Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Sklave ging gelassen durch die große Sphinxallee an dem Tempel des Ptah76 vorüber; das Säckchen hielt er unter seinem Mantel verborgen. Schon im heiligen Haine bemerkte er, daß man ihm folge; er achtete aber nicht darauf und setzte seinen Weg vollkommen beruhigt fort, als er bemerkte, daß die Leute, welche hinter ihm hergingen, am Tempel des Ptah stehen blieben und sich dort mit Priestern unterredeten.
»Schon stand er am Ufer des Nils. Da hörte er, wie man ihm rief, wie viele Menschen ihm in schnellem Laufe folgten, und ein geschleuderter Stein dicht an seinem Kopfe vorüberpfiff.
»Müs übersah die Gefahr, welche ihm drohte. Mit dem Aufgebot aller Kräfte jagte er bis an den Nil, schleuderte den Sack in das Wasser, und stand klopfenden Herzens, aber, wie er glaubte, ohne jeden Beweis seiner Schuld, am Ufer des Stromes. Wenige Augenblicke später war er von hundert Tempeldienern umringt. Der Oberpriester des Ptah, Ptahotep, mein alter Feind, hatte es nicht verschmäht, in eigner Person den Häschern zu folgen.
»Mehrere derselben, und unter ihnen jener verrätherische Palastdiener, stiegen sofort in den Nil und fanden zu unserm Verderben den Sack mit seinen zwölf Leichnamen, der unversehrt im Papyrus Rohre und den Bohnenranken am Ufer hing. Vor den Augen des Oberpriesters, einer Schaar von Tempeldienern und wenigstens tausend herbeigeeilten Memphiten ward der baumwollene Sarg geöffnet. Als man seinen unseligen Inhalt gewahrte, erhob sich ein so entsetzliches Wehegeheul, ein so furchtbares Klage- und Rachegeschrei, daß ich’s bis zum Schlosse vernehmen konnte. Die wuthentbrannte Menge stürzte sich in wilder Leidenschaft auf meinen armen Diener, riß ihn zu Boden, trat ihn mit Füßen, und würde ihn sofort getödtet haben, wenn der allmächtige Oberpriester nicht ›Halt‹ geboten, und, in der Absicht, mich, in dem er den Urheber der Frevelthat ahnte, mit in’s Verderben zu ziehen, befohlen hätte, den schrecklich zugerichteten Missethäter in’s Gefängniß zu setzen.
»Eine halbe Stunde später ward auch ich festgenommen.
»Mein alter Müs nahm alle Schuld des Verbrechens auf sein Haupt, bis der Oberpriester ihm durch Bastonnaden das Geständniß abnöthigte, ich habe ihm geboten, die Katzen zu tödten; er aber, als treuer Diener, meinem Befehle Folge leisten müssen.
»Das Obergericht77, gegen dessen Urtheilssprüche selbst der König keine Macht besitzt, ist aus Priestern von Memphis, Heliopolis und Theben zusammengesetzt; ihr könnt euch also denken, daß man den armen Müs sowohl, als meine hellenische Wenigkeit ohne Bedenken zum Tode verurtheilte. Den Sklaven wegen zweier Kapitalverbrechen: erstens wegen des Mordes von heiligen Thieren, zweitens wegen der zwölfmaligen Verunreinigung des heiligen Nils durch Leichname; mich, wegen der Urheberschaft dieses, wie sie’s nannten, vierundzwanzigfachen Kapitalverbrechens78. Müs ward noch am nämlichen Tage hingerichtet. Möge ihm die Erde leicht sein! In meinem Andenken wird er nicht als mein Sklave, sondern als mein Freund und Wohlthäter fortleben! Im Angesicht seiner Leiche ward auch mir das Todesurtheil vorgelesen, und ich machte mich schon zur langen Reise in die Unterwelt fertig, als der König befehlen ließ, die Vollstreckung meiner Hinrichtung aufzuschieben.
»Ich ward in mein Gefängniß zurückgebracht.
»Ein arkadischer Taxiarch79, welcher sich unter meinen Wächtern befand, theilte mir mit, daß sämmtliche griechischen Offiziere der Leibwache und eine Menge von Soldaten, im Ganzen mehr als viertausend Mann, gedroht hätten, ihren Abschied zu nehmen, wenn man mich, ihren Führer, nicht begnadigen werde.
»Als es dunkelte, wurde ich zum Könige geführt, welcher mich gnädig empfing. Er selbst bestätigte mir die Mittheilung des Taxiarchen und sprach sein Bedauern aus, einen so beliebten Obersten verlieren zu müssen. Was mich betrifft, so gestehe ich gern, daß ich dem Amasis nicht zürne, und mehr noch, daß ich ihn, den mächtigen König, bedaure. Ihr hättet mit anhören sollen, wie er sich beklagte, nirgend handeln zu können, wie er wolle, und selbst in seinen persönlichsten Angelegenheiten überall von den Priestern und ihrem Einflusse behindert und gefährdet zu sein. Käme es nur auf ihn an, sagte er, so würde er mir, dem Fremden, die Uebertretung eines Gesetzes, welches ich nicht verstehen könne, und darum, wenn auch fälschlich, für abgeschmackten Aberglauben halten müsse, gern vergeben. Der Priester wegen dürfe er mich aber nicht ungestraft lassen. Verbannung80 aus Aegypten sei die gelindeste Buße, welche er mir auferlegen könne. ›Du weißt nicht,‹ mit diesen Worten schloß er seine Klagen, ›wie große Zugeständnisse ich den Priestern machen mußte, um Gnade für Dich zu erlangen. Ist doch unser Obergericht selbst von mir, dem Könige, unabhängig!‹
»Also ward ich verabschiedet, nachdem ich einen großen Eid geleistet hatte, Memphis noch am selbigen Tage und Aegypten spätestens in drei Wochen verlassen zu wollen.
»An der Pforte des Palastes traf ich mit Psamtik, dem Kronprinzen, zusammen, welcher mich schon lange, ärgerlicher Geschichten wegen, die ich verschweigen muß (Du kennst sie, Rhodopis), verfolgt. Ich bot ihm meinen Abschiedsgruß; er aber kehrte mir den Rücken zu, indem er ausrief: ›Auch dießmal entkommst Du der Strafe, Athener; meiner Rache aber bist Du noch nicht entgangen! Wohin Du auch gehst, ich werde Dich zu finden wissen!‹ – ›So darf ich hoffen, Dich wieder zu sehen!‹ entgegnete ich ihm, schaffte meine Habseligkeiten auf eine Barke, und kam hierher nach Naukratis, woselbst mir das Glück meinen alten Gastfreund Aristomachus von Sparta zuführte, welcher, als früherer Befehlshaber der Gruppen von Cypern81, höchst wahrscheinlich zu meinem Nachfolger ernannt werden wird. Ich würde mich freuen, einen so trefflichen Mann an meinem Platze zu sehen, wenn ich nicht fürchten müßte, daß neben seinen vorzüglichen Diensten die meinen noch geringer erscheinen werden, als sie es in der That gewesen sind.«
Hier unterbrach Aristomachus den Athener und rief: »Genug des Lobes, Freund Phanes! Spartanische Zungen sind ungelenk; mit Thaten will ich Dir aber, wenn Du meiner bedarfst, eine Antwort geben, die den Nagel auf den Kopf treffen soll.«
Rhodopis lächelte den beiden Männern Beifall zu. Dann reichte sie jedem von ihnen die Hand, und sagte. »Leider habe ich Deiner Erzählung, mein armer Phanes, entnommen, daß Deines Bleibens nicht länger in diesem Lande sein kann. Ich will Dich nicht wegen Deines Leichtsinnes tadeln, dennoch konntest Du wissen, daß Du Dich um kleiner Erfolge willen großen Gefahren aussetztest. Der Weise, der wahrhaft Muthige unternimmt ein Wagniß nur dann, wenn der Nutzen, der ihm daraus erwachsen kann, die Nachtheile überbietet. Tollkühnheit ist eben so thöricht, wenn auch nicht eben so verwerflich als Feigheit, denn wenn auch beide schaden, so schändet doch nur die Letztere. Dein leichter Sinn hätte Dir dießmal beinahe das Leben gekostet, ein Leben, welches Vielen theuer ist und das Du für ein schöneres Ende, als dem Erliegen unter den Streichen der Narrheit, aufsparen solltest. Wir können nicht versuchen, Dich uns zu erhalten, denn wir würden Dir dadurch nichts nützen, uns aber schaden. An Deiner Stelle soll in Zukunft dieser edle Spartaner als Oberster der Hellenen unsere Nation am Hofe vertreten, sie vor Uebergriffen der Priester zu schützen, ihr die Gunst des Königs zu bewahren bemüht sein. Ich halte Deine Hand, Aristomachus, und lasse sie nicht eher los, bis Du uns versprochen hast, auch den geringsten Griechen, wie Phanes vor Dir, soweit es in Deinen Kräften steht, gegen den Uebermuth der Aegypter zu beschützen, und eher Deine Stellung aufzugeben, als das kleinste einem Hellenen angethane Unrecht straflos hingehen zu lassen. Wir sind wenig Tausende unter eben so vielen Millionen feindlich gesinnter Menschen; aber wir sind groß an Muth, und müssen stark zu bleiben suchen durch Einigkeit. Bis heute haben sich die Hellenen in Aegypten wie rechte Brüder betragen; Einer opferte sich für Alle, Alle für Einen, und eben diese Einheit machte uns mächtig, soll uns in Zukunft stark erhalten. Könnten wir doch dem Mutterlande und seinen Pflanzstätten dieselbe Einigkeit schenken, wollten doch alle Stämme der Heimath, ihrer dorischen, ionischen oder äolosischen Herkunft vergessend, sich mit dem einen Namen »Hellenen« begnügen, und, wie die Kinder eines Hauses, wie die Schafe