Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi. Unni Lindell
Читать онлайн книгу.Blad hielt seinen Blick fest. »Was wollte Siv Ellen noch so spät in Vinderen? Was wird jetzt aus Maiken? Wo soll sie wohnen?«
Cato Isaksen drehte sich um. »Das weiß ich nicht«, sagte er. »Aber Sie sind doch ihr Vater, und sie ist erst sechzehn.«
»Sie hasst Beth, will nichts mit ihr zu tun haben.«
»Wir brauchen die Erlaubnis, uns im Haus umzusehen«, schaltete Roger Høibakk sich ein.
»Ja, natürlich«, sagte Axel Blad. »Meinen Sie im Haakon-den-godes-vei oder in meinem neuen Haus?«
»Beides«, sagte Cato Isaksen. »Und dann hoffe ich, dass Sie nichts dagegen haben, wenn wir einige von Ihren Schuhen mitnehmen.«
Axel Blads Gesicht sah plötzlich unangenehm berührt aus. Er wollte etwas sagen, entschied sich dann aber dagegen.
Nach der Vernehmung erzählte Randi Johansen, dass Maiken Blad auf eigenen Wunsch hin von der Mieterin abgeholt worden sei. Sie sah Cato Isaksen an und teilte mit, sie habe zwei Kollegen losgeschickt, um das Haus zu versiegeln. Maiken Blad werde sich zusammen mit der Mieterin in der Kellerwohnung aufhalten, bis die Durchsuchung beendet sei.
Cato Isaksen nickte kurz. Maiken Blad und dem Vater war psychologische und medizinische Hilfe angeboten worden, aber sie hatten abgelehnt. Randi Johansen hatte trotzdem versucht, den Hausarzt der Sechzehnjährigen anzurufen, das aber ohne Erfolg. Die Polizei konnte sie nicht sich selber überlassen.
»Ich habe mich erkundigt, und Siv Ellen Blads Eltern leben beide noch«, sagte Randi Johansen. »Die Mutter wohnt in einem Pflegeheim, der alte Vater ist auf dem Weg von Porsgrunn hierher, um sich um seine Enkelin zu kümmern. Also müssen wir vorläufig das Jugendamt nicht einschalten«, sagte sie erleichtert.
Ein frei laufender Hund lief vor den Torpfosten über die Straße. Cato Isaksen, Randi Johansen, Roger Høibakk und die Technikerin Ellen Grue trafen um 15:25 Uhr in zwei Wagen ein. Das schöne Haus war dunkel, nur die Lampen an den Torpfosten und in den schmalen Kellerfenstern bildeten gelbe Unterbrechungen des Zwielichts. Das Licht der Fenster legte sich als goldene Vierecke über das verwelkte Gras.
Sie stellten ihre Autos direkt vor dem Tor ab. Neben der Garage stand ein kleiner grauer Ford Escort älteren Jahrgangs.
»Ist Besuch da?«, fragte Cato Isaksen. Randi zog ihre Jacke fester um sich zusammen, als sie aus dem Auto stieg. Der Wintertag und Maiken Blads Schicksal setzten ihr mächtig zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Vater des Mädchens der Täter war, war groß, das wusste sie aus Erfahrung.
Cato Isaksen ging zum Ford Escort und schaute durch die Fenster. Auf der Rückbank lagen Kleidungsstücke und leere Colaflaschen. Aus diesem Chaos schaute ein Kindersitz hervor. Auf dem Vordersitz lagen eine Einkaufstüte von G-Sport, einige zusammengeknüllte Schokoladenpapiere und mehrere leere CD-Hüllen.
»Ich hole den Schlüssel bei der Mieterin. Wartet hier«, sagte Randi Johansen zu Roger Høibakk und Ellen Grue. Sie würden alle Zimmer im Haus durchsuchen. In Schubladen und Schränken nach Spuren fahnden. Die Wahrscheinlichkeit, dass Siv Ellen Blad von irgendeinem zufällig vorbeigekommenen Wahnsinnigen erstochen worden war, war ebenfalls groß, und deshalb war es wichtig, alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, ehe irgendwer Zeit hatte, Dinge verschwinden zu lassen.
Eine Treppe führte hinunter zu einer blau angestrichenen Tür in der dicken Kellermauer. An der Tür hing ein großer Tannenkranz mit drei rosa Weihnachtswichteln. Randi Johansen betrachtete die rosa Wichtel und drückte auf die Klingel, die auf unangenehme Weise schepperte. Cato Isaksen stieg hinter Randi die kurze Treppe hinunter. Die Tür wurde von einer großen dünnen Frau mit einem dunkelhaarigen Baby auf der Hüfte geöffnet. Sie war jung, vielleicht um die fünfundzwanzig. Sie hatte große Brüste und schmale Hüften und trug T-Shirt und hellblaue Jeans. Auf dem Kopf hatte sie eine rote Schirmmütze, und ihre mittelblonden Haare waren zu einem langen Pferdeschwanz gebunden. »Jeanette Myren«, stellte sie sich vor, ohne die Hand auszustrecken. Sie wusste offenbar, wen sie vor sich hatte. »Kommen Sie rein«, sagte sie und fuchtelte hektisch mit der Hand. Ihre ganze Erscheinung hatte etwas Fieberhaftes. »Maiken ist hier«, fügte sie hinzu, ohne Atem zu holen. »Kommen Sie rein«, sagte sie dann noch einmal und verschwand aus der Türöffnung.
Die Ermittler betraten den kleinen Windfang. Das Kind hatte den Finger in den Mund gesteckt. Die Kleine trug ein rotes Kleid und hustete heiser. Ihr Gesicht war fieberheiß und die braunen Augen glasig. Aus der Nase strömte blanker Rotz, den sie mit der Faust auf ihrer Wange verteilte.
Randi Johansen betrat das kleine Wohnzimmer. Maiken Blad saß zusammengekrümmt in einem großen Korbsessel, unter einer Decke. Vor ihr stand ein halb leerer Teller mit einer hellen Suppe. Sie stand nicht auf, als Randi Johansen auf sie zuging und sich vor sie hockte.
Ein junger Mann mit halblangen braunen Haaren und einem schwarzen T-Shirt mit aufgedrucktem Totenkopf saß auf dem türkisen Schlafsofa und starrte einen riesigen Flachbildschirm hinten in der Ecke an. Er schien nicht grüßen zu wollen, sondern nuckelte einfach weiter an einer Zigarette.
Cato Isaksen war beeindruckt von Randi Johansens Fürsorge für Maiken Blad. Sie nahm ihre Hand, streichelte sie mehrere Male, wie um sie zu wärmen. Dann erzählte sie, dass der Großvater aus Porsgrunn unterwegs sei. Maiken war deutlich erleichtert darüber, dass er kommen wollte, im nächsten Moment aber riss sie ihre Hand zurück und erklärte wütend, dass sie allein zurechtkommen könnte. Randi richtete sich auf. »Du musst mir jedenfalls den Hausschlüssel geben«, sagte sie. »Da oben warten ein paar Kollegen darauf, dass sie reinkönnen.« Maiken Blad fischte brav den Schlüssel aus der Hosentasche und reichte ihn Randi Johansen. Danach ballte sie ihre Hände auf ihren Knien zu einer harten Faust.
In der kleinen Kellerwohnung herrschte eine behagliche Wärme. Die Steinwände waren weiß angestrichen. Ein gerahmtes rosa und gelbes Plakat hing an der einen Wand. Glücklich ist der, der war, ehe er wurde, stand oben in blauer Schrift. Das Bild zeigte ein Kind auf einem Hof, ein Kind, das auf dem Dach saß und zu den Sternen emporschaute.
Ein hoher Ölofen stand mitten im Zimmer, neben einem Laufställchen mit rosa Boden. Die Wohnung war ansonsten sparsam möbliert, auf dem Boden lagen immerhin bunte Flickenteppiche. Das türkise Schlafsofa war abgenutzt, und am einen Ende waren saubere Kleider aufgestapelt. Ein verkommener, ein Meter hoher Weihnachtsbaum stand auf einem Hocker. Vertrocknete Tannennadeln lagen auf dem Boden darunter verstreut. An der Wand über dem Sofa hing ein vergrößertes Foto eines weißen Hauses neben einer kleinen Scheune. Das Bild war mit einem breiten geschmacklosen Holzrahmen gerahmt. Ein brauner Couchtisch und ein Holzstuhl bildeten das restliche Mobiliar, neben dem Korbsessel, in dem Maiken saß.
Jeanette Myren bat den Jungen, die Kleider vom Sofa zu entfernen. »Dann können Sie sich setzen«, sagte sie. Die Kleine fing an zu schreien. »Roberta ist nicht ganz gesund«, sagte die junge Mutter verlegen.
Cato Isaksen nickte verständnisvoll, dann wandte er sich dem Jungen zu, der widerstrebend seine Zigarette im Aschenbecher ausdrückte, aufstand und ihm die Hand hinhielt. »Remy Steen«, sagte er düster. »Ich wohne nicht hier, wollte nur vorbeischauen.« Er bückte sich, hob die beiden Kleiderstapel hoch und ging auf die Tür zu, die ins Schlafzimmer führte. Jeanette Myren griff nach einem gehäkelten Pullover, der auf dem Sofa liegen geblieben war.
Randi Johansen kam zurück. Die Luft war schwer von grauem Zigarettenrauch, deshalb ließ sie die Wohnungstür offen stehen. Maiken Blad starrte noch immer apathisch ihre Hände an. Jeanette Myren schob Cato Isaksen den Holzstuhl hin, und er setzte sich an den Tisch. Das Kind jammerte noch immer. Die junge Mutter reichte es an Remy Steen weiter und bat ihn, in die Küche zu gehen und der Kleinen eine halbe Banane zu geben.
»Wie denken Sie über das, was geschehen ist?«, fing Cato Isaksen an und sah Jeanette Myren an. Er hörte sofort, wie idiotisch diese Frage klang.
»Wir stehen natürlich unter Schock«, sagte sie rasch. »Es ist einfach unfassbar, dass hier so etwas passieren kann. Ich meine, das hier ist Oslo West, das beste Westend. Ich habe gestern noch mit Siv Ellen gesprochen, ehe sie in die Oper gefahren ist. Da war alles in Ordnung. Ich lud gerade das Auto ein, ich wollte übers Wochenende