Das Erbe Teil I. Wolfgang Ziegler

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Das Erbe Teil I - Wolfgang Ziegler


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in dieser einsamen Gebirgsgegend zu begutachten. Er wollte rasch weiter. Der Weg sollte sich jetzt bei der Bahnlinie fortsetzten, die von hier aus noch tiefer in die Berge führte. Da auf der schmalen Trasse die Gleise abgeräumt waren, Schotter und zerborstene Balken einen mehr als unebenen Untergrund bildeten, mußte er das Auto hier zurücklassen. Er tat es ungern, doch hier oben schien er wirklich der einzige Mensch zu sein. Da dürfte nichts passieren, hoffte dachte er. Außerdem war es nach den Angaben der Karte nicht mehr weit. Einen halben Kilometer noch, dann endete die Bahnlinie fast an der Spitze des Berges. Und dort dürfte es schließlich irgendwie hinein gehen. Laut Meurat beginne an diesem Ort ein sehr großes Stollensystem, das mit dem auf der Zeichnung identisch sei. Der Lageplan müßte ab dort den weiteren Weg weisen. Die darin eingetragene Linie begann zumindest unmittelbar an dem Stolleneingang, den er nun bald zu erreichen hoffte. Meurat hatte versichert, daß dies auch wirklich die Öffnung wäre, die auf der technischen Zeichnung als weiterführend angegeben war.

      Derart ermutigt machte sich Wolf auf seinen einsamen Weg. Unter den Füßen knirschte der aufgewühlte Schotter und verbogene Gleisenden ragten mitunter gefährlich spitz aus dem Boden. Auch allerlei Schrott lag anfangs noch am niedrigen Bahndamm, der dann allerdings verschwand und hohem Unkraut Platz machte. Als eine sich schlängelnde Schneise zog die schmale Trasse durch den dichten Bergwald. Nach einer letzten sanften Biegung sah der Wanderer endlich ihr vorläufiges Ende. Eine spärlich bewachsene, zerklüftete und steile Felswand erhob sich plötzlich am Ende des letzten geraden Streckenabschnittes. Davor lag wieder ein größerer Lagerplatz, auf dem es aber ähnlich wüst und einsam aussah, wie der Ort, von dem er gerade kam. Ein Fuchs schnürte über die große Lichtung und verschwand schnell im grünen Dickicht, das den Bauplatz von drei Seiten eingrenzte. Wolf stieg am Rande auf eine umgekippte Kabeltrommel und hielt gespannt Ausschau. Für einen Moment glaubte er eine kurze Reflexion, eine Art Aufblitzen in den oberen Felspartien des vor ihm liegenden Hanges wahrzunehmen. Aber eine genaue Absuche mit seinem mitgeführten Fernglas zeigte nichts. Dennoch wurde Wolf noch vorsichtiger. Er pirschte mehr, als das er zwischen den verlassenen Baustellen- und Lagerplatzüberresten aufrecht ging. Anscheinend hatten die Polen schon alles einigermaßen Brauchbare abgeräumt und aus dem Gebirge abtransportiert. Dennoch lagen hier noch genügend Überbleibsel herum, die einen deutlichen Eindruck von der einstigen Größe der Baumaßnahme gaben. Zielstrebig näherte er sich nun den aufstrebenden grauen Felswänden und suchte die Stelle, wo die Gleise der Schmalspurbahn endeten oder besser noch, in sie hineinführen sollten.

      Das vom Rost nachgedunkelte Tor lag in einer sanften Senke. Tatsächlich führte die ehemalige Trasse, nach einigen Verzweigungen auf dem Baugelände, dorthin. Und es war ein wirklich mächtiges Tor. Aber die Entdeckung hatte einen Haken. Eine gewaltige Sprengung begrub das Stahltor einst. So unter den Felsmassen weitgehend verschüttet, schaute nur seine schmale Oberkante aus dem angehäuften Steingewirr heraus. Zweifellos war es aber der von ihm gesuchte Stolleneingang. Wolf kletterte auf den schräg am Hang liegenden Haufen zerborstenen Gesteins, den die Detonation abgerissen hatte. Da war nichts zu machen. Die Felstrümmer lagen ineinander verkeilt und hatten derartige Größen, daß sie allenfalls mit schwerer Technik beiseite geräumt werden könnten. Es zeigte sich aber auch nicht das kleinste Schlupfloch. Er stieg zwischen den Brocken umher, nahm nochmals das herausschauende obere Ende des Tores in Augenschein und versuchte mit der Taschenlampe in einen mehr als schmalen Spalt zwischen dem Stahl und Gestein zu leuchten. Der schwache Lichtkegel verschwand aber im Dunst des dunklen Stollens, ohne auf irgendein Hindernis zu treffen. Doch nun war guter Rat teuer. Er konnte hier nicht hinein. Und die Mittel, den Stollenzugang gewaltsam zu öffnen, standen ihm nicht zur Verfügung. Was hatte Meurat ihm da nur für Angaben gemacht?

       Der Pfad

      Wieder kam ein Tier aus dem Wald, diesmal war es ein Reh. Zielstrebig lief es über die verwüstete Baustelle vor den Felswänden und folgte schließlich einem Wildpfad, der offenbar auf das Plateau über den Wänden führte. Aufmerksam schaute Wolf ihm nach. Das rotbraune Tier verschwand nach einiger Zeit tatsächlich oben im grauen Felsgewirr. Ein Bussard kreiste im Blau des Himmels, und in den Wäldern begannen die Vögel ihr Morgenlied zu zwitschern. Alles schien eine rechte Naturidylle, wären da nicht die wüsten Spuren der Menschen gewesen, die hier vor vielen Jahren rücksichtslos tiefe Wunden in die Berge und Wälder geschlagen hatten. Und als ob das scheue Waldtier ihm etwas zeigen wollte, machte er sich auf dessen Spur. Vorsichtig durchquerte er das dichte Grün am Hang. Deutlich vor ihm der lockere Boden des Wildpfades. Der Anstieg war nicht übermäßig steil. In leichten Serpentinen wand sich der schmale Steig in die Höhe. Mitunter verlor er sich auf Gesteinsflächen, dann wieder lief er über Moos. Schließlich kam er auf dem Plateau über den Felsen an, etwa 50 Meter unter ihm lag nun der alte Bauplatz und das verschüttete Tor. Wolf sah sich erneut aufmerksam um. Hier oben war die dünne Humusschicht des Waldbodens trocken und mit Gesteinsgrus durchsetzt. Das kleine Plateau, auf dem er stand, war nur spärlich mit gelben Gras und einigen kleinen Kiefern bewachsen. Erst auf der dem Abhang gegenüberliegenden Seite wurde der Wald wieder dichter. Und dort war etwas. Wolf glaubte erst, es wäre das Wild, das dort seinen Weg fortsetzte. Beim Näherkommen sah er aber, daß es sich um einen Trampelpfad handelte, der sich hier als helle Linie durch Moos und Gras in den Wald wand. Der schmale, mitunter kaum sichtbare Pfad war nicht oft begangen. Aber irgend jemand hatte hier seine regelmäßige Spur hinterlassen ... Wie ein Indianer pirschte Wolf nun dem Pfad nach. Vergessen war die Zeit. Er mußte auf jeden Fall den Punkt finden, zu dem dieser ominöse Steig hinführte. ‚Hoffentlich komme ich so auch an das Ziel‘, überlegte er. ‚Nicht, daß ich in falscher Richtung laufe und der Weg sich auf irgendeinem fernen Abhang verliert.‘

      Doch er hatte Glück. Nach etwa fünfzehn Minuten vorsichtigem Gehens, wobei er plötzlich und überrascht auf eine betonierte Straße traf, die anscheinend seit Kriegsende nicht mehr befahren war und aus deren breiten Rissen schon dichtes Unkraut sproß, endete der kleine Weg plötzlich. Es war unweit der geheimnisvollen Straße im dichten Wald. Eine Art alter Wasserzisterne erhob sich hier und daneben niedriges, scheinbar verfallenes Gemäuer. Wolf setzte sich auf die zerbröselten Mauersteine, ruhte aus und besah dabei genau die sich vor ihm öffnende kreisrunde Anlage. Sie war etwas über zwei Meter tief und maß sicher an die 20 Meter im Durchmesser. Der Boden war mit Ziegelschutt, verfaulendem Laub und Moos bedeckt. Hier sammelte sich noch immer die Feuchte der umliegenden Wälder. Sicherlich sollte die Zisterne als Wasserspeicher für tief unten im Fels liegenden Bunkersysteme dienen. Das alte Mauerwerk daneben war sicherlich ein Art Pumpenhaus oder Elektrostation gewesen. ‚Dann gab es von hier vielleicht eine Verbindung in die Tiefe‘, überlegte Wolf. Aber dass der geheimnisvolle Pfad hier endete, machte ihn stutzig. Er stand wieder auf und betrachtete den Boden genauer. Inmitten des verbrochenen Mauerwerks am Rande der Zisterne wuchsen schon kräftige Büsche. Das war seltsam. Sie sahen aus, als ob sie schon seit recht langer Zeit hier gediehen. Selbst ein nicht mehr ganz junger Baum sproß aus den Betonbrocken und verdeckte das Innere der eingefallenen Ruine. Überhaupt standen hier einfach zu viele Büsche und Bäume herum, die so schnell nicht nachgewachsen sein konnten. In Wolf kam immer mehr der Verdacht auf, daß diese Vegetation nichts anderes als nachträglich angelegte Tarnung war. Mit Macht zwängte er sich jetzt durch die Büsche. Von dem kleinen Bauwerk am Rand des Wasserbehälters war wirklich nicht mehr viel übrig. Seine ehemaligen Grundmauern ragten noch etwa einen halben Meter aus hohem Gras und Erdhaufen heraus. Überall verstreut Ziegelsteine und Putzreste. Doch während sich sonst schon dichtes Gras und Unkraut durchgehend auf den baulichen Relikten ausgebreitet hatte, lagen hier an einer Stelle in einer unauffälligen und kaum noch als solche zu erkennenden Mauernische die roten Brocken fast blank und frisch am Boden. Wolf sah nun ganz genau hin und glaubte gar, im roten Gesteinsgrus schwache Fußabdrücke zu erkennen. Und die stammten keineswegs von ihm! Sein Herz begann automatisch schneller zu schlagen. Welcher Unbekannte trieb sich hier eventuell noch in seiner Nähe herum? Diese Frage ließ ihm keine Ruhe. Vorsichtig zwängte er sich erneut durch die Büsche nach draußen und suchte den Wald in der Umgebung der Zisterne sorgfältig nach weiteren Hinweisen ab. Doch er konnte nichts feststellen. Halbwegs beruhigt kehrte er zurück und begann jeden einzelnen Ziegelstein umzuwenden, bemüht, dabei so leise wie möglich zu bleiben. Es dauerte daher eine Weile, bis er das Stahlluk fand. Es saß tief unten in einer Wand der Mauernische, die es gut schützte. Wo früher ein stabiler Handhebel zum Öffnen war, befand sich jetzt allerdings


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