Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
Читать онлайн книгу.Thron!«
»Herunter mit ihm!« wiederholte Gagabu lebhaft.
Ameni reichte dem Alten seine vor Erregung bebende Hand und fuhr ruhiger fort:
»Der Statthalter Ani ist von Seiten des Vaters und der Mutter ein echtes Kind dieses Landes. Ich kenne ihn genau und weiß, daß er zwar klug, aber ängstlich rücksichtsvoll ist und uns in unser altes, uns rechtmäßig zugehörendes Erbtheil wieder einsetzen wird. Hier fällt die Wahl nicht schwer. Ich habe gewählt und pflege durchzuführen, was ich einmal begonnen! Nun weißt Du Alles und wirst mir helfen!«
»Mit Leib und Leben!« rief Gagabu.
»Kräftige auch die Herzen der Genossen,« sagte Ameni, Abschied nehmend. »Jeder Geweihte mag ahnen, was vorgeht, aber niemals soll es ausgesprochen werden.«
Zwölftes Kapitel
Die Sonne des neunundzwanzigsten Morgens des zweiten Ueberschwemmungsmonats 184 war aufgegangen und die Bürger und Bürgerinnen, die Greise und Kinder, die Freien und Sklaven in Theben brachten dem aufsteigenden Tagesgestirne vor den Pforten der Tempel, zu denen das von ihnen bewohnte Stadtviertel gehörte, unter Leitung der Priester ihre Huldigung dar.
Familienweise standen die Thebaner zusammen vor den Pylonen und warteten auf die Prozession der Priester, der sie sich anzuschließen gedachten, um mit ihr zu dem großen Reichstempel zu wallen und von ihm aus mit den Festbarken über den Strom in die Nekropole zu fahren.
Heute, am Feste des Thales, wurde Amon, der große Gott von Theben, in feierlichem Aufzuge hinüber geführt in die Todtenstadt, damit er dort, wie die Priester sagten, 185 seinen Eltern im Jenseits opfere. Nach Westen richtete sich die Fahrt, und hier, wo auch die irdischen Reste der Menschen Ruhe fanden im Grabe, waren die Millionen Sonnen verschwunden, denen täglich eine neue, aus der Nacht erstehende, gefolgt war.
Das verjüngte Licht, sagten die Priester, vergißt des erloschenen nicht, aus dem es erstanden, und bringt ihm als Amon seine Huldigung dar, um die Frommen zu mahnen, der Dahingegangenen nicht zu vergessen, denen sie das Leben verdanken.
»Bringe Opfer,« sagte ein frommer Spruch, »Deinem Vater und Deiner Mutter, welche im Thale der Gräberstätte ruhen, denn solches ist den Göttern genehm, welche diese Spenden annehmen wollen, als wären sie ihnen selbst gebracht. Besuche häufig Deine Verstorbenen, damit das, was Du für sie thust, Dein Sohn für Dich thue.« 186
Das Fest des Thales war ein Todtenfest, aber kein trauriges, mit Jammer und Wehklagen gefeiertes, sondern ein frohes, dem pietätsvollen Gedenken an Diejenigen gewidmetes, die man auch nach dem Tode nicht zu lieben aufhörte, die man als Selige glücklich pries und deren man freundlich gedachte, während man, gesellig in den Grabkapellen oder vor ihrer Gruft vereint, Opfer brachte und schmauste.
Vater, Mutter und Kinder schlossen sich eng aneinander. Die Sklaven des Hauses folgten ihnen mit Mundvorrath und Fackeln, um das Dunkel der Gruft und die Nacht bei der späten Heimkehr zu erhellen.
Auch der Aermste hatte schon am Tage vorher für ein Plätzchen in einem der großen Boote gesorgt, welche die Prozession über den Strom setzten. Der Reichen Barken standen für ihre Besitzer und deren Hausstand im glänzenden Aufputz bereit, und die Kinder hatten in der Nacht von dem heiligen Festschiffe des Amon geträumt, dessen Pracht, wie die Mutter ihnen erzählte, der Herrlichkeit der goldenen Barke nur wenig nachstand, aus welcher der Sonnengott mit seinen Begleitern den Ozean des Himmels befuhr.
Schon wimmelte die große Stromtreppe des Reichstempels von Priestern, das Ufer von Bürgern und der Fluß von Booten, schon übertönte rauschende Festmusik das Getöse der Volksschaaren, die einander, von Staubwolken umhüllt, drängten, um die Schiffe und Barken zu erreichen; schon waren alle Häuser und Hütten von Theben leer und das Hervortreten des Gottes aus der Tempelpforte wurde erwartet; aber es fehlten immer noch die Mitglieder des Königshauses, welche sonst an diesem Tage zu Fuß den großen Tempel des Amon zu betreten pflegten, und im Volke fragte Einer den Andern, warum Bent-Anat, die schöne Tochter des Ramses, so lange ausbleibe und den Aufbruch der Prozession verzögere.
Schon stimmten die Priester ihre Gesänge hinter der Mauer an, welche dem Volke den Einblick in die bunten Räume des Tempels versperrte, schon hatte der Statthalter mit glänzendem Gefolge das Heiligthum betreten, schon öffneten sich die Thore, schon zeigten sich die leichtgeschürzten Knaben, welche Blumen auf den Weg des Gottes zu streuen hatten, schon verkündeten Weihrauchsdüfte, daß Amon sich nahe, und noch immer wollte sich die Tochter des Ramses nicht zeigen.
Mancherlei Gerüchte wurden laut, darunter höchst widersinnige; aber das Eine stand fest und wurde auch zum Bedauern der Menge von den Tempeldienern bestätigt: die Prinzessin nahm nicht Theil an der Prozession, Bent-Anat war ausgeschlossen von dem Feste des Thales.
Mit ihrem Bruder Rameri und der Gattin des Mena stand sie auf dem Altan ihres väterlichen Palastes und schaute nach dem Strom und dem nahenden Gotte hin.
In der Frühe des gestrigen Tages hatte ihr der alte Oberpriester des Amon von Theben, Bek en Chunsu, die Reinheit zurückgegeben, am Abende war er gekommen, um ihr mitzutheilen, daß Ameni ihr untersage, die Nekropole zu betreten, bevor sie nicht die Vergebung der Götter des Westens für ihre Vergehen erlangt habe.
Im Stande der Unreinheit hatte sie den Hathortempel besucht und ihn befleckt, und der strenge Vorsteher der Todtenstadt war im Rechte, das gestand Bek en Chunsu ein, wenn er ihr das Gebiet des Westens verschloß.
Nun rief Bent-Anat Ani's Hülfe an, aber obgleich der Statthalter ihr zusagte, für sie einzutreten, so kam er doch spät am Abend zu ihr, um ihr mitzutheilen, daß Ameni sich seinen Bitten unzugänglich zeige. Der Statthalter gab ihr dabei mit der Miene des Bedauerns den Rath, um ein öffentliches Aergerniß zu vermeiden, der ehrenwerthen Strenge Ameni's nicht zu trotzen und sich von dem Feste fern zu halten.
Frau Katuti sandte zur selben Stunde den Zwerg Nemu zu ihrer Tochter, um diese aufzufordern, mit ihr an dem Zuge Theil zu nehmen und in der Gruft ihrer Väter zu opfern; aber Nefert ließ ihr die Antwort ertheilen, daß sie sich nicht von ihrer Freundin und Herrin trennen könne und wolle.
Bent-Anat hatte die vornehmeren Mitglieder ihres Hofstaates beurlaubt und sie gebeten, bei der schönen Feier auch ihrer zu gedenken.
Als sie von dem Altan aus das Volk sich versammeln und die Boote wimmeln sah, trat sie in ihr Gemach zurück, rief den die Frechheit Ameni's mit zornigen Worten strafenden Rameri zu sich heran, faßte seine beiden Hände und sagte: »Wir haben Beide gefehlt, Bruder, laß uns die Folgen unserer Schuld geduldig tragen und handeln, als wäre der Vater bei uns.«
»Er würde dem übermüthigen Priester das Pantherfell von den Schultern reißen,« rief der Prinz, »wenn er in seiner Gegenwart Dich so zu demüthigen wagte.«
Bei diesen Worten rannen Thränen des Ingrimms über seine jugendlichen Wangen.
»Laß jetzt das Zürnen,« entgegnete Bent-Anat. »Du warst noch klein, als der Vater zum letzten Mal Theil nahm an diesem Feste.«
»O, ich erinnere mich wohl jenes Morgens,« rief Rameri, »und werde ihn niemals vergessen.«
»Ich dacht' es,« sagte Bent-Anat. »Bleibe nur, Nefert, Du bist ja jetzt meine Schwester! Es war ein köstlicher Morgen. Wir Kinder waren festlich geschmückt in der großen Halle des Königs versammelt. Da ließ er uns in diese Räume rufen, welche die Mutter bewohnt hatte, die vor wenigen Monaten gestorben war. Jeden Einzelnen nahm er bei der Hand und sagte ihm, er vergebe ihm Alles, was er etwa gefehlt, wenn er es ernstlich bereue, und drückte Jedem einen Kuß auf die Stirn. Dann winkte er uns zu sich heran und sagte so bescheiden als wär' er Einer von uns und nicht der gewaltige König: ›Vielleicht hab' auch ich Einem unter euch Unrecht gethan oder ihm nicht sein volles Recht widerfahren lassen. Ich bin mir dessen nicht bewußt, aber wär' es geschehen, so thut es mir leid!‹ – Da stürzten wir Alle auf ihn zu und Jeder wollte ihn küssen, er aber wehrte uns