Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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besseren Tagen her, und als jeder davon genommen, erhob sich Dubslav, um erst kurz seine lieben Gäste zu begrüssen, dann aber die Damen leben zu lassen. Er müsse bei diesem Plural bleiben, trotzdem die Damenwelt nur in einer Einheit vertreten sei; doch er gedenke dabei neben seiner lieben Freundin und Tischnachbarin (er küsste dieser huldigend die Hand) zugleich auch der „Gemahlin“ seines Freundes Katzler, die leider — wenn auch vom Familienstandpunkt aus in hocherfreulichster Veranlassung — am Erscheinen in ihrer Mitte verhindert sei: „Meine Herren, Frau Oberförster Kabler“ — er machte hier eine kleine Pause, wie wenn er eine höhere Titulatur ganz ernsthaft in Erwägung gezogen hätte —, „Frau Oberförster Katzler und Frau von Gundermann, sie leben hoch!“ Rex, Czako, Katzler erhoben sich, um mit Frau von Gundermann anzustossen; als aber jeder von ihnen auf seinen Platz zurückgekehrt war, nahmen sie die durch den Toast unterbrochenen Privatgespräche wieder auf, wobei Dubslav als guter Wirt sich darauf beschränkte, kurze Bemerkungen nach links und rechts hin einzustreuen. Dies war indessen nicht immer leicht, am wenigsten leicht bei dem Geplauder, das der Hauptmann und Frau von Gundermann führten und das so pausenlos verlief, dass ein Einhaken sich kaum ermöglichte. Czako mar ein guter Sprecher, aber er verschmand teben seiner Partnerin. Ihres Vaters Laufbahn, der es (ursprünglich Schreib- und Zeichenlehrer) in einer langen, schon mit Anno dreizehn beginnenden Dienstzeit bis zum Hauptmann in der „Plankammer“ gebracht hatte, gab ihr in ihren Augen eine gewisse militärische Zugehörigkeit, und als sie, nach mehrmaligem Auslugen, endlich den ihr wohlbekannten Namenszug des Regiments Alexander auf Czakos Achselklappe erkannt hatte, sagte sie: „Gott..., Alexander. Nein, ich sage. Mir war aber doch auch gleich so — Münzstrasse. Wir wohnten ja Linienstrasse, Eckssse der Weinmeister — das heisst, als ich meinen Mann Kennenlernte. Vorher draussen, Schönhauser Allee. Wenn man so wen aus seiner Gegend wiedersieht! Ich bin ganz glücklich, Herr Hauptmann. Ach, es ist zu traurig hier. Und wenn wir nicht den Herrn von Stechlin hätten, so hätten wir so gut wie gar nichts. Mit Katzlers“, aber dies flüsterte sie nur leise, „mit Katzlers ist es nichts, die sind zu hoch ’raus. Da muss man sich denn klein machen. Und so toll ist es am Ende doch auch noch nicht. Jetzt passen sie ja noch leidlich. Aber abwarten.“

      „Sehr wahr, sehr wahr“, sagte Ezako, der, ohne was sicheres zu verstehen, nur ein während des Dubslavschen Toastes schon gehabtes Gefühl bestätigt sah, dass es mit den Katzlers was Besonderes auf sich haben müsse. Frau von Gundermann aber, den ihr unbequemen Flüsterton aufgebend, fuhr mit wieder lauter werdender Stimme fort: „Wir haben den Herrn von Stechlin, und das ist ein Glück, und es ist auch bloss eine gute halbe Meile. Die meisten andern wohnen viel zu meit, und wenn sie auch näher wohnten, sie wollen alle nicht recht; die Leute hier, mit denen wir eigentlich Umgang haben müssten, sind so diffizil und legen alles auf die Goldwaage. Das heisst, vieles setzen sie nicht auf die Goldmaage, dazu reicht es bei den meisten nicht aus; nur immer die Ahnen. Und sechzehn ist das wenigste. Ja, wer hat gleich sechzehn? Gundermann ist erst geadelt, und wenn er nicht Glück gehabt hätte, so wär’ es gar nichts. Er hat nämlich klein angefangen, bloss mit einer Mühle; jetzt haben wir nun freilich sieben, immer den Rhin entlang, lauter Schneidemühlen, Bohlen und Bretter, einzöllig, zweizöllig und noch mehr. Und die Berliner Dielen, die sind fast alle von uns.“

      „Aber meine gnädigste Frau, das muss Ihnen doch ein Hochgefühl geben. Alle Berliner Dielen! Und dieser Rhinfluss, von dem Sie sprechen, der vielleicht eine ganze Seenkette verbindet und woran mutmasslich eine reizende Villa liegt! Und darin hören Sie Tag und Nacht, wie nebenan in der Mühle die Säge geht, und die dicht herumstehenden Bäume bewegen sich leise. Mitunter natürlich ist auch Sturm. Und Sie haben eine Pony-Equipage für Ihre Kinder. Ich darf doch annehmen, dass Sie Kinder haben? Wenn man so abgeschieden lebt und so beständig aufeinander angewiesen ist...“

      „Es ist, wie Sie sagen, Herr Hauptmann; ich habe Kinder, aber schon erwachsen, beinah alle, denn ich habe mich jung verheiratet. Ja, Herr von Ezako, man ist auch einmal jung geresen. Und es ist ein Glück, dass ich die Kinder habe. Sonst ist kein Mensch da, mit dem man ein gebildetes Gespräch führen kann. Mein Mann hat seine Politik und möchte sich wählen lassen, aber es wird nichts, und wenn ich die Journale bringe, nicht mal die Bilder sieht er sich an. Und die Geschichten, sagt er, seien bloss dummes Zeug und bloss Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie. Seine Mühlen, was ich übrigents recht und billig finde, sind ihm lieber.“

      „Aber Sie müssen doch viele Menschen um sich herum haben, schon in Ihrer Wirtschaft.“

      ,,Ja, die hab’ ich, und die Mamsells, die man so kriegt, ja, ein paar Wochen geht es; aber dann bändeln sie gleich an, am liebsten mit ’nem Volontär; wir haben nämlich auch Volontärs in der Mühlenbranche. Und die meisten sind aus ganz gutem Hause. Die jungen Menschen passen aber nicht auf, und da hat man’s denn, und immer gleich Knall und Fall. All das ist doch traurig, und mitunter ist es auch so, dass man sich geradezu genieren muss.“

      Ezako seufzte. „Mir ein Greuel, all dergleichen. Aber ich weiss vom Manöver her, was alles vorkommt. Und mit einer Schläve... nichts schlauer als verliebte Menschen. Ach, das ist ein Kapitel, womit man nicht fertig wird. Aber Sie fagten Linienstrasse, meine Gnädigste. Welche Nummer denn? Ich kenne da beinahe jedes Haus, kleine, nette Häuser, immer bloss Beletage, höchstens mal ein Oeil de Boeuf.“

      „Wie? Was?“

      „Grosses rondes Fenster ohne Glas. Aber ich liebe diese Häuser.“

      „Ja, das kann ich auch von mir sagen, und in gerade solchen Häusern hab’ ich meine beste Zeit verbracht, als ich noch ein Quack war, höchstens vierzehn. Und so grausam mild. Damals waren nämlich noch die Rinnsteine, und wenn es dann regnete und alles überschwemmt war und die Bretter anfingen, sich zu heben, und schon so halb herumschwammen, und die Ratten, die da drunter steckten, nicht mehr wussten, wo sie hin sollten, dann sprangen wir auf die Bohlen ’rauf, und nun die Biester ’raus, links und rechts, und die Jungens hinterher, immer aufgekrempelt und ganz nackigt. Und einmal, weil der eine Junge nicht abliess und mit seinten Holzpantinen immer drauflos schlug, da wurde das Untier falsch und biss den Jungen so, dass er schrie! Nein, so habʼich noch keinen Menschen wieder schreien hören. Und es war auch fürchterlich.“

      „Ja, das ist es. Und da helfen bloss Rattenfänger.“

      „Ja, Rattenfänger, davon hab’ ich auch gehört — Rattenfänger von Hameln. Aber die gibt es doch nicht mehr.“

      ,,Nein, gnädige Frau, die gibt es nicht mehr, wenigstens nicht mehr solche Hexenmeister mit Zauberspruch und einer Pfeife zum Pfeifen. Aber die meine ich auch gar nicht. Ich meine überhaupt nicht Menschen, die dergleichen als Metier betreiben und sich in den Zeitungen anzeigen, unheimliche Gesichter mit einer Pelzkappe. Was ich meine, sind bloss Pinscher, die nebenher auch noch ,Rattenfänger‘ heissen und es auch wirklich sind. Und mit einem solchen Rattenfänger auf die Jagd gehen, das ist eigentlich das Schönste, was es gibt.“

      „Aber mit einem Pinscher kann man doch nicht auf die Jagd gehen!“

      „Doch, doch, meine gnädigste Frau. Als ich in Paris war (ich war da nämlich mal hinkommandiert), da bin ich init ’runtergestiegen in die sogenannten Katakomben, hochgewölbte Kanäle, die sich unter der Erde hinziehen. Und diese Kanäle sind das wahre Ratteneldorado; da sind sie zu Millionen. Oben drei Millionen Franzosen, unten drei Millionen Ratten. Und einmal, wie gesagt, bin ich da mit ’runtergeklettert und in einem Boote durch diese Unterwelt hingefahren, immer mitten in die Ratten hinein.“

      „Grässlich, grässlich! Und sind Sie heil wieder ’rausgekommen?“

      „Im ganzen ja. Denn, meine gnädigste Fran, eigentlich war es doch ein Vergnügen. In unserm Kahn hatten wir nämlich zwei solche Rattenfänger, einen vorn und einen hinten. Und nun hätten Sie sehen sollen, wie das losging. ,Schnapp’, und das Tier um die Ohren geschlagen, und tot war es. Und so weiter, so schnell, wie Sie nur zählen können, und mitunter noch schneller. Ich kann es nur vergleichen mit Mr. Carver, der bekannten Mr. Carver, von dem Sie gewiss einmal gelesen haben, der in der Sekunde drei Glaskugeln wegschoss. Und so immerzu, viele Hundert. Ja, so was wie diese Rattenjagd da unten, das vergisst man nicht wieder. Es war aber auch das Beste da. Denn was sonst noch von Paris geredet wird, das ist alles übertrieben; meist dummes Zeug. Was haben sie denn Grosses? Opern und Zirkus und Museum und in einem Saal ‘ne


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