Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

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Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland


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Vater sah leicht vorher, wohin das alles führen würde, und sah es mit Vergnügen; denn die Ehe zwischen Bruder und Schwester ist bei uns nicht nur erlaubt, sondern wird als die reinste und heiligste aller ehlichen Verbindungen angesehen. Als wir uns aber den Jahren näherten, wo der Naturtrieb, den die Liebe zwar reinigt und adelt, der aber von den meisten sehr irrig mit ihr verwechselt wird, sich stärker zu äußern beginnt, hielt unser Vater, welcher in den tiefsten Geheimnissen der Magie des großen Zerdusht eingeweiht war, für nötig, die Sterne über unsere künftigen Schicksale zu befragen. Er stellte also unser Horoskop und erhielt die Antwort: daß unsre Liebe von einem feindseligen Geiste bedrohet werde und eine engere Verbindung unfehlbar großes Unglück über uns bringen würde. Er säumte sich nicht, uns diesen strengen Schluß des Schicksals anzukünden, und erhielt, vermöge der hohen Ehrfurcht, die wir für ihn fühlten, von so lenksamen Kindern, als wir waren, ohne große Mühe eine mit den heiligsten Schwüren bekräftigte Zusage, daß wir in jungfräulicher Reinigkeit und Zurückhaltung beisammen leben und auf jede nähere Vereinigung auf immer Verzicht tun wollten, wofern er nicht vielleicht in seinen erhabenen Wissenschaften ein Mittel, das angedrohte Unglück von uns abzuwenden, entdecken würde. Ich gestehe, daß ich mir nicht verwehren kann zu denken, die Sterne könnten unsers guten Vaters gespottet und gerade das Unglück und kein anderes gemeint haben, das er durch das Mittel über uns brachte, wodurch er uns den Streichen des Schicksals zu entziehen hoffte. Sein guter Wille gegen uns und sein Glaube an die Mysterien der Magie waren indessen so groß, daß er Tag und Nacht keine Ruhe hatte, bis er endlich herausbrachte: der Dämon, der unsre Liebe verfolge, werde alle seine Gewalt über uns verlieren, sobald wir noch zwei Liebende, die, anstatt (wie gewöhnlich) im andern nur sich selbst zu lieben, sich selbst nur im andern liebten, gefunden haben würden. Diese Bedingung schien uns, einer zweifachen Schwierigkeit wegen, wenig oder keine Hoffnung zu lassen; denn, wofern auch auf dem ganzen Erdenrund noch ein Paar so rein liebende Sterbliche atmeten, was für ein Mittel hatten wir, es zu entdecken?

      Unser Vater, von seiner Liebe zu uns angespornt, verwandte sieben ganzer Jahre auf die Erfindung eines solchen Mittels und brachte endlich durch den hartnäckigsten Fleiß einen talismanischen Spiegel zustande, der die wunderbare Tugend besitzt, reine Liebe von verkappter Eigenliebe durch ein untrügliches Zeichen zu unterscheiden.«

      »Und dieses Zeichen?« unterbrach ihn Dagobert, mit einer Unruhe, welche deutlich genug verriet, wie nahe seine Frage ihn selbst angehe.

      »Wenn du Lust hast, es durch dich selbst zu erfahren«, erwiderte Sophranor lächelnd, »so gehen wir unverzüglich in den Saal, der mit den Schilderungen aller wahren und getreuen Liebhaber, die uns Fabel und Geschichte kennen lehrt, geziert ist, und du hast nichts weiter zu tun, als in ebendenselben Spiegel hineinzuschauen, worin du dich, wie ich wohl den Spiegel selbst wetten wollte, gewiß schon mehr als einmal besehen hast.« Dagobert und Heliane erröteten beide bei diesen Worten bis an die Fingerspitzen, und Sophranor, ohne daß er es wahrzunehmen schien, fuhr in seiner Erzählung fort.

      »Solange jemand in der Person, die er zu lieben vermeint oder vorgibt, nur sich selbst liebt, könnt er sein ganzes Leben durch in diesen Spiegel hineinschauen, er würde nie etwas anders sehen als sich selbst; aber sobald das, was er für sie fühlt, reine Liebe ist, sieht ihm, statt seiner eigenen Gestalt, das Bild der geliebten Person entgegen. Dieser magische Spiegel war das letzte Werk unsers Vaters, und als er sich kurz darauf seinem Ende nahe fühlte, befahl er uns: sobald wir ihm die letzte Pflicht erstattet hätten, Khorasan zu verlassen und so lange von einer großen Stadt zur andern zu reisen, bis wir endlich diejenigen gefunden haben würden, denen die Macht verliehen sei, den Bann, der auf unsrer Liebe liege, aufzulösen. Es sind nun bereits zehn Jahre, seitdem wir, diesem Befehl zufolge, in der Welt umherschweifen, ohne gefunden zu haben, was wir, in der Tat mit wenig Hoffnung, suchten; bis uns endlich ein Traumgesicht in der berühmten Kaiserstadt Trapezunt das Ende unserer Wanderungen und die seligste Umwandlung unsers Schicksals versprach. Wir gehorchten, wie ihr sehet, diesem Traum, und es wird sich nun bald zeigen müssen, ob er uns getäuscht oder die Wahrheit gesagt hat.«

      Dagobert und Heliane fanden diese Geschichte wunderbar genug, aber doch nicht wunderbarer als die Personen dieser außerordentlichen Geschwister. Beide fühlten ein ungeduldiges Verlangen, den talismanischen Spiegel, in welchen keines von ihnen seit mehr als zehen Tagen gesehen hatte, nun, da ihnen seine Wundertugend entdeckt worden war, genauer in Augenschein zu nehmen; aber ein Rest von falscher Scham (wenn wir es nicht lieber mit ihnen Zartgefühl nennen wollen) hielt sie zurück, dieses Verlangen laut werden zu lassen.

      Indessen kehrte die kleine Gesellschaft, Euphrasia an Dagoberts, Heliane an Sophranors Arm, unvermerkt in den Palast zurück, und ebenso unvermerkt befanden sich alle vier in dem Saal der wahren Liebenden.

      Dabobert und Heliane besahen mit großer, wiewohl etwas zerstreuter Aufmerksamkeit die schon oft betrachteten Gemälde und baten Sophranorn bald um diese, bald um jene Erklärung, ohne daß sie den Mut hatten, einander anzusehen, geschweige einen verstohlnen Blick in den Spiegel zu tun; und Sophranor wiederholte mit der größten Gefälligkeit, was über die Gegenstände dieser Gemälde, über die Kunst der Ausführung und über die Künstler selbst zu sagen war.

      Aber welcher Sterbliche kann seinem Schicksal entgehen?

      Wie lange sie auch mit immer stärker klopfendem Herzen den entscheidenden Augenblick aufzuhalten suchten, endlich mußt er doch kommen; und er kam. Unfreiwillig, wie von einer unsichtbaren Macht angezogen, fanden sie sich endlich beide vor dem Zauberspiegel, blickten beide zugleich hinein, und indem Dagobert mit schauderndem Entzücken Helianen und Heliane Dagoberten in der Stelle ihres eigenen Bildes erblickten, sanken sie einander in die Arme, und erst nach einer ziemlichen Weile, da sie die Augen wieder aufschlugen, sahen sie anstatt Sophranors und Euphrasiens zwei Lichtgestalten durch die hohe Decke des Saals hinwegschwinden; und ich, meine lieben Freunde (setzte Rosalinde hinzu), bitte demütig, mit meinem Märchen vorliebzunehmen; denn es hat, vielleicht zu Ihrem allerseitigen Vergnügen, hier auf einmal ein Ende.

      Rosalinde hatte zu geneigte Zuhörer, um nicht im voraus auf die Höflichkeiten rechnen zu können, die ihr nach Endigung ihres Märchens von allen Seiten gesagt wurden. Sie schien von der Aufrichtigkeit dieser Lobsprüche nicht überzeugt genug, um sich viel darauf zugute zu tun, und konnte sich, da es ihr in der Tat nicht an Eitelkeit fehlte, nicht enthalten, mit gehöriger Feinheit zu verstehen zu geben, sie habe, um ihren Nachfolgern das Verdienst, sie zu übertreffen, desto leichter zu machen, ungefähr ebendieselbe Vorsicht gebraucht wie jener Schnellfüßige in einem bekannten Feenmärchen, der, wenn er auf die Jagd ging, eine Art von Hemmkette um seine beiden Füße legte, um dem Hasen nicht wider seinen Willen zuvorzulaufen.

      Wie dem aber auch sein mochte, die Gesellschaft fand diese Art, sich zu einem guten derben Schlaf vorzubereiten, angenehm genug, um an einem der nächsten Abende den jungen Wunibald von P. freundlich zu erinnern, daß ihn das Los zu Rosalindens nächstem Nachfolger ernannt habe. Herr Wunibald erklärte sich sogleich bereit und willig. »Ich könnte mir«, sagte er, sich ein Ansehen von komischer Wichtigkeit gebend, »ungestraft das Verdienst beilegen, der Erfinder des sinn- und wunderreichen Märchens zu sein, womit ich die Gesellschaft zu bedienen gedenke, denn ich bin gewiß, daß es noch in keiner Sprache gedruckt erschienen ist; aber ich bin zu stolz, mich mit fremden Federn zu brüsten, und bekenne also von freien Stücken, daß ich es aus einer ziemlich starken Sammlung so betitelter Milesischer Märchen genommen habe, welche durch einen Zufall, der hier nichts zur Sache tut, in meine Hände gekommen ist und deren Urheber, vermutlich weil sein Name seine Märchen nicht besser gemacht hätte, sich zu nennen nicht beliebt hat. Nach dem berühmten Märchen von Amor und Psyche (dem einzigen milesischen Märchen, das von den Alten bis zu uns gekommen ist) erwarten Sie von dem meinigen schon voraus, daß es von der wunderbarsten Gattung sei. Das ist es auch, und der Erfinder, wer er auch sei, hat daher wohlgetan, Thessalien zur Szene desselben zu machen.« – »Mein Sohn«, sagte Frau von P., »du läufst Gefahr, unsre Erwartung höher zu spannen, als dir vielleicht lieb sein dürfte, wenn du uns mit einer längern Vorrede aufhältst.«

      »Ich gehorche«, versetzte Herr Wunibald und begann wie folget.

      Daphnidion

      


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