihnen sprechen, wegen meines Arthur. Rudolf hat mir keine Sorgen gemacht, aber Arthur. Er ist nun jetzt eingesegnet, und Sie haben ihm, Herr Prediger, den schönen Spruch mitgegeben, und der Junge hat auch gleich den Spruch auf einen grossen weissen Bogen geschrieben, alle Buchstaben erst mit zwei Linien nebeneinander und dann dick ausgetuscht. Es sieht aus wie ʼn Plakat. Und diesen grossen Bogen hat er sich in die Waschtoilette geklebt, und da mahnt es ihn immer.“

      „Nun, Frau von Gundermann, dagegen ist doch nichts zu sagen.“

      „Nein, das will ich auch nicht. Eher das Gegenteil. Es hat


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