Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst. Mika D. Mon
Читать онлайн книгу.Kopf. Ich weiß, ich übertreibe total. Vor allem, da ich dazu ein perlmuttfarbenes Paillettenkleid trage, das im Licht funkelt wie eine Bordelltür. Ich sehe aus wie eine Diskokugel auf zwei Beinen und ich fühle mich gut damit.
Es wird Zeit, dass ich mein Instagram-Profil aufräume und ein paar neue Bilder poste. Meine Follower haben seit Wochen nichts mehr von mir gehört und ich bin gespannt, was sie zu meinem Look sagen werden. Ich werfe mich mit meinem Handy aufs Bett, scrolle durch Feeds, schaue mir die neusten Storys an und schreibe mit meinen Freunden im Internet. Während ich durch die sozialen Medien surfe, kommt mir eine Idee. Ich beiße mir auf die Unterlippe und suche im Internet nach Seth. Seth Mayers. Corvin Lupei. Ich tippe alles ein, was ich über ihn weiß, aber ohne Erfolg. Wie ich es mir bereits dachte, ist seine Identität im Gegensatz zu meiner nicht überall online zu finden. Enttäuscht gebe ich mein Vorhaben auf und kümmere mich wieder um meine Profile.
Es ist mir klar, dass ich nur eine Fassade aufbaue, um das dahinterliegende, bröckelnde Gemäuer zu verbergen. Aber für den Moment hilft es mir. Wenigstens für ein paar Augenblicke bin ich wieder die alte, fröhliche Kiki. Prompt entscheide ich mich dazu, Leo eine Nachricht zu schreiben. Ich habe Lust, etwas zu unternehmen – selbst wenn es nur Eisessen ist.
Ich: »Hey Leo! Wie geht es dir? Hast du schon was vor? Lass uns zusammen was unternehmen! :)«
Leo: »Klar, was wollen wir machen? Mir geht es gut und dir, Süße?«
Ich: »Mir geht es auch gut! Wie wäre es, wenn wir ein Eis essen gehen? Ansgar und Dimitri werden dabei sein, wenn das okay ist …«
Leo: »Und wenn dir 20 von den Typen folgen würden, wäre das okay, solange dir nichts passiert!«
Ich setze gerade zu einer Antwort an, als ich von ungewöhnlich vielen dröhnenden Motorrad- und Autogeräuschen draußen abgelenkt werde.
Was für Affen machen da so einen Radau und verpesten die Luft?
Ich stehe von meinem Bett auf und will zum Fenster gehen, als plötzlich ein ohrenbetäubendes Krachen zusammen mit einer Erschütterung die Luft zerreißt.
BOOM
Instinktiv ducke ich mich, reiße meine Hände hoch über meinen Kopf.
Mir bleibt kaum Zeit, mich zu fragen, was das war, als die Wände Risse bekommen. Kleine Steinchen rieseln von der Decke.
BOOM
Eine zweite Explosion ganz in meiner Nähe zersprengt die Betonwand. Mein Trommelfell gibt nur noch ein lautes Fiepen von sich.
Ich schreie – glaube ich – denn ich kann mich selbst nicht hören. Mein Sichtfeld ist eingetrübt von herumfliegendem Staub, Steinchen und Qualm.
Ich huste.
»PAPA!«, rufe ich so laut ich kann. Ich taumle auf die Tür zu. Die Risse in der Wand werden immer größer und ziehen sich inzwischen auch über den Boden. Die Etage wird einstürzen.
»PAPA!«
Da ich nichts mehr höre, weiß ich nicht, ob mich jemand ruft. Ob mir jemand sagt, was ich tun soll. Ohne es zu wollen, schießen Tränen aus meinen Augen. Vor Verzweiflung oder wegen dem Rauch und dem Staub, ich weiß es nicht.
Irgendwie schaffe ich es, die Tür zu erreichen und betrete den Flur. Es sieht aus wie auf einem Kriegsschauplatz. Die Treppe nach unten ist in der Mitte zersprengt, ein Teil des Daches fehlt. Überall liegen brennende Gegenstände herum. Ich entdecke den großen Körper von Ansgar, der über einer zerbrochenen Mauer liegt.
Als ich mit bebendem Herzen näher gehe, erkenne ich das volle Ausmaß des Schreckens. Seine gesamte rechte Körperhälfte fehlt. Blut und Eingeweide quillen aus ihm heraus. Seine blauen Augen blicken offen und leer ins Nichts. Ich glaube, ich schreie schon wieder und hechte an ihm vorbei zur Treppe.
Ein paar der Stufen sind noch übrig, bis ich vor einem qualmenden Abgrund stehe.
»DIMITRI?«, rufe ich, versuche, durch den dichten Qualm etwas zu erkennen. Plötzlich höre ich Schüsse. Sogar sie erreichen mich nur gedämpft. Aus der Küche sehe ich Lichtblitze. Obwohl ich fliehen sollte, zieht es mich dorthin. Ich muss wissen, wo mein Vater ist. Ob es ihm gut geht, ob er lebt …
Vom Adrenalin getrieben setze ich mich hin, rutsche mit den Beinen voran zum Ende der Treppe. Ich drehe mich um, lasse mich langsam nach unten gleiten und halte mich solange oben fest, bis meine Füße kurz vor dem Boden baumeln. Mein Fall ist nicht mehr tief. Dabei ist es mir egal, dass die scharfen Kanten des Betons meine Finger einschneiden. Ich schaffe es nach unten, laufe nur auf meinen Nylonstrumpfhosen durch das Geröll auf die Küche zu. Diesmal rufe ich nicht wieder, sondern versuche möglichst leise zu sein.
Bitte lass ihn leben! Bitte lass meinen Vater leben!
Als ich die Küche erreiche, halte ich den Atem an, sehe vorsichtig um die Ecke in den Raum.
Das Bild brennt sich in meine Netzhaut.
Nicht nur das Haus, sondern auch mein Leben liegt in Schutt und Asche. Mein Vater sackt gerade auf die Knie. Dimitri liegt vor ihm. Sein Kopf ist zur Seite gedreht. In seiner Stirn klafft ein kleines, rundes Loch, aus welchem Blut sickert. Genau wie bei Ansgar geht sein Blick ins Leere. Mir wird klar, die Welt hat einen weiteren Helden verloren.
Zwei vermummte Gestalten treten über die Leiche des Personenschützers hinweg, der bis zu seinem letzten Atemzug meinen Vater beschützt hat. Die Typen sprechen irgendwas auf Italienisch oder Spanisch – keine Ahnung. Dann richtet einer den Lauf seiner Waffe auf die Stirn meines Vaters, welchem Tränen über das Gesicht laufen und helle Spuren auf der schmutzigen Haut hinterlassen.
NEIN!
»NEIN!!!« Ich schreie. Laut. Meine Kehle schmerzt.
Die Männer sehen erschrocken auf. Als sie mich erblicken, huscht ein gewinnender Ausdruck über ihre Augen.
»Viktoria! Nein! Lauf weg!!«, ruft mein Vater.
In diesem Moment drückt der Eindringling ab. Der Kopf meines Vaters ruckt zurück. Er sackt auf den toten Körper von Dimitri hinunter. Bleibt reglos liegen.
»PAPA!« Mein Herz zerspringt in seine Einzelteile, als der Schmerz des Verlustes mich mit voller Wucht erfasst. Ich will es nicht glauben. Kann es nicht glauben. Es darf einfach nicht wahr sein.
Der eine sagt wieder etwas in der fremden Sprache und nickt in meine Richtung. Der andere kommt auf mich zu. Sie werden mich mitnehmen. Wozu? Es geht nicht mehr um die Medikamente. Dann hätten sie mich ebenfalls erschossen.
Es gibt nur eine Möglichkeit: Rache. Rache dafür, dass Luis Angelo, der Sohn des großen Los Caídos Chefs Jovan Angelo, wegen mir gestorben ist. Sie werden mich mitnehmen.
Vergewaltigen.
Foltern.
Töten.
Eine andere Erklärung gibt es nicht.
Hektisch atmend blicke ich zu dem Mann, der auf mich zukommt. Dann zu meinem Vater. Ich will loslaufen, aber meine Beine sind wie gelähmt. Sie sind taub, hören nicht auf mich.
Plötzlich schnellt ein Schatten an mir vorbei. Meine Haare werden von einem Luftzug erfasst. Ich erkenne Grimm, der wie ein Geschoss in den Raum stürmt und beide Männer überrascht.
Er hat den ersten mit einem sauberen Kehlenschnitt erwischt, bevor der andere auf ihn zielen kann. Der Fremde schießt. Grimm ist ein zu bewegliches Ziel und er ist längst zu nah. Er kann den Waffenarm nach oben schlagen. Der Schuss landet in der Zimmerdecke.
Im nächsten Moment legen sich kräftige Finger um mein Handgelenk. Ich werde mit einem Ruck von dem Geschehen fortgezogen.
»NEIN!«, kreische ich und versuche mich loszureißen, aber ich werde erbarmungslos weggezogen.
Als wir im Flur stehenbleiben, finde ich mich plötzlich