Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

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Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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Lebensanfänge ihrer Liebe verschworen hatten, sie lebte fort, sie nahm unmerklich zu und wurde, in der Tat, durch die Leidenschaften selbst, die ihr den Tod zu dräuen schienen, nur immer mehr entwickelt, genährt und gestärkt. Diese Leidenschaften waren nämlich nicht so gar tigerartig, als Mahadufa (die sich, nach der Genien Weise, zuweilen stärker ausdrückte, als nötig war) uns vielleicht glauben machte. Narcissa war im Gegenteil von sanfter und fröhlicher Sinnesart, und wenn ja (was ihr selten begegnete) ein zornartiger Stoff in ihrem Gemüt aufbrausete, so ließ sie immer die erste Bewegung an irgendeinem zwar unschuldigen, aber wenigstens gefühllosen Dinge aus, und sogleich legte sich der Sturm, und das unbedeutende Opfer söhnte sie wieder mit der ganzen Welt aus. So viele Ursache sie auch zu haben glaubte, auf Dagoberten ungehalten zu sein, so ist doch mehr als wahrscheinlich, daß dieser Unmut, wenn er auch zuweilen in ein schnell vorüberrauschendes Ungewitter ausbrach, doch, unter gewissen Voraussetzungen, immer bereit war, sich in Liebe zu verwandeln. In der Tat überraschte sie sich nicht selten in einer sanft schwermütigen, sich selbst vergessenden Träumerei, wo ihre Seele mit stillem Wohlgefallen an seinem Bilde hing; und wenn es (wie die Perise sagte) Augenblicke gab, wo sie ihn hätte zerreißen mögen, so gab es deren noch mehr, wo sie, wäre er gekommen und hätte sich ihr zu Füßen geworfen und mit zwei großen Tropfen in seinen schönen Augen um Verzeihung zu ihr aufgeblickt, sich fähig gefühlt hätte, ihm ihre Hand zum Unterpfand der Versöhnung hinzureichen. Die Stunden, worin sie sich in dieser Stimmung befand, kamen immer öfter, so daß ihre Phantasie endlich Ernst aus der Sache machte und ihr in einem lebhaften und wohlzusammenhängenden Morgentraum jenen geheimen Wunsch ihres Herzens als etwas wirklich Geschehenes darstellte. Ob die Schutzgeister bei diesem an sich wenig bedeutenden, aber ihren Absichten sehr beförderlichen Ereignis geschäftig gewesen oder nicht, läßt sich nicht mit Gewißheit sagen; doch könnte das erstere um so eher vermutet werden, weil Narcissus, von ähnlichen Träumen angereizt, sich mehr als einmal so mächtig versucht fühlte, sie wahr zu machen, daß es wirklich geschehen wäre, wenn sein Stolz, hinter die Furcht, ihr einen gar zu großen Triumph über sich zu verschaffen, versteckt, ihn nicht noch mächtiger zurückgehalten hätte.

      Um diese Zeit ereignete sich etwas, wovon zu erwarten war, daß das bisher so zweideutige und schwankende Verhältnis unsrer beiden Liebenden (wenn ich sie anders so nennen kann) aufs reine dadurch gebracht werden könnte.

      Der Kaiser von Trapezunt hatte zur Verherrlichung eines Besuchs, womit er von seinem Großoheim, dem Kaiser Esplandian von Konstantinopel, beehrt wurde, ritterliche Kampfspiele ausgeschrieben, wozu alle namhafte Ritter in der Christenheit und im Heidenland eingeladen wurden. Trapezunt war noch nie so lebhaft und glänzend gewesen als während der Feste, die bei dieser Gelegenheit gegeben wurden; der Hof und die Stadt wimmelten von mannhaften Rittern und schönen Damen; aber ein Paar, das Dagoberten und Helianen den Vorzug hätte streitig machen können, ward nicht gefunden. jeder Höfling gestand, so laut man wollte, daß, nächst den beiden Kaiserinnen und ihren Töchtern, Enkelinnen und Basen – jeder Ritter, daß, nächst der Dame seines Herzens, Heliane über alle andern wie der Vollmond über die Sterne hervorglänze; die Damen hingegen – gestanden zwar auch, aber jede nur sich selbst, daß Dagobert ohne Ausnahme der schönste, mannhafteste und liebenswürdigste aller Ritter sei. Was Helianen betrifft, so hatte sie alle Ursache, mit dem allgemeinen und unzweideutigen Beifall vorliebzunehmen, den die Frauen ihr dadurch erteilten, daß sie – gar nichts von ihr sagten.

      Da eine Beschreibung der besagten Feste und Spiele aus irgendeinem der fünfzig dicken Bände des Amadis aus Gallien und seiner Sippschaft zu borgen und meine gefälligen Zuhörer damit zu belangweiligen etwas ganz Unverantwortliches wäre, so begnüge ich mich zu sagen: daß für die verschiedenen Gattungen ritterlicher Spiele, wobei mehr als hundert Ritter auf dem Plan erschienen, auch verschiedene Preise ausgesetzt waren, daß Narcissa von den Kaiserinnen ernannt worden war, den Dank, den der Sieger im Lanzenstechen davontragen sollte, auszuteilen, und daß sie, bei einer so feierlichen Gelegenheit, nichts vergessen hatte, was den natürlichen Glanz ihrer majestätischen Schönheit bis zum Verblenden erhöhen konnte.

      Dagobert, welcher ihr (im Vorbeigehen gesagt) seit einigen Tagen mit einer ihm ungewöhnlichen zarten Ehrerbietung begegnete, die ihr nicht unbemerkt bleiben konnte, erschien vor den Schranken in einer Rüstung von weißem Schmelz, mit Gold eingelegt; auf seinem hellgeglätteten silbernen Schilde waren in goldnen Buchstaben die Worte »Für die Ungenannte« zu lesen, und ein Herold forderte in seinem Namen alle diejenigen heraus, welche nicht bekennen wollten, daß diese ungenannte Beherrscherin seines Herzens die Schönste aller Schönen sei. Dreißig junge Ritter, von welchen jeder unter den gegenwärtigen Frauen oder Jungfrauen eine Gebieterin hatte, deren erklärter Dienstmann er zu sein stolz war, fanden sich durch diesen Aufruf herausgefordert, und Dagobert-Narcissus hatte also keine andre Wahl, als entweder dreißig wackere Ritter einen nach dem andern aus dem Sattel zu heben oder als ein windiger Prahler von mehr als hunderttausend Zuschauern mit Schimpf und Spott aus der Rennbahn hinausgelacht zu werden. Das Wagestück wär eines Paladins von Karl dem Großen würdig gewesen; und wiewohl er die Wünsche aller Zuschauer, welche gewöhnlich den Verwegensten begünstigen, auf seiner Seite hatte, so waren doch wenige, die sich auf ihn zu wetten getrauten, und das Herzklopfen der Frauen und Jungfrauen nahm mit jeder neuen Lanze, die er brach, überhand. Indessen, sei es nun, daß seine eigene Stärke und Gewandtheit alles tat oder daß unsichtbare Arme die seinigen stärkten, genug, er hatte bereits neunundzwanzig Gegenkämpfer zur Erde geworfen, und es war nur noch einer, aber seinem Ansehen nach der furchtbarste von allen, übrig, der ihm den Preis für neunundzwanzig Siege durch einen einzigen zu entreißen drohte.

      Narcissa, wiewohl durch die Ungewißheit, ob sie selbst oder eine andere die Ungenannte sei, nicht wenig beleidigt, konnte sich doch nicht erwehren, einen wärmern Anteil, als sie sich selbst gern gestehen wollte, an demjenigen zu nehmen, der das Feld gegen alle, die es mit ihm aufnahmen, so ritterlich bisher behauptet hatte; und man wollte beobachtet haben, daß eine glühende Röte sich plötzlich über ihr Gesicht und ihren Busen ergoß, als der schöne Dagobert auch den dreißigsten, unsanfter als alle vorigen, zu Boden legte und nun allein mit emporgehobener Lanze in den Schranken stand, sich umsehend, ob noch jemand Lust habe, ihm die wohlerworbene Krone streitig zu machen.

      Aber wie groß war seine Bestürzung und Helianens Erstaunen, als ein gewaltiger Ritter in einer ganz goldnen, über und über von Edelsteinen blitzenden Rüstung in die Schranken ritt und ihn aufforderte, entweder die ungenannte Dame seines Herzens zu nennen oder zu gestehen, daß sie mit der schönen Heliane in keine Vergleichung kommen könne.

      Jedermann wurde gewahr, daß der Prinz durch diese Aufforderung in Verlegenheit geriet und eine gute Weile unentschlossen stand, die Augen bald auf das Prachtgerüste heftend, wo Narcissa, als Austeilerin des Danks, zu den Füßen der beiden Kaiserinnen saß, bald einen gramvollen Blick auf den unbekannten Ritter schießend, der mit großer Gelassenheit erwartete, wozu sich der weiße Ritter entschließen würde. "Soll ich mir", dachte Narcissus, "von einem Nebenbuhler, wie es scheint, den Namen meiner Ungenannten abtrotzen lassen? Kann ich es mit Ehre? Oder ist es vielleicht Heliane selbst, die mir diesen Beschwerlichen über den Hals geschickt hat? Erkläre ich mich, wenn ich mit ihm kämpfe, nicht öffentlich gegen sie, und ist nicht die Belohnung meines Sieges über die dreißig verloren, ich mag überwinden und überwunden werden?"

      Diese Gedanken fuhren wie Blitze durch seinen Kopf, aber er hatte keine Zeit, sich lange zu bedenken. »Ich nehme«, sprach er, so laut, daß es alle Welt hören konnte, zu dem Unbekannten, »ich nehme deine Ausforderung unter der Bedingung an, daß ich, wenn ich dich aus dem Sattel werfe, den Namen meiner Ungenannten ihr selbst nennen will; streckst du aber mich zu Boden, so soll ihn weder ein Sterblicher noch ein Gott aus meinem Busen reißen.«

      Nach dieser Erklärung, die der Fremde sich gefallen ließ, nahmen beide ihren Stand und sprengten mit eingelegten Lanzen gegeneinander. Die Lanzen brachen, aber die Ritter blieben fest im Sattel, und nachdem sie sich frische Lanzen geben lassen, rennten sie zum zweitenmal. Die Lanzen zersplitterten abermals, und Dagobert erhielt sich mit der höchsten Anstrengung noch kaum im Steigbügel; aber beim dritten Ritt raffte er alles, was ihm von Kraft noch übrig war, zusammen und hob seinen Gegner so gewaltig aus dem Sattel, daß er über zwanzig Schritte weit hinausflog und dem Ansehn nach einen sehr gefährlichen


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