Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.zu kämpfen haben. Ich muß bleiben und fort- und vorkämpfen für Hellenen-Freiheit und Hellenen-Wohlfahrt. Das ist der Zweck meines Lebens. Diesem Zwecke bin ich um so treuer, je seltener sich eine Frau vermißt, ähnlichen Zielen ihr Leben zu weihen. Mögen sie mein Streben unweiblich nennen, immerhin! In dieser durchweinten Nacht habe ich gefühlt, daß noch unendlich viel von jener Frauenschwäche in mir wohnt, welche zu gleicher Zeit das Glück und Unglück meines Geschlechts ausmacht. Diese Schwäche, vereint mit der ganzen Fülle zarter Weiblichkeit in meiner Enkelin zu erhalten, ist meine erste Aufgabe gewesen; die zweite war, mich selbst von aller Weichheit zu befreien. Doch ist es unmöglich, gegen die eigene Natur einen Sieg ohne Niederlage zu erkämpfen. Will mich ein Schmerz unterjochen, will ich verzweifeln, dann ist mein einziges Mittel, jenes Pythagoras, des herrlichsten aller Lebenden, meines Freundes111 und seiner Worte zu gedenken: ›Bewahre das Ebenmaß in allen Dingen, hüte Dich vor jubelnder Lust wie vor klagendem Jammer, und strebe danach, Deine Seele harmonisch und wohlklingend zu erhalten wie die Saiten einer schöngestimmten Harfe!‹ Dieser pythagoreische Seelenfrieden, diese tiefe, ungetrübte Ruhe des Gemüths habe ich täglich in meiner Sappho vor Augen; ich aber ringe darnach, trotz mancher Griffe des Schicksals, welche die Saiten meiner Herzenslaute gewaltsam verstimmen. Jetzt bin ich ruhig! Du glaubst nicht, welche Macht der bloße Gedanke an jenen großen Denker, jenen stillen gemessenen Mann, auf mich ausübt. Die Erinnerung an ihn zieht wie ein weicher und doch frisch belebender Ton durch mein Dasein. Auch Du hast ihn gekannt und mußt verstehen, was ich meine. Jetzt bitte ich Dich, Dein Anliegen vorzubringen. Mein Herz ist ruhig wie die Wogen des Nils, welcher dort so still und ungetrübt an uns vorüberfließt. Sei es Schlimmes, sei es Gutes, ich bin bereit Dich zu hören.«
»So gefällst Du mir,« sprach jetzt der Athener. »Hättest Du früher des edlen Freundes der Weisheit, wie sich Pythagoras selbst zu nennen pflegte112, gedacht, dann würde Deine Seele schon gestern ihr schönes Gleichgewicht wiedergefunden haben. Der Meister gebietet, man solle an jedem Abende die Ereignisse, Gefühle und Gedanken des vergangenen Tages in seiner Vorstellung noch einmal durchleben. Hättest Du das gethan, so würdest Du Dir gesagt haben, daß die ungeheuchelte Bewunderung all’ Deiner Gäste, unter denen sich Männer von hohem Verdienste befanden, die Schmähreden eines trunkenen Wüstlings tausendfach aufwiegt; Du hättest Dich als eine Freundin der Götter fühlen müssen, denn in Deinem Hause gewährten die Unsterblichen einem edlen Greise nach jahrelangem Mißgeschicke die höchste Wonne, welche nur immer einem Menschen zu Theil werden kann; endlich nahmen sie Dir einen Freund, um Dir sofort einen neuen, besseren zu schenken. Keine Widerrede, und laß mich jetzt mit meiner Bitte beginnen!
»Du weißt, daß man mich bald einen Athener, bald einen Halikarnassier113 nennt. Die jonischen, aeolischen und dorischen Söldner haben sich von jeher mit den karischen nicht sonderlich vertragen; darum war mir, dem Anführer beider Theile, meine ich möchte sagen dreifache Herkunft besonders nützlich. So treffliche Eigenschaften Aristomachus besitzen mag, so wird mich Amasis dennoch vermissen; denn mir gelang es leicht, Einigkeit unter den Söldnerschaaren herzustellen, während der Spartaner den Karern gegenüber auf große Schwierigkeiten stoßen wird.
»Diese meine doppelte Herkunft kommt daher, daß mein Vater eine Halikarnassierin aus edlem dorischem Geschlechte zum Weibe hatte und mit ihr, um das Erbe ihrer Eltern in Empfang zu nehmen, gerade zu Halikarnassus verweilte, als ich geboren wurde. Obgleich man mich schon in meinem dritten Lebensmonde nach Athen zurücknahm, so bin ich doch eigentlich ein Karer, denn der Geburtsort bestimmt die Heimath des Menschen.
»In Athen ward ich, als junger Eupatride114 aus dem vornehmen, uralten Geschlechte des Ajax, mit allem Stolze eines attischen Adeligen aufgesäugt und erzogen. Der tapfere und kluge Pisistratus, aus einer der unsern zwar ebenbürtigen, aber keineswegs überlegenen Familie (es gibt kein vornehmeres Geschlecht wie das meines Vaters), wußte sich der Alleinherrschaft zu bemächtigen. Den vereinten Bemühungen des Adels gelang es, ihn zweimal zu stürzen. Als er zum dritten Male mit Hülfe des Lygdamis von Naxos, der Argier und Eretrier zurückkehren wollte, stellten wir uns ihm entgegen. Beim Athenetempel zu Pallene hatten wir uns gelagert. Als wir vor dem Frühstücke der Göttin opferten, überraschte uns der kluge Gewalthaber, überfiel unsere waffenlose Mannschaft und errang einen leichten unblutigen Sieg. Da mir die Hälfte des ganzen tyrannenfeindlichen Heeres anvertraut war, so beschloß ich eher zu sterben, als vom Platze zu weichen. Ich kämpfte mit allen Kräften, beschwor die Soldaten, Stand zu halten, wich und wankte nicht; fiel aber zuletzt mit einem Speere in der Schulter zu Boden.
»Die Pisistratiden wurden Herren von Athen115. Ich floh nach Halikarnaß, meiner zweiten Heimath, wohin mich meine Frau mit unseren Kindern begleitete, erhielt den Ruf als Oberster der Söldner in Aegypten, weil mein Name wegen eines Pythischen116 Sieges und kühner Kriegsthaten bekannt war, machte den Feldzug auf Cypern mit, theilte mit Aristomachus den Ruhm, die Geburtsstätte der Aphrodite für Amasis erstritten zu haben, und wurde endlich Oberbefehlshaber aller Söldner in Aegypten.
»Meine Frau starb im vorigen Sommer; die Kinder, ein Knabe von elf und ein Mädchen von zehn Jahren, blieben bei ihrer Muhme in Halikarnaß. Auch diese verfiel dem unerbittlichen Hades. Nun habe ich die Kleinen vor wenigen Tagen hierher bestellt; sie können aber nicht vor Ablauf dreier Wochen zu Naukratis eintreffen und möchten die Reise schon angetreten haben, ehe sie ein Gegenbefehl erreichen kann.
»In vierzehn Tagen muß ich Aegypten verlassen, und vermag daher die Kinder nicht selbst zu empfangen.
»Ich habe beschlossen, mich nach dem thracischen Chersonnes zu begeben, wohin mein Oheim, wie Du weißt, von dem Stamme der Dolonker117 berufen werden ist. Dorthin sollen auch die Kinder nachkommen. Korax, mein alter treuer Sklave, wird in Naukratis bleiben, um die Kleinen zu mir zu bringen.
Willst Du zeigen, daß Du in der That meine Freundin bist, so empfange und pflege sie, bis ein Schiff nach Thracien segelt, und verbirg sie sorgfältig vor den Blicken der Spione des Thronerben Psamtik. Du weißt, daß mich dieser tödtlich haßt, und sich leicht durch die Kinder an dem Vater rächen könnte. – Ich habe Dich um diese große Gunst gebeten, weil ich erstens Deine Güte kenne; zweitens aber, weil Dein Haus durch jenen Freibrief des Königs, welcher es zum Asyle macht, die Kinder vor allen Nachforschungen der Sicherheitsbehörde schützt, die ja in diesem formenreichen Lande gebietet, jeden Fremden, selbst Kinder, bei den Bezirksbeamten anzumelden.
»Du siehst, wie hoch ich Dich schätze, denn ich übergebe Dir das Einzige, was mir das Leben noch lebenswerth macht. Selbst die Heimath ist mir nicht theuer, so lange sie sich dem Zwingherrn schmählich unterwirft. Willst Du dem geängstigten Herzen eines Vaters seine Ruhe wiedergeben, willst Du . . .?«
»Ich will, ich will, Phanes!« rief die Greisin in unverstellter Herzensfreude. »Du bittest mich um Nichts, Du machst mir ein Geschenk. O, wie ich mich auf die Kleinen freue! Und wie wird Sappho jubeln, wenn die lieben Geschöpfe ankommen und ihre Einsamkeit beleben werden! Aber das sage ich Dir, Phanes, mit dem ersten thracischen Schiffe lass’ ich meine kleinen Gäste auf keinen Fall abreisen! Ein kurzes halbes Jahr länger kannst Du Dich wohl von ihnen trennen, denn ich stehe dafür, daß sie trefflichen Unterricht empfangen und zu allem Schönen und Guten angehalten werden sollen.«
»Darüber wäre ich unbesorgt,« erwiederte Phanes, dankbar lächelnd; »doch muß es dabei bleiben, daß Du die beiden Störenfriede mit dem ersten Schiffe reisen läßt. Meine Furcht vor der Rache des Psamtik ist leider nur zu wohl begründet. Nimm denn schon im Voraus den herzlichsten Dank für Deine Liebe und Güte gegen die Kinder. Uebrigens glaube ich selbst, daß die Zerstreuung durch die munteren Geschöpfe Deiner Sappho in ihrer Einsamkeit wohlthun wird.«
»Und ferner,« unterbrach ihn Rhodopis