Das Erbe Teil I. Wolfgang Ziegler

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Das Erbe Teil I - Wolfgang Ziegler


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Und darum hat er sich auch nur über mich in dieser Sache artikuliert.“ Der Anwalt rückte das Goldgestell seiner Brille zurecht, mit der er, trotz seines Alters, noch etwas von einem Primaner an sich hatte.

      „Ja, dann machen wir es doch einfach mal auf“, konnte Wolf nun endlich erwidern und deutete auf das unscheinbare Paket. Meurat versuchte nun mit einem mächtigen Brieföffner, die dicken versiegelten Schnüre zu zertrennen.

      „Was auch Ihren Vater bewog, nochmals sich dieser Dinge zu erinnern ... Besser wäre es jedoch, man ließe den Teufelskram ruhen. Es ist heute eh‘ kein Zugang mehr möglich ...“

      „Um was geht es denn hier nun eigentlich?“ entfuhr es Wolf, der aus den rätselhaften Worten Meurats noch immer nicht schlau wurde.

      „Wir haben damals bestimmte Dinge zu verschließen gehabt, bevor sie dem Feind in die Hände fielen. Dabei, junger Freund, geht es nicht um irgendwelches Beutegold oder ähnliches. Die beteiligten Wissenschaftler und Techniker mußten an geheimsten Projekten arbeiten, für deren Durchführung und Absicherung nur ein sehr kleiner Kreis Personen zuständig war. Gold gab es da allenfalls für technische Zwecke. Das war aber auch da, und allein dieses Material dürfte schon erheblichen Wert haben für den, der es heute noch bergen kann. Aber hier ging es wie gesagt um völlig andere Dinge als irgendwelchen goldnen Klüngel, mit dem die verdammten Bonzen verschwunden sind oder den sie vielleicht heimlich in privaten Depots verscharrten.“

      „Und was für Dinge waren das?“ Wolf wurde zunehmend neugierig. „Das hängt doch sicher mit diesen geheimen wissenschaftlichen Projekten zusammen, die Sie eben erwähnten.“ Während Meurat noch immer an der sehr festen Verpackung des geheimnisvollen Päckchens zerrte, antwortete er schnaufend: „Natürlich. Ich sagte es ja schon. Da gab es Sachen, wovon heute Wissenschaftler in aller Welt noch immer nur träumen dürften. Genaueres haben wir aber auch nicht erfahren. Wir hatten nur in der Gegend, wo sich unterirdische Laboratorien, Fabrikationsanlagen und anderes befanden, mit deren Sicherheit zu tun. Die Dinge selbst haben auch wir nicht gesehen. Auch uns erreichten allenfalls Gerüchte. Ein Wort zum falschen Mann hätte damals sofort den Kopf gekostet.“

      „Und wo war diese Gegend“? wollte Wolf nun wissen.

      „Ja, da liegt ja das Problem“, lachte der Anwalt äußerst unfröhlich auf. „Das ist heute tief im Osten, wenn ich überhaupt richtig vermute!“

      Endlich zerriß der dicke Faden des Päckchens mit einem leichten Knall. Aus der Verpackung rutschten verschiedene Dinge auf die Schreibunterlage. Obenauf lag eine kleine Wachstuchmappe, die ein paar vergilbte Fotos enthielt. Ihr folgten eine Art Plan oder Karte und ein merkwürdiger metallischer Gegenstand, der am ehesten aussah wie ein Spezialschlüssel für einen Tresor oder ähnliches. Das Metallteil war noch immer blitzblank, schien aus derbem Edelstahl zu bestehen und hatte einiges Gewicht. Im ersten Moment standen die beiden Männer schweigend vor den kargen Hinterlassenschaften Edward Wolfs. Doch die Dinge verkörperten offensichtlich den Schlüssel zu einem schwerwiegenden Geheimnis, bei dem es sich keineswegs um Angaben zu einem alten Schatzhort oder derartige Dinge handelte. Hier war offensichtlich mehr im Spiel. Eine erste Durchsicht der nun vorliegenden Dokumente brachte jedoch kein eindeutiges Ergebnis. Die Handvoll Fotos zeigten Aufnahmen von Baustellengeländen, die sich inmitten von Bergen und Wäldern befanden. Es waren einesteils Außenaufnahmen. Weitere Bilder bildeten das Innere anscheinend mächtiger Stollen, Hallen und Tunnels ab. Merkwürdigerweise erschien auf keinem der Fotos auch nur eine Menschenseele. Der beiliegende alte Plan entpuppte sich auseinandergefaltet als fachmännisch, am Reißbrett angefertigte technische Zeichnung - anscheinend akkurat eine Energieverteilung in einem vorerst noch unbekanntem System unterirdischer Bauten darstellend. Aber was der beiliegende Metallgegenstand wirklich darstellt, blieb vorerst ebenfalls ein völliges Rätsel. Vor den hohen, schmalen Fenster des Kanzleibüros zog peitschend der Herbstwind das fahle Laub von den Bäumen. Im Raum herrschte das diffuse Dämmerlicht der späten Nachmittagsstunde, und in den alten, braunen Wandpaneelen knackte es mitunter leise.

      „Das ist mir alles seltsam“, sagte Wolf endlich die eingekehrte Stille. „Was gibt es denn hier zu holen? Diese Orte sind doch sicher von den Russen schon lange durchsucht und verschlossen, wenn die nicht gar alles in die Luft gejagt haben!“

      „Da irren Sie aber gewaltig. Wenn Ihr werter Herr Vater dort etwas für Sie hinterließ, dann hatte das seinen triftigen Grund. Und wenn jemand etwas wirkungsvoll verschlossen und verborgen hat, junger Freund, dann waren nur wir das damals!“ erregte sich Meurat.

      „Schon gut“, beeilte sich Wolf zu entgegnen, der die plötzliche Aufregung seines Gegenübers zu verstehen begann.

      „Aber es muß also dort etwas Wertvolles verborgen sein, womit sich mein Vater hätte sanieren können ...“

      „Genau das ist wohl der Punkt“, bestätigte ihm der Anwalt. Seine Brille mit dem glänzenden Gestell heftig putzend wühlte er nochmals in dem kleinen Häufchen Unterlagen herum.

      „Natürlich bin ich nicht völlig ahnungslos. Nur, in meinem Alter wären das etwas zuviel Anstrengungen und Abenteuer. Außerdem habe ich hier noch meine Aufgaben zu erfüllen.“

      Meurat nahm mit diesen Worten die gefaltete Karte zur Hand und ließ sich damit tief in einen der schweren Sessel sinken. Die Sekretärin brachte den beiden Männern in den nächsten Minuten nochmals Kaffee, dann durfte sie Feierabend machen. Der Anwalt und sein Gast waren dann so allein und völlig ungestört. Nach ausgiebigem Studium des Planes, bei dem auch eine übergroße Lupe zum Einsatz kam, hellten sich Meurats Gesichtszüge wieder etwas auf.

      „Es ist weit weg. Es ist im Eulengebirge, heute jedoch polnisches Gebiet“, sagte er endlich. „Das vermutete ich vorher schon, denn wir waren gemeinsam dort eingesetzt. Aber es wurden dort seit Mitte der dreißiger Jahre mehrere Untergrundanlagen zu verschiedenen Zwecken gebaut. Das Problem ist also, welche von ihnen das gesuchte Objekt birgt. Abgesehen davon, daß mir nicht völlig klar ist, worum es sich überhaupt handelt. Wäre es zum Beispiel nur eine Art Kiste oder ähnliches, dann nutzt nicht mal die Kenntnis, in welcher Anlage sie steckt“

      „Wieso das?“ wollte Wolf wissen.

      „Weil die einzelnen Untergrundsysteme derartige Ausdehnungen haben, über die Sie sich keine Vorstellungen machen können, junger Freund. Da geht es nicht um ein paar hundert Meter lange Grubenstrecken oder so. Unter dem Gebirge liegen komplexe, riesige Gangsysteme. Fahrstollen für kleine Elektrobahnen mit Haltepunkten, Montagehallen, Bunker, Fahrstuhlschächte, Nachrichtenzentralen, Befehls- und Überwachungsstände und so weiter. Wie aber soll man darin einen verborgenen Gegenstand finden. Ein zum Beispiel mir bekannter Tunnel war damals schon an die drei Kilometer lang!“

      „Dann muß in diesem Material etwas einen ganz konkreten Hinweis geben, ansonsten wäre es ja sinnlos“, entgegnete der Besucher des Rechtsanwalts.

      „Da liegen Sie wohl allerdings richtig“, gab sich Meurat nachdenklich.

      Erneut begannen beide Männer die vorliegenden Dokumente genau zu untersuchen. Sie richteten das Licht der nun eingeschalteten Schreibtischlampe auf Plan und Fotos und versuchten noch etwas herauszufinden, was sie vielleicht anfangs übersehen haben mochten. Meurat, der etwas Probleme mit den Augen hatte, hielt die Karte eine Weile dichter unter den starken Lichtkegel der Lampe, gab sie dann aber zurück an Wolf.

      „Ich kann nichts erkennen“, schimpfte er dabei mißmutig. „Das sind die Pläne der Elektroversorgungen in den Hauptsystemen, sonst nichts.“

      Wolf nahm die auseinandergefaltete Karte erneut in die Hand. Plötzlich stutzte er. Was war das plötzlich für eine merkwürdige Verfärbung? Eben war diese noch nicht da. Bei genauerer Untersuchung mit dem großen Lupenglas entpuppte sie sich nun als eine braune, gestrichelte Linie, die sich als ein dünner Strich durch das Gewirr der hier aufgezeichneten Gangsysteme schlängelte.

      „Das ist ja toll. Ich habe den Plan vorhin mal dicht an die Lampe gehalten“, erklärte Meurat aufgeregt. „Da hat er sich wohl kurz erwärmt und die Markierung ist aufgetaucht. Eine ganz simple Methode. Einfacher Zitronensaft reicht da schon. Als Kinder haben wir so früher Geheimschrift fabriziert.“


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