Das Erbe Teil I. Wolfgang Ziegler
Читать онлайн книгу.vom windschiefen Gartenzaun weg. Erst im Schuppen, in Deckung eines mächtigen Holzstapels, musterte Pawlek ihn mißtrauisch. „Sie kommen von unserem gemeinsamen Freund. Und ich soll ihnen gegebenenfalls helfen“, murmelte er leise und schaute sich immer wieder nervös um.
Wolf bejahte, worauf sein Gegenüber ihn noch dichter an den Holzstapel zog. „Es ist gefährlich“, zischte der Mann wie eine Schlange. Das zerfurchte, braune Gesicht war dabei todernst. „Lassen Sie diese Dinge ruhen.“
„Nun machen Sie mal halblang. Ich habe hier etwas zu erledigen, weiter brauchen Sie eh‘ nichts zu wissen. Das dient ja auch Ihrer Sicherheit. Ihre Hilfe in allen Ehren, ich bin aber nur im Ausnahmefall darauf angewiesen“, sagte Wolf zu dem Alten. „Und denken Sie daran, daß bestimmte Leute, die es noch immer gibt, nichts vergessen haben. Also, ich rate Ihnen keine Dummheiten zu machen.“ Die deutlichen Worte taten ihre Wirkung. Der Mann kroch förmlich in sich zusammen. „Ja, ja, natürlich.“
„Gut jetzt“, unterbrach ihn Wolf, nun schon etwas versöhnlicher klingend. „Wenn ich etwas von Ihnen will, weiß ich jetzt, wo ich Sie finde. Das reicht fürs Erste.“
„Wenn Sie in die Berge wollen, begleite ich Sie.“
„Das ist nicht nötig. Einen ersten Eindruck verschaffe ich mir gerne selbst“, gab Wolf kurz zurück. „Ansonsten melde ich mich.“
Er verabschiedete sich und wandte sich wieder der zerfahrenen Dorfstraße zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte er noch, wie der Alte unter dem Schuppendach ihn mit stechendem Blick verfolgte. Wolf verließ das Bergdorf zu Fuß, das sich mit seinen niedrigen Hütten förmlich in das Tal duckte, die nur vom Kirchturm überragt wurden. Am Rande des Ortes erreichte er seinen Wagen, mit dem er in die Kreisstadt zurückfuhr, wo sich sein Hotel befand.
Er wußte nicht, daß der Alte nach seinem kurzen Besuch in den Keller seines Hauses hinabstieg und dort in einem verborgenen Verschlag eine telefonähnliche Anlage in Betrieb nahm, deren getarnte Leitung sich tief in die nahe des Dorfes beginnenden Massive des Gebirges zog.
Die Basis
Major Dr. Martin Hahnfeld saß in dem abgeschabten Sessel vor dem zentralen Kommandopult. Vor ihm eine Vielzahl stummer Instrumente, Anzeigetafeln, Schaltknöpfe und einige kleine Fernsehbildschirme. Seine bestiefelten Füße lagen auf einem Hocker, und neben ihm stand ein metallenes Beistelltischchen mit Kaffee und Zigaretten. Zerlesene Zeitschriften der letzten Jahre verteilten sich daneben auf dem hellen Boden. In den mächtigen unterirdischen Systemen, über die er wachte, herrschte eine geradezu geisterhafte Stille, wenn nicht ab und an irgendwo in den dunklen Hallen und fernen Gängen ein Wassertropfen überdeutlich aufschlug.
Mit müden Augen schaute er auf die zum großen Teil stillgelegte Technik, die, vor nicht allzu langer Zeit und teilweise wohl noch immer, weltweiten Höchststand verkörperte. Hier unten hatte man alles vom Feinsten installiert. Die Bedeutung der Anlage „Gigant“ ließ den Aufwand schließlich zu. Mochten Russen und Amis sich bei ihrem Vordringen in Österreich und Deutschland an anderen Orten die Zähne ausbeißen und glauben, sie hätten nun entscheidende Funde gemacht und alles ausgehoben. In „Gigant“, dem Geheimobjekt, das als aufgegebene Baustelle bekannt war und wo man mittels scheinbarer Auslagerungen erfolgreich den Anschein erweckte, hier wäre alles verlassen und unfertig stehen geblieben, lag die eigentlich letzte Bastion des untergegangenen Dritten Reiches in Mitteleuropa.
Hahnfeld konnte noch immer nicht ein schadenfreudiges Grinsen unterdrücken, wenn er daran dachte, wie die Sieger staunend und ratlos vor gewaltigen technischen Hinterlassenschaften gestanden haben mochten, im Glauben, nun alles gefunden und erobert zu haben. Die nach Kriegsende weltweit in die Schlagzeilen geratene V-Waffen-Fabrik bei Nordhausen war zum Beispiel ein solcher Ort oder die ausgedehnten Anlagen der Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Natürlich waren den Alliierten auch ungeheure Werte in die Hände gefallen. Doch auch hier täuschte das häufig nur installierte Bild ...
Seit Kriegsende saß Hahnfeld in der Basis im Eulengebirge und wartete auf letzte entscheidende Befehle hinsichtlich des Einsatzes hier befindlicher Technik. Anfangs war er lange nicht so einsam gewesen wie heute. Eine große Gruppe deutscher Werwölfe hatte bei ihm ihren Standort gehabt und von hier aus operiert. Doch waren die Jungs draußen immer mehr aufgerieben worden oder von Einsätzen einfach nicht zurückgekehrt. Ihr rätselhaftes Ausbleiben hatte ihm große Sorgen bereitet. Als auch der Letzte dieser Männer für immer verschwand, hatte er sich persönlich nach draußen begeben und den gesonderten Zugang verschlossen und gesichert, den die Werwölfe bis dahin benutzt hatten. Das war nun über ein Jahr her. Vielleicht hatten es viele von ihnen auch einfach satt gehabt. Auch das konnte Hahnfeld nun langsam verstehen.
Ein schrilles Klingeln riß ihn plötzlich aus seinen Betrachtungen. Sein Verbindungsmann mit der Außenwelt meldete sich überraschend. Eine kurze Serie von Punkten und Strichen zeichnete die absichtlich einfache, aber todsichere Morsetechnik auf dem Papierstreifen auf. Der ehemalige Adjutant des Objektkommandanten schickte ihm überraschend eine Warnung. Nach dem vereinbarten Codesystem, das keineswegs dem normalen Morsealphabet entsprach, teilte er nach dem obligatorischen Kennungscode kurz mit, es nähere sich höchstwahrscheinlich eine Person dem Berggebiet, in dessen Tiefe die von ihm gewartete und bewachte Basis lag. Sehr beunruhigt nahm Hahnfeld die ungewöhnliche Nachricht zur Kenntnis; da mußte er unbedingt alle aktiven Sicherungsanlagen überprüfen. Das duldete nun keinen Aufschub.
Von den Zugängen in den geheimen Bereich der eigentlichen Basis konnte so gut wie niemand wissen. Die Werwölfe hatten nur die unterirdische Kaserne gekannt, deren Tor in die Außenwelt Hahnfeld eigenhändig unzugänglich gemacht hatte. Auch der innere Zugang von dort war von ihm versperrt worden, als sie ausblieben. Würde sich jemand von der äußeren Talseite her zu schaffen machen, ertönten innen die Alarmglocken. Dann wäre der Eindringling aber auch schon tot. Dieser Fall war jedoch noch nie eingetreten. Außerdem war dieser Außeneingang zur Kaserne sehr gut getarnt und offenbar bis heute nicht verraten worden. Die Gegend der Basis war außerdem bei der Bevölkerung des Landstrichs am Gebirgsrand bewußt in bösesten Verruf gebracht worden. Nur ungern hielten sich die Einheimischen in diesen Wäldern auf. In den Jahren nach Kriegsende waren hier mehrere Holzfäller spurlos verschwunden, und die Leiche des letzten Försters hatte man übel zugerichtet in einer Schlucht am Gebirgsrand gefunden ... Seitdem lastete ein regelrechter Alp auf den Gebirgsbauern, Zapfenpflückern und Holzfällern. Die wildesten Gerüchte gingen um, und jeder hielt sich tunlichst von der unheimlichen Gegend um das Steinbergmassiv fern.
Hahnfeld verließ den halbrunden Raum mit dem Befehlsstand und ging durch eine Stahltür in einen anschließenden Gang. Nur wenige Schritte weiter führte eine Eisentreppe in eine große Halle hinab. Hier, im Licht nur weniger Lampen, die automatisch aufflammten, als Hahnfeld sie betrat, zeigten sich allerlei große technische Anlagen. Mit verschiedenen Farben markierte Rohrleitungen, dicke Träger für Elektrokabel, hohe Schaltkästen, mächtige Tanks und eine Vielzahl anderer Aggregate standen in der mächtigen unterirdischen Grotte, ohne diese jedoch auszufüllen. Es war noch genug Platz für breite Gänge, in denen sich auf markierten Fahrbahnen kleine Elektrofahrzeuge bewegen konnten, die jetzt allerdings schon lange abgeschaltet in ihren dunklen Nischen standen. Hahnfeld würdigte dieses Wunderwerk an Ingenieurleistung keines Blickes. Er eilte durch den dämmrigen breiten Hauptgang zwischen den technischen Systemen, der sich in Form eines weiten Halbkreises unter dem bedeckenden Gebirge hinzog. Endlich kam er an einer weiteren Stahltür an, die im dunklen Fels eingelassen war. Er gab einen Code in die Zahlentafel, und brummend fuhr die lukartige Abdeckung zur Seite. Dahinter flackerten automatisch trübe Lampen auf, als er den benachbarten Raum betrat. Es war ein langgezogener Felstunnel mit zwei schmalen, glänzenden Stahlgleisen auf dem spärlich geschotterten Boden. Hier wehte kühle Zugluft, und es roch undefinierbar nach Brackwasser, feuchtem Gestein und altem Öl. Hahnfeld ging mit unheimlich in der Dunkelheit hallenden Schritten zu dem kleinen Bahnsteig des unterirdischen Haltepunktes und erreichte schließlich eine Elektrodraisine, die dort immer bereitstand.
Das Tor
Sonnenstrahlen lugten hinter den zerzausten Bergkämmen hervor. Wind kam auf und wehte die letzten Nebelschleier weg. Der wüste