Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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notwendig ’reinfallen... Engelke, präsentiere der gnädigen Frau den Fisch noch mal. Und vielleicht nimmt auch Herr von Czako...“

      „Gewiss, Herr von Stechlin“, sagte Ezako. „Erstlich aus reiner Gourmandise, dann aber auch aus Forschertrieb oder Fortschrittsbedürfnis. Man will doch an dem, was gerade gilt oder überhaupt Menschheitsentwicklung bedeutet, auch seinerseits nach Möglichkeit teilnehmen, und da steht denn Fischnahrung jetzt obenan. Fische sollen ausserdem viel Phosphor enthalten, und Phosphor, so heisst es, macht ,helle‘.“

      „Gewiss“, kicherte Frau von Gundermann, die sich bei dem Wort „helle“ wie persönlich getroffen fühlte. „Phosphor war ja auch schon da, eb’die Schwedischen aufkamen.“.

      „Oh, lange vorher“, bestätigte Ezako. „Was mich aber“, fuhr er, sich an Dubslao wendend, fort, ,,an diesen Karpfen noch ganz besonders fesselt — beiläufig ein Prachtexemplar —, das ist das, dass er doch höchstwahrscheinlich aus Ihrem berühmten See stammt, über den ich durch Woldemar, Ihren Herrn Sohn, bereits unterrichtet bin. Dieser merkwürdige See, dieser Stechlin! Und da frag’ich mich denn unwillkürlich (denin Karpfen werden alt; daher beispielsweise die Mooskarpfen), welche Revolutionen sind an diesem hervorragenden Exemplar seiner Gattung wohl schon vorübergegangen? Ich weiss nicht, ob ich ihn auf hundertfünfzig Jahre taxieren darf; wenn aber, so würde er als Jüngling die Lissaboner Aktion und als Urgreis den neuerlichen Ausbruch des Krakatoa mitgemacht haben. Und all das ermogen, drängt sich mir die Frage auf...“

      Dubslav lächelte zustimmend.

      ,,...Und all das erwogen, drängt sich mir die Frage auf, wenn’s nun in Ihrem Stechlinsee zu brodeln beginnt oder gar die grosse Trichterbildung anhebt, aus der dann und mann, wenn ich recht gehört habe, der krähende Hahn aufsteigt, wie verhält sich da der Stechlinkarpfen, dieser doch offenbar Nächstbeteiligte, bei dem Anpochen derartiger Weltereignisse? Beneidet er den Hahn, dem es vergönnt ist, in die Ruppiner Lande hineinzukrähen, oder ist er umgekehrt ein Feigling, der sich in seinen Moorgrund verkriecht, also ein Bourgeois, der am andern Morgen fragt: ,Schiessen sie noch ?‘ “

      „Mein lieber Herr von Ezako, die Beantwortung Ihrer Frage hat selbft für einen Anwohner des Stechlin seine Schwierigkeiten. Ius Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist. Und zu dem innerlichsten und verschlossensten zählt der Karpfen; er ist nämlich sehr dumm. Aber nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung wird er sich beim Eintreten der grossen Eruption wohl verkrochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Heldentum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzustimmen, denn Sie sind noch im Dienst.“

      „Bitte, bitte“, sagte Ezako.

      Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der entgegengesetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienstlich oder ausserdienstlich aufs Land kam, immer eine Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen, und beispielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in und ausser der Ehe geborenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zugute kommende Betrachtungen zu knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblingsthema zugewandt, mar aber, weil Dubslav durch eine Zwischenfrage den Faden abschnitt, in die Lage gekommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Erfahrung gebracht hatte, dass er früher Feldjäger gewesen sei. Das gab ihm einen guten Gesprächsstoff und liess ihn fragen, ob der Herr Oberförster nicht mitunter schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde — sein früherer Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite Welt hinausgeführt, während er jetzt ,,stabiliert“ sei. „Stabilierung“ zählte zu Rex’ Lieblingswendungen und entstammte jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz, den er sich — er hatte diese Dinge dienstlich zu bearbeiten gehabt — aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Gebiete der Konversation doch nur von einer oft unausreichenden Orientierungsfähigkeit, fand sich in des Ministerialassessors etwas gedrechseltem Gedankengange nicht gleich zurecht und war froh, als ihm der hellhörige, mittlerweile wieder frei gewordene Pastor in der durch Rex aufgeworfenen Frage zu Hilfe kam. „Ich glaube herauszuhören“, sagte Lorenzen, „dass Herr von Rex geneigt ist, dem Leben draussen in der Welt vor dem in unsrer stillen Grafschaft den Vorzug zu geben. Ich weiss aber nicht, ob wir ihm darin folgen können, ich nun schon gewiss nicht, aber auch unser Herr Oberförster wird mutmasslich froh sein, seine vordem im Eisenbahnkupee verbrachten Feldjägertage hinter sich zu haben. Es heisst freilich, im engen Kreis verengert sich der Sinn‘, und in den meisten Fällen mag es zutreffen. Aber doch nicht immer, und jedenfalls hat das Weltfremde bestimmte grosse Vorzüge.“

      „Sie sprachen mir durchaus aus der Seele, Herr Pastor Lorenzen“, sagte Rex. „ Wenn es einen Augenblick vielleicht so klang, als ob der Globetrotter‘ mein Ideal sei, so bin ich sehr geneigt, mit mir handeln zu lassen. Aber etwas hat es doch mit dem ,Auch-draussen-zu-Sein‘ auf sich, und wenn Sie trotzdem für Einsamkeit und Stille plädieren, so plädieren Sie wohl in eigner Sache. Denn wie sich der Herr Oberförster aus der Welt zurückgezogen hat, so wohl auch Sie. Sie sind beide darin, ganz individuell, einem Herzenszuge gefolgt, und vielleicht, dass meine persönliche Neigung dieselben Wege ginge. Dennoch wird es andre geben, die von einem solchen sichzurückziehen aus der Welt nichts wissen wollen, die vielleicht umgekehrt statt in einem Sichhingeben an den einzelnen in der Beschäftigung mit einer Vielheit ihre Bestimmung finden. Ich glaube durch Freund Stechlin zu wissen, welche Fragen Sie seit lange beschäftigen, und bitte, Sie dazu beglückwünschen zu dürfen. Sie stehen in der christlichsozialen Bewegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen persönlich vielleicht nahesteht, er und sein Tun sprechen doch recht eigentlich für mich; sein Feld ist nicht einzelne Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, sondern eine Weltstadt. Stoeckers Auftreten und seine Mission sind eine Widerlegung davon, dass das Schaffen im Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere sein müsse.“

      Lorenzen war daran gewöhnt, sei’s zu Lob, sei’s zu Tadel, sich mit dem ebenso gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele gestellt zu sehen, und empfand dies jedesmal als eine Huldigung. Aber nicht minder empfand er dabei regelmässig den tiefen Unterschied, der zwischen dem grossen Agitator und seiner stillen Weise lag. „Ich glaube, Herr von Rex“, nahm er wieder das Wort, „dass Sie den Vater der Berliner Bewegungʻ sehr richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur Zufriedenheit des Geschilderten selbft, was, wie man sagt, nicht eben leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht anscheinend in einem Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel geschlagen und sieht sich geliebt und gehuldigt, nicht nur seitens derer, denen er mildtätig die Schuhe schneidet, sondern beinah mehr noch im Lager derer, denen er das Leder zu den Schuhen nimmt. Er hat schon so viele Beinamen, und der des heiligen Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben, die sein Tun im guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag ist nahe, wo der so Ruhige und zugleich so Mutige, der seine Ziele so weit steckte, sich in die Enge des Daseinis zurücksehnen wird. Er besitzt, wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgendwo in Franken, und wohl möglich, ja mir persönlich geradezu wahrscheinlich, dass ihm an jener stillen Stelle früher oder später ein echteres Glück erblüht, als er es jetzt hat. Es heisst wohl, ,Gehet hin und lehret alle Heiden‘, aber schöner ist es doch, wenn die Welt, unis suchend, an uns herankommt. Und die Welt kommt schon, wenn die richtige Persönlichkeit sich ihr auftut. Da ist dieser Wörishofener Pfarrer — er sucht nicht die Menschen, die Menschen suchen ihn. Und wenn sie kommen, so heilt er sie, heilt sie mit dem Einfachsten und Natürlichften. Übertragen Sie das vom Äussern aufs Innere, so haben Sie mein Ideal. Einen Brunnen graben just an der Stelle, wo man gerade steht. Innere Mission in nächster Nähe, sei’s mit dem Alten, sei’s mit etwas Neuem.“

      „Also mit dem Neuen“, sagte Woldemar und reichte seinem alten Lehrer die Hand.

      Aber dieser antwortete: „Nicht so ganz unbedingt mit dem Neuen. Lieber mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muss.“

      Das Mahl war inzwischen vorgeschritten und bei einem Gange angelangt, der eine Spezialität von Schloss Stechlin mar und jedesmal die Bewunderung seiner Gäste: losgelöste Krammetsvögelbrüste, mit einer


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