Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Freund! Wir haben jetzt unsere Ungeduld so lange bemeistert, daß es wohl Deine Pflicht wäre, uns mitzutheilen, welches schlimme Ungefähr Dich aus Aegypten und unserem Kreise zu entreißen droht. Mit leichtem Sinne, den die Götter euch Ioniern allen als köstliches Geschenk bei der Geburt zu spenden pflegen, magst Du Dich von uns und diesem Lande trennen; – wir aber werden Deiner lange schmerzlich gedenken, denn ich kenne keinen größeren Verlust, als den eines seit Jahren treu bewährten Freundes. Einige von uns haben auch zu lange am Nil gelebt, um nicht ein wenig von dem unwandelbar beständigen Sinne der Aegypter angenommen zu haben! Du lächelst; und dennoch glaube ich zu wissen, daß Du, obgleich Du Dich schon lange nach Hellas sehnest, nicht ohne alles Bedauern von uns scheiden wirst. Du gibst mir Recht? Wohl, so erzähle uns denn, warum Du Aegypten verlassen mußt oder willst, damit wir überlegen können, ob es nicht möglich sei, Deine Verweisung vom Hofe rückgängig zu machen, und Dich für uns zu erhalten.«
Phanes lächelte bitter und sagte: »Ich danke Dir, Rhodopis, für Deine schmeichelhaften Worte und die gute Absicht, Dich meines Abschiedes wegen betrüben oder denselben womöglich verhindern zu wollen. Hundert neue Gesichter werden Dich das meine bald vergessen lassen, denn ob Du auch schon lange am Nilstrom wohnst, so bist Du doch, und dafür magst Du den Göttern danken, Hellenin geblieben vom Scheitel bis zur Sohle. Auch ich bin ein Freund der Treue, aber ein Feind der ägyptischen Thorheit; und ist wohl Einer unter euch Allen, der es weise finden könnte, sich über Unvermeidliches zu grämen? Die ägyptische Treue ist in meinen Augen keine Tugend, sondern ein Wahn. Diese Menschen, die ihre Todten seit Jahrtausenden bis heute bewahren, und sich eher das letzte Brot, als einen Knochen ihres Urahnen nehmen lassen67, sind nicht treu, sondern thöricht. Kann mir’s Freude machen, diejenigen, welche ich liebe, traurig zu sehen? – Gewiß nicht! Ihr sollt euch meiner nicht in monatlangen und sich täglich wiederholenden Wehklagen erinnern, wie die Aegypter, wenn ihnen ein Freund dahin scheidet! Wollt ihr in der That des Fernen oder Abgeschiedenen, – denn ich darf Aegypten, so lange ich lebe, nie wieder betreten, – in späteren Tagen gedenken, so thut es mit lachendem Munde, und rufet nicht: ›Ach warum mußte Phanes uns verlassen!‹ sondern saget: ›Wir wollen fröhlich sein, wie Phanes, als er noch in unserm Kreise weilte!‹ So sollt ihr’s halten, so befahl es schon Simonides, als er sang:
›Ja möchten wir nur etwas klüger sein,
So stellten wir die langen Klagen ein,
Und weinten an des Todten Sarkophag
Nur einen Tag.
Zum Tode haben wir ja Zeit genug;
Das Leben aber, es verrinnt im Flug,
Und ist auch sonder übergroßem Harm,
So kurz und arm68!‹
»Wenn man nicht über die Todten klagen soll, so ist es noch viel weniger weise, sich um scheidende Freunde zu grämen, denn jene sind für immer dahin, diesen aber sagen wir beim Abschied: Auf Wiedersehen!«
Jetzt konnte der Sybarit, welcher schon lange ungeduldig geworden war, nicht länger schweigen und rief mit kläglicher Stimme: »Fange doch endlich zu erzählen an, Du mißgünstiger Mensch. Ich kann keinen Tropfen trinken, wenn Du nicht aufhörst vom Tode zu sprechen. Mir ist ganz kalt geworden, und ich werde jedesmal krank, wenn ich über . . . nun, wenn ich davon reden höre, daß wir nicht ewig leben!« – Die ganze Gesellschaft lachte, Phanes aber begann seine Geschichte zu erzählen.
»Zu Sais wohne ich, wie ihr wißt, in dem neuen Schlosse; zu Memphis aber wurde mir, als Obersten der griechischen Leibwache, welche den König begleiten muß, wohin er auch reist, ein Quartier im linken Flügel des alten Palastes angewiesen69.
»Seit dem ersten Psamtik70 residiren die Könige zu Sais, darum wurde das Innere der anderen Schlösser ein wenig vernachlässigt. Meine Wohnung war im Grunde ganz vorzüglich gelegen, köstlich eingerichtet und wäre vortrefflich gewesen, wenn sich nicht, gleich bei meinem ersten Einzuge in dieselbe, eine furchtbare Plage fühlbar gemacht hätte.
»Bei Tage, wo ich übrigens selten zu Hause war, ließ meine Wohnung nichts zu wünschen übrig, bei Nacht aber war an keinen Schlaf zu denken, so fürchterlich spektakelten Tausende von Ratten und Mäusen unter den alten Fußböden, Tapeten und Ruhebetten.
»Ich wußte mir keinen Rath in dieser Noth, bis mir endlich ein ägyptischer Soldat zwei schöne große Katzen verkaufte, welche mir auch nach mehreren Wochen einige Ruhe vor meinen Peinigern verschafften.
»Ihr werdet Alle wissen, daß eines der liebenswürdigen Gesetze dieses wunderlichen Volkes, dessen Bildung und Weisheit ihr, meine milesischen Freunde, nicht sattsam preisen könnt, die Katzen für heilig erklärt. Göttliche Ehre wird diesen glücklichen Vierfüßlern, wie so mancher andern Bestie, zu Theil, und ihre Tödtung eben so streng bestraft, als der Mord eines Menschen.«
Rhodopis, welche bis dahin gelächelt hatte, wurde ernster, als sie vernahm, daß die Verweisung des Phanes mit seiner Mißachtung der heiligen Thiere zusammenhing. Sie wußte, wie viele Opfer, ja wie viele Menschenleben, dieser Aberglaube der Aegypter bereits gekostet hatte. Vor Kurzem noch hatte König Amasis selbst einen unglücklichen Samier, welcher eine Katze getödtet hatte, nicht vor der Rache des zornigen Volkes zu retten vermocht71.
»Alles war gut,« erzählte der Oberst weiter, »als wir Memphis vor zwei Jahren verließen.
»Ich hatte das Katzenpaar der Pflege eines ägyptischen Schloßdieners anvertraut, und wußte, daß die rattenfeindlichen Thiere meine Wohnung für künftige Fälle rein erhalten würden, ja ich begann schon selbst den freundlichen Rettern aus der Mäusegefahr eine gewisse Verehrung zu zollen.
»Im vorigen Jahre ward Amasis krank, ehe der Hof sich nach Memphis begeben konnte, und wir blieben zu Sais.
»Endlich, vor etwa sechs Wochen, machten wir uns auf den Weg zu der Pyramidenstadt72. Ich bezog mein altes Quartier, und fand in demselben keinen Schatten eines Mäuseschwanzes wieder; statt der Ratten wimmelte es aber von einem anderen Thiergeschlechte, welches mir nicht lieber war, wie seine Vorgänger. Das Katzenpaar hatte sich nämlich in den zwei Jahren meiner Abwesenheit verzwölffacht. Ich versuchte die lästige Brut von Katern jeden Alters und aller Farben zu vertreiben; aber es gelang mir nicht, und ich mußte allnächtlich meinen Schlaf von entsetzlichen Vierfüßler-Chorgesängen, Katzenkriegsgeschrei und Katerliedern unterbrechen lassen.
»Alljährlich, zur Zeit des Bubastisfestes, ist es erlaubt, die überflüssigen Mäusefänger in den Tempel der katzenköpfigen Göttin Pacht abzuliefern, woselbst sie verpflegt, und, wie ich glaube, wenn sie sich gar zu stark vermehren, bei Seite gebracht werden. Diese Priester sind Spitzbuben!
»Leider fiel die große Fahrt zu dem besagten Heiligthume73 nicht in die Zeit unseres Aufenthaltes bei den Pyramiden; ich aber konnte es schlechterdings mit dieser Armee von Peinigern nicht länger aushalten, und beschloß, als mich zwei Katzenmütter von neuem mit einem Dutzend gesunder Nachkommen beehrten, wenigstens diese bei Seite zu schaffen. Mein alter Sklave Müs74, schon dem Namen nach ein geborener Katerfeind, erhielt den Auftrag, die jungen Dinger zu tödten, in einen Sack zu stecken und in den Nil zu werfen.
»Dieser Mord war nothwendig, denn ohne ihn würde das Miaulen der jungen Kater den Schloßwärtern den Inhalt des Sackes verrathen haben. Als es dunkelte, begab sich der arme Müs mit seiner gefährlichen Last durch den Hathor Hain75 nach dem Nile. Doch