Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

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Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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      Das Wahre indessen – was er aber freilich (aus einer Ursache, die in unsern Tagen schwerlich stattfände) ohne Hülfe des besagten Zauberers unmöglich wissen konnte – war, daß die schöne Narcissa, bei aller ihrer Kälte und anscheinenden Unaufmerksamkeit, sich mehr, als sie selbst gewahr zu werden schien, mit ihm beschäftigte. Hermeline, die vertrauteste ihrer Dienerinnen, hätte ihm viel davon erzählen können, wenn sie nicht zugleich die treueste, verschwiegenste und unbestechlichste aller Zofen im ganzen trapezuntischen Kaiserreich gewesen wäre. Hermeline war in der Tat die einzige Person in der Welt, mit welcher Heliane von dem Prinzen Dagobert sprach; aber mit ihr sprach sie auch von nichts anderm. Hermeline hörte zwar kein Wort aus dem Mund ihrer Gebieterin, woraus sie berechtigt gewesen wäre zu schließen, daß er ihr mehr als der gleichgültigste aller Menschen sei; aber sie sprach doch von ihm, sie lachte, scherzte und spottete über ihn, erkundigte sich nach allem, was er tat und nicht tat, und Hermeline erhielt sogar den Auftrag, seinen vertrautesten, aber nicht so unbestechlichen Kammerdiener, durch ihre Nichte, die seine Geliebte war, über die geringsten Umstände seines täglichen und nächtlichen Lebens auszuholen. Aus welchem allem Hermeline, ohne sich das mindeste gegen ihre Dame merken zu lassen, den Schluß zog: daß sie im Grunde doch wohl einigen Anteil an dem Prinzen Dagobert nehmen könnte.

      So standen die Sachen zwischen Narcissus und Narcissa, als die Schutzgeister Zelolo und Mahadufa, welche diese Zeit her alles seinen eigenen Gang gehen ließen und, nach ihrer Gewohnheit, bloße Zuschauer dabei abgegeben hatten, sich wieder zusammenfanden, um einander ihre Beobachtungen mitzuteilen und gemeinschaftlich zu überlegen, was etwa zu tun sein möchte.

      »Dein Mittel, Mahadufa«, sagte Zelolo, »wovon wir uns beide soviel versprochen hatten, scheint nicht anschlagen zu wollen.«

      »Wieso?« fragte die Perise.

      »Die Sache zeugt von sich selbst. Unsre beiden Narcissen sind noch so weit auseinander und so verliebt in sich selbst als jemals.«

      »Das sollt ich nicht meinen; oder wie steht es mit deinem Prinzen?«

      »Ich muß bekennen, er scheint wohl allmählich ein wenig mürbe zu werden. Er hat Augenblicke, wo er ganz nahe daran ist, sich selbst zu gestehen, daß es ihm nicht möglich sein werde, die unsichtbare Kette, an die sie ihn gelegt hat, zu zerreißen, wie übel sich auch sein Stolz gegen ein solches Geständnis gebärdet. Aber dieses Geständnis ihr zu tun, solange sie ihn so schnöde behandelt wie bisher? – Nimmermehr! Eher tut er den Sprung vom Leukadischen Felsen, eh er sich so tief erniedriget.«

      »Auch hat er dies nicht nötig, Zelolo. Alles müßte mich täuschen, oder die Liebe hat ihr Netz um beide Widerspenstige geworfen, und Narcissa ist so gut darin gefangen als er.«

      »Was hast du für Ursachen, dies zu glauben?«

      »Sehr bedeutende. Sie beschäftigt sich alle Tage mehr in ihren Gedanken mit ihm, ja, es ist schon so weit gekommen, daß er der einzige Gegenstand ist, der ihre Phantasie beherrscht und auf den sich alles bezieht, was sie denkt und tut. Für ihn umgibt sie sich mit allem Glanz und Schimmer, den die Kunst der Natur leihen kann; seinetwegen wünscht sie sich noch schöner, wenn's möglich wäre, machen zu können, als sie ist; seinetwegen erscheint sie überall, wo sie ihn zu finden hofft...«

      »Um ihn durch die kälteste Verachtung zum Wahnsinn zu treiben!«

      »Wenn dies auch wäre, so bedenke die Absicht, warum sie es tut. Welchen andern Zweck kann sie dabei haben, als sein Herz mit Gewalt zur Übergabe zu zwingen, da es sich in Güte nicht ergeben will? Fängt sie nicht schon an, sobald sie sich wieder allein sieht, ihre Laune an allem auszulassen, was sie unter die Hände bekommt? Muß sie sich nicht sogar in Gesellschaft die äußerste Gewalt antun, um ihren Unmut über sein Betragen gegen sie zu verbergen, wiewohl es so höflich ist, als eine gleichgültige Person nur immer verlangen kann? Ich schwöre dir, Zelolo, sie hat Augenblicke, wo sie sich in eine Tigerin verwandeln möchte, um mit Zähnen und Klauen über ihn herzufallen.«

      »Wenn dies«, sagte Zelolo lachend, »ein Zeichen sein soll, daß sie ihn zu lieben anfängt, so gesteh ich, daß ich von der Liebe dieser Evenstöchter keinen Begriff habe.«

      »Das möchte wohl wirklich der Fall bei dir sein, Zelolo. Indessen behaupte ich auch nicht, daß sie ihn bereits liebe. Alles, was ich für den Anfang wünschte, war bloß, daß Narcissus ihr nicht gleichgültig sein möchte. Von dem Augenblick an, da sie ihm zu zürnen anfing, ihn zu hassen, zu verabscheuen glaubte, war ich ruhig, und was ich bedaure, ist nur, daß diese Leidenschaften noch zu vorüberrauschend sind.«

      »Ich besorge sehr, Narcissus wird sich an einer Liebe, die dem Haß so ähnlich sieht, nicht genügen lassen.«

      »Dies ist seine und deine Sache, Zelolo; seht zu, wie ihr es weiter bei ihr bringen könnt!«

      »Ernsthaft zu reden, Mahadufa, ich kenne keine Liebe, als die sich auf gegenseitige Hochschätzung gründet, und keine andre kann unsre Schützlinge von der Krankheit, nichts als sich selbst zu lieben, heilen. Alles, was in beider Gemüte, seitdem sie sich gesehen haben, vorging, ist weiter nichts als die bittre Frucht dieser kranken Selbstliebe; wie könnte sie die glückliche Veränderung bewirken helfen, die wir beabsichtigen?«

      »Die Leidenschaften der Menschen«, versetzte die Perise, »scheinen mir ihrer Seele das zu sein, was die Fieber ihrem Körper. Die Natur sucht sich, durch diese stürmischen Bewegungen, eines zufälligen, aber beschwerlichen Übels zu entledigen, und es gelingt ihr meistens, wo nicht allemal, wenn Seele oder Körper noch jung, kräftig und in ihren wesentlichen Lebenswerkzeugen noch unverdorben sind. Da dies der Fall bei unsern Schützlingen ist, so habe ich gute Hoffnung, daß sie auf diesem Wege genesen werden. Sie konnten sich nicht sehen, ohne einander zu gefallen und sich gegenseitig anzuziehen. Aber die Foderungen der überspannten Selbstgefälligkeit fingen den elektrischen Funken auf; getäuschte Erwartungen, gekränkter Stolz, Ungeduld über ungewohnten Widerstand mußten endlich in diese quälenden Leidenschaften ausbrechen, welche, da sie ein bloßes Mißverständnis zur Nahrung haben, von keiner längern Dauer sein können als das Mißverständnis selbst.«

      »Du meinst also«, sagte Zelolo, »alles müßte gut werden, wenn Narcissa und Narcissus wüßten, daß sie, allem widrigen Anschein zu Trotz, eine starke Neigung haben, einander zu lieben? Aber wie sollen sie sich davon überzeugen, solange die unsinnigen Foderungen der Eigenliebe sogar die bloße Annäherung zwischen ihnen unmöglich machen?«

      »Ich begreife sehr wohl«, erwiderte Mahadufa, »wie dies möglich ist; aber ich gestehe, es wird Zeit erfodern, wofern ihnen nicht äußere Umstände zu Hülfe kommen.«

      »Sollten wir nichts tun können«, sagte Zelolo, »um unvermerkt solche Umstände zu veranlassen, ohne daß wir darum ihrer Freiheit zu nahe treten müßten, was uns, wie du weißt, durch ein unverbrüchliches Gesetz verboten ist?"

      »Mir schwebt so etwas vor, Zelolo, und es soll dir mitgeteilt werden, sobald ich selbst darüber im klaren bin.«

      Hiemit trennten sich die beiden Geister abermals und ich kehre wieder zu meinen Selbstliebhabern zurück.

      Narcissa war, ihren zu hoch gespannten Stolz (den sie freilich für bloßes Zartgefühl hielt) abgerechnet, ein edles, gutartiges und in jeder Betrachtung höchst liebenswürdiges Wesen. Die Fehler ihrer Erziehung hatten die schönen Anlagen der Natur in ihr wohl aufhalten und entstellen, aber nicht zerstören können, und selbst die Beschaffenheit ihrer Eigenliebe bewies, daß sie der edelsten Art von Liebe fähig sei. Denn sie hatte sich von der ersten Jugend an mit Eifer um alle die Eigenschaften und Vorzüge beworben, wodurch man wirklich liebenswürdig wird. Der Wunsch, liebenswürdig zu sein, schließt den Wunsch, geliebt zu werden, in sich; und ich wenigstens (sagte die Erzählerin dieser Geschichte) begreife nicht, wie man geliebt zu werden wünschen könne, ohne der Gegenliebe fähig zu sein. Eine unmäßige Eigenliebe, die Frucht einer unverständigen Erziehung, mit einem gerechten, aber zu hoch getriebenen Stolz verbunden, hatten ihr, bis zur Zeit ihrer Bekanntschaft mit Dagobert, den allerdings scheinbaren Ruf, daß sie nichts als sich selbst lieben könne, zugezogen; aber worauf hätte Mahadufa die Hoffnung, sie von dieser Krankheit durch Liebe heilen zu können, gründen wollen, wenn es nicht. auf


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