Der Stechlin. Theodor Fontane

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Der Stechlin - Theodor Fontane


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nicht meitab davon. Aber ich fürchte doch, dass wir mit dieser unsrer Anschauung sehr in der Minorität bleiben.“

      ,,Werden wir. Aber Vernunft ist immer nur bei wenigen. Es wäre das beste, wenn ein einziger Ulter-Fritzen-Verstand die ganze Geschichte regulieren könnte. Freilich braucht ein solcher oberster Wille auch seine Werkzeuge. Die haben wir aber noch in unserm Adel, in unsrer Armee und speziell auch in Ihrem Regiment.“

      Während der Alte diesen Trumpf ausspielte, kam Engelke, um ein paar neue Tassen zu präsentieren.

      „Nein, nein, Engelke, wir sind schon weiter. Aber stell nur hin... In Ihrem Regiment, sag’ ich, Herr von Czako. Schon sein Name bedeutet ein Programm, und dieses Programm heisst: Russland. Heutzutage darf man freilich kaum noch davon reden. Aber das ist Unsinn. Ich sage Ihnen, Hauptmann, das waren Prenssens beste Tage, als da bei Potsdam herum die Russische Kirche‘ und das Rüssische Haus’ gebaut wurden und als es immer hin und her ging zwischen Berlin und Petersburg. Ihr Regiment, Gott sei Dank, unterhält noch was von den alten Beziehungen, und ich freue mich immer, wenn ich davon lese, vor allem, wenn ein russischer Kaiser kommt und ein Doppelposten vom Regiment Alexander vor seinem Palais steht. Und noch mehr freu’ ich mich, wenn das Regiment Deputationen schickt: Georgsfest, Namenstag des hohen Chefs, oder wenn sich’s auch bloss um Uniformabänderungen handelt, beispielsweise Klappkragen statt Stehkragen (diese verdammten Stehkragen) — und wie dann der Kaiser alle begrüsst und zur Tafel zieht und so bei sich denkt: ,Ja, ja, das sind brave Leute; da hab’ ich meinen Halt.ʻ “

      Czako nickte, war aber doch in sichtlicher Versetzenheit, weil er, trotz seiner vorher versicherten „Sympathien“, ein ganz moderner, politisch stark angekränkelter Mensch war, der, bei strammster Dienstlichkeit, zu all dergleichen Überspanntheiten ziemlich kritisch stand. Der alte Dubslav nahm indessen von alledem nichts wahr und fuhr fort: „Und sehen Sie, lieber Hauptmann, so hab’ ich’s persönlich in meinen jungen Jahren auch noch erlebt und vielleicht noch ein bisschen besser; denn, Pardon, jeder hält seine Zeit für die beste. Vielleicht sogar, dass Sie mir zustimmen, wenn ich Ihnen mein Sprüchel erst ganz hergesagt haben werde. Da haben wir ja nun ,jenseits, des Nemen’, wie manche Gebildete jetzt sagens, die ,drei Alexander’ gehabt, den ersten, den zweiten und den dritten, alle drei grosse Herren und alle drei richtige Kaiser und fromme Leute oder doch beinah fromm, die’s gut mit ihrem Volk und mit der Menschheit meinten, und dabei selber richtige Menschen; aber in dies Alexandertum, das so beinah das ganze Jahrhundert ausfüllt, da schiebt sich doch noch einer ein, ein Nicht-Alexander, und, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen, der war doch der Häupter. Und das war. unser Nikolaus. Manche dummen Kerle haben Spottlieder auf ihn gemacht und vom schwarzen Niklas gesungen, wie man Kinder mit dem schwarzen Mann graulich macht, aber war das ein Mann! Und dieser selbige Nikolaus, nun, der hatte hier, ganz wie die drei Alexander, auch ein Regiment, und das waren die Nikolaus-Kürassiere, oder sag’ ich lieber: das sind die Nikolaus-Kürassiere, denn wir haben sie, Gott sei Dank, noch. Und sehen Sie, lieber Czako, das war mein Regiment, dabei hab’ ich gestanden, als ich noch ein junger Dachs war, und habe dann den Abschied genommen; viel zu früh; Dummheit, hätte lieber dabeibleiben sollen.“

      Ezako nickte. Dubslav nahm ein neues Glas von dem Goldwasser. „Unsere Nikolaus-Kürassiere, Gott erhalte sie, wie sie sind! Ich möchte sagen, in dem Regiment lebt noch die Heilige Alliance fort, die Waffenbrüderschaft von Anno dreizehn, und dies Anno dreizehn, das wir mit den Russen zusammen durchgemacht haben, immer nebeneinander im Biwak, in Glück und Unglück, das war doch unsre grösste Zeit. Grösser als die jetzt grosse. Grosse Zeit ist es immer nur, wenn’s beinah schiefgeht, wenn man jeden Augenblick fürchten muss: Jetzt ist alles vorbei.ʻ Da zeigt sich’s. Courage ist gut, aber Ausdauer ist besser. Ausdauer, das ist die Hauptsache. Nichts im Leibe, nichts auf dem Leibe, Hundekälte, Regen und Schnee, so dass man so in der nassen Patsche liegt, und höchstens ʼnen Kornus (Kognak, ja hast du was, den gab es damals kaum), und so die Nacht durch, da konnte man Jesum Christum erkennen lernen. Ich sage das, wenn ich auch nicht mit dabeigemesen. Anno dreizehn, bei Grossgörschen, das war für uns die richtige Waffenbrüderschaft jetzt haben wir die Waffenbrüderschaft der Orgeldreher und Mausefallenhändler. Ich bin für Russland, für Nikolaus und Alexander. Preobraschensk, Semenow, Kaluga — da hat man die richtige Anlehnung; alles andre ist revolutionär, und was revolutionär ist, das wackelt.“

      Kurz vor elf, der Mond war inzwischen unter, brach man auf, und die Wagen fuhren vor, erst der Katzlersche Kaleschwagen, dann die Gundermannsche Chaise; Martin aber, mit einer Stallaterne, leuchtete dem Pastor über Vorhof und Bohlenbrücke fort, bis an seine ganz im Dunkel liegende Pfarre. Gleich darauf zogen sich auch die drei Freunde zurück und stiegen, unter Vorantritt Engelkes, die grosse Treppe hinauf, bis auf den Podeft. Hier trennten sich Rex und Czako von Woldemar, dessen Zimmer auf der andern Flurseite gelegen war.

      Czako, sehr müde, war im Nu bettfertig. „Es bleibt also dabei, Rex, Sie logieren sich in dem Rokokozimmer ein — wir wollen es ohne weiteres so nennen —, und ich nehme das Himmelbett hier in Zimmer Nummer eins. Vielleicht wäre das Umgekehrte richtiger, aber Sie haben es so gewollt.“

      Und während er noch so sprach, schob er seine Stiefel auf den Flur hinaus, schloss ab und legte sich nieder.

      Rex war derweilen mit seiner Plaidrolle beschäftigt, aus der er allerlei Toilettengegenstände hervorholte. ,,Sie müssent mich entschuldigen, Ezako, wenn ich mich noch eine Viertelstunde hier bei Ihnen aufhalte. Habe nämlich die Angervohnheit, mich abends zu rasieren, und der Toilettentisch mit Spiegel, ohne den es doch nicht gut geht, der steht nun mal hier an Ihrem, statt an meinem Fenster. Ich muss also stören.“

      „Mir sehr recht, trotz aller Müdigkeit. Nichts besser, als noch ein bisschen aus dem Bett heraus plaudern können. Und dabei so warm eingemummelt. Die Betten auf dem Lande sind überhaupt das beste.“

      „Nun, Ezako, das freut mich, dass Sie so bereit sind, mir Quartier zu gönnen. Aber wenn Sie noch eine Plauderei haben wollen, so müssen Sie sich die Hauptsache selber leisten. Ich schneide mich sonst, was dann hinterher immer ganz schändlich aussieht. Übrigens muss ich erst Schaum schlagen, und solange wenigstens kann ich Ihnen Red’ und Antwort stehen. Ein Glück nebenher, dass hier ausser der kleinen Lampe noch diese zwei Leuchter sind. Wenn ich nicht Licht von rechts und links habe, komme ich nicht von der Stelle; das eine wackelt zwar (alle diese dünnen Silberleuchter wakkeln), aber wenn gute Reden sie begleiten...‘ Also strengen Sie sich an. Wie fanden Sie die Gundermanns? Sonderbare Leute — haben Sie schon mal den Namen Gundermann gehört?“

      „Ja. Aber das war in Waldmeisters Brautfahrtʻ.“

      „Richtig! so mirkt er auch. Und nun gar erst die Frau. Der einzige, der sich sehen lassen konnte, war dieser Katzler. Ein Karambolespieler ersten Ranges. Übrigens Eisernes Kreuz.“

      „Und dann der Pastor.“

      „Nun ja, auch der. Eine ganz gescheite Nummer. Aber doch ein wunderbarer Heiliger, wie die ganze Sippe, zu der er gehört. Er hält zu Stoecker, sprach es auch aus, was neuerdings nicht jeder tut; aber der „neue Lutherʻ, der doch schon gerade bedenklich genug ist — Majetztät hat ganz recht mit seiner Verurteilung —, der geht ihm gewiss nicht weit genug. Dieser Lorenzen erscheint mir, im Gegensatz zu seinen Jahren, als einer der Allerjüngsten. Und zu verwundern bleibt nur, dass der Alte so gut mit ihm steht. Freund Woldemar hat mir davon erzählt. Der Alte liebt ihn und sieht nicht, dass ihm sein geliebter Pastor den Aft abfägt, auf dem er sitzt. Ja, diese von der neuesten Schule, das sind die Allerschlimmsten. Immer Volk und wieder Volk, und mal auch etwas Christus dazwischen. Aber ich lasse mich so leicht nicht hinters Licht führen. Es läuft alles darauf hinaus, dass sie mit uns aufräumen wollen, und mit dem alten Christentum auch. Sie haben ein neues, und das überlieferte behandeln sie despektierlich.“

      „Kann ich ihnen unter Umständen nicht verdenken. Seien Sie gut, Rex, und lassen Sie Konventikel und Partei mal beiseite. Das Überlieferte, was einem da so vor die Klinge kommt, namentlich wenn Sie sich die Menschen ansehen, wie sie nun mal sind, ist doch sehr reparaturbedürftig, und auf solche Reparatur ist ein Mann wie dieser Lorenzen eben aus. Machen Sie die Probe. Hie Lorenzen, hie Gundermann. Und Ihren guten Glauben in Ehren, aber Sie werden diesen Gundermann doch nicht über den Lorenzen stellen und ihn überhaupt nur ernsthaft nehmen wollen. Und wie dieser Wassermüller


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