Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.entschuldigen versuchen; Philoinus aber, den in seiner Weinlaune diese Entgegnung der Greisin verdroß, lachte spöttisch auf, und rief, der Thür entgegentaumelnd. »Unmäßiger Zecher nennst Du mich? Wohl! und ich heiße Dich eine unverschämte Sklavin! Beim Dionysus, man merkt Dir immer noch an, was Du in Deiner Jugend gewesen! Lebe wohl, Sklavin des Iadmon und Xanthus, Freigelassene des Charaxus! . . .« Er hatte nicht ausgesprochen, als sich der Spartaner plötzlich auf ihn warf, ihm einen gewaltigen Faustschlag versetzte und den Bewußtlosen wie ein Kind in den Nachen trug, welcher mit seinen Sklaven an der Pforte des Gartens wartete.
Drittes Kapitel
Alle Gäste hatten das Haus verlassen.
Wie Hagelschlag in ein blühendes Saatfeld war die Schmährede des Schlemmers in die Freude der Scheidenden gefallen; Rhodopis selbst stand bleich und zitternd in dem verödeten festlich geschmückten Zimmer. Knakias verlöschte die bunten Lampen an den Wänden. Statt des hellen Lichtes trat ein unheimliches Halbdunkel ein, welches das zusammengeworfene Tafelgeschirr, die Ueberreste der Mahlzeit und die von ihren Plätzen gerückten Ruhebänke spärlich beleuchtete. Durch die offene Thür zog eine kalte Luft, denn es begann Morgen zu werden, und die Zeit vor dem Sonnenaufgange pflegt in Aegypten empfindlich kühl zu sein. Die Glieder der leicht gekleideten Greisin durchschauerte leiser Frost. Thränenlos starrte sie in den öden Raum, der noch vor wenigen Minuten von Lust und Jubel erfüllt war. Sie verglich ihr Inneres mit diesem öden Freudengemach. Es war ihr, als zehre ein Wurm an ihrem Herzen, als gerinne all’ ihr Blut zu Schnee und Eis.
So stand sie lange, lange, bis ihre alte Sklavin erschien und ihr in ihr Schlafgemach voranleuchtete.
Schweigend ließ sich Rhodopis entkleiden, schweigend öffnete sie den Vorhang, welcher ein zweites Schlafgemach von dem ihren trennte. In der Mitte desselben stand ein Bett von Ahornholz, in dem auf einer Matratze von zarter Schafwolle, die mit weißen Laken überdeckt war, unter lichtblauen Tüchern108 ein holdseliges, wunderliebliches Wesen schlummerte, Sappho, die Enkelin der Rhodopis. Die zarten, schwellenden Formen, dieses feingebildete Angesicht gehörten einer aufblühenden Jungfrau, dies selige, friedliche Lächeln einem harmlosen, glücklichen Kinde.
Die eine Hand, auf welcher das holde Haupt der Schläferin ruhte, war in dem dunkelbraunen vollen Haare verborgen, die andere legte sich leicht um ein kleines Amulet von grünem Stein109, welches von ihrem Halse herniederhing. Die langen Wimpern der geschlossenen Augen bewegten sich kaum bemerkbar, und über die Wangen der Schläferin breitete sich ein zartes, sanft verschwimmendes Rosenroth. Die feinen Nasenflügel hoben und senkten sich in gleichmäßigen Athemzügen. So bildet man die Unschuld, so lächelt der träumende Friede, solchen Schlummer schenken die Götter der sorglosen ersten Jugendzeit.
Die Greisin näherte sich lautlos, den dichten Teppich110 voller Behutsamkeit kaum mit den Fußspitzen berührend, diesem Lager. Unsagbar zärtlich schaute sie in das lächelnde Kinderantlitz, leise und schweigend kniete sie vor dem Bette nieder, behutsam preßte sie ihr Angesicht in die weichen Decken desselben, so daß die Hand der Jungfrau die Spitzen ihres Haares berührte. Dann weinte sie ohne Unterlaß, als wollte sie mit diesen Thränen die Demüthigung, welche sie erfahren hatte, und alles Leid aus ihrer Seele waschen.
Endlich stand sie auf, hauchte einen leisen Kuß auf die Stirn der Schläferin, hob die Hände betend zum Himmel empor und ging in ihr Gemach zurück, behutsam und leise, wie sie gekommen war.
An ihrem Lager fand sie die alte Sklavin, welche ihrer immer noch wartete.
»Warum bist Du nicht zur Ruhe gegangen, Melitta?« fragte sie freundlich und leise. »Geh’ zu Bett; das lange Wachen thut nicht gut in Deinem Alter; Du weißt, daß ich Dich nicht mehr brauche. Gute Nacht! komm’ morgen nicht eher, als bis ich Dich rufen lasse. Ich werde wenig schlafen können und bin froh, wenn mir der Morgen kurzen Schlummer bringt!«
Die Sklavin zauderte; man sah ihr an, daß sie noch etwas zu sagen habe, und sich dennoch zu reden scheue.
»Du möchtest mich um etwas bitten?« fragte Rhodopis.
Die Alte zauderte noch immer.
»Sprich nur, sprich; aber mach’ es kurz!«
»Ich sah Dich weinen,« sprach die Sklavin, »Du scheinst mir bekümmert oder krank zu sein; darf ich nicht bei Dir wachen; willst Du mir nicht sagen, was Dich quält? Schon oftmals hast Du erfahren, daß Mittheilung die Brust erleichtert und den Schmerz zertheilt. Vertraue mir auch heute Dein Weh; das wird Dir gut thun, gewiß, das wird Dir die Ruhe Deiner Seele wiedergeben!«
»Nein, ich kann nicht sprechen!« erwiederte jene. Dann fuhr sie bitter lächelnd fort. »Ich habe wiederum gesehen, daß kein Gott im Stande ist, die Vergangenheit eines Menschen auszulöschen und daß Unglück und Schande Eins zu sein pflegen. Gute Nacht! Verlaß mich, Melitta!«
Um die Mittagszeit des folgenden Tages hielt dieselbe Barke, welche am vorigen Abende den Athener und Spartaner getragen hatte, vor dem Garten der Greisin.
Die Sonne schien so hell, so heiß und fröhlich vom klaren dunkelblauen ägyptischen Himmel, die Luft war so rein und leicht, die Käfer schwirrten so lustig, die Schiffer in den Kähnen sangen so laut und übermüthig ihre einförmigen, sich immer und immer wiederholenden Lieder, das Nilufer war so blühend, so fahnenbunt und menschenreich, die Palmen, Sykomoren, Akazien und Bananen grünten und blühten so saftig und kraftstrotzend, der ganze Landstrich ringsumher schien so außergewöhnlich reich von einer freigebigen Gottheit ausgestattet zu sein, daß der Wanderer glauben mußte, aus diesen Auen sei alles Unglück verbannt, hier sei die Heimath aller Lust und aller Freude.
Wie häufig wähnen wir, an einem unter blühenden Obstbäumen versteckten stillen Dörfchen vorbeifahrend, dies sei der Sitz allen Friedens, der Anspruchslosigkeit und des herzlichen Beisammenlebens. Wenn wir aber in die einzelnen Hütten treten, so finden wir in ihnen, wie überall, Angst und Noth, Verlangen und Leidenschaft, Furcht und Reue, Schmerz und Elend neben ach! so wenigen Freuden! Wer mochte, nach Aegypten kommend, ahnen, daß dieses lachende, strotzende, bunte Sonnenland, dessen Himmel sich niemals bewölkt, zu Ernst und Bitterkeit geneigte Menschen ernährte, wer konnte vermuthen, daß in dem zierlichen, von Blüthen umkränzten, gastfreien Hause der glücklichen Rhodopis ein Herz in tiefem Kummer schlüge? Welcher Besucher der allgefeierten Thracierin konnte ahnen, daß dieses Herz der anmuthlächelnden Greisin angehöre?
Bleich, aber schön und freundlich wie immer, saß sie mit Phanes in einer schattigen Laube neben dem kühlenden Wasserstrahle des Springquells. Man sah ihr an, daß sie abermals geweint hatte. Der Athener hielt ihre Hand und sprach ihr lebhaft zu.
Rhodopis hörte ihn geduldig an, jetzt bitter, jetzt zustimmend lächelnd. Endlich unterbrach sie den wohlmeinenden Freund und sagte.
»Ich danke Dir, Phanes! Ueber kurz oder lang muß auch diese Schmach vergessen werden. Die Zeit ist ein guter Wundarzt. Wäre ich schwach, so verließe ich Naukratis, und lebte in der Stille ganz allein für meine Enkelin. In diesem jungen Wesen, sag’ ich Dir, schlummert eine ganze Welt. Tausendmal wollt’ ich Ägypten verlassen, tausendmal besiegte ich diesen Wunsch. Mich hielt nicht das Verlangen nach Huldigungen Deines Geschlechts; deren habe ich so viele genossen, daß ich mehr als gesättigt bin! Mich, das schwache, das einst verachtete Weib, die frühere Sklavin, hielt und hält das Bewußtsein, freien, edlen Männern gewiß von einigem Nutzen, vielleicht manchmal unentbehrlich zu sein. An einen großen männlichen Wirkungskreis gewöhnt, würde mich die bloße Sorge für ein geliebtes Wesen nicht befriedigen; ich würde verdorren wie eine Pflanze, die man aus fettem Boden in die Wüste versetzt, und meine Enkelin bald ganz vereinsamt, dreifach verwaist in der Welt dastehen. Ich bleibe in Aegypten!
»Jetzt, nach Deiner Abreise, werde