Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi. Unni Lindell

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Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi - Unni Lindell


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Während sie die Tassen verteilte, trudelten die Kollegen einer nach dem anderen ein. Bjørn Thorsen und Stein Billington setzten sich nebeneinander. Asle Tengs holte die Stühle von der Wand und schob sie an den Tisch. Dann kam Ellen Grue mit der Tüte, die die gefundenen Briefe und Papiere enthielt. Sie erwiderte Cato Isaksens Blick. Sie brauchte einige Sekunden, um sich einen Platz auszusuchen. Am Ende nahm sie ihm gegenüber am Tisch Platz.

      Er betrachtete ihr hübsches Gesicht, die kurzen, gerade geschnittenen dunklen Haare, Augenbrauen und Wimpern, den ganz besonderen hellen Farbton ihrer Augen. Der ausgeschnittene Pullover zeigte den Bogen von Schulterblättern zum Hals. Cato Isaksen gab sich alle Mühe, nicht an sie zu denken. Sie war jetzt verheiratet, mit einem viel älteren Mann. In ihrem Gesicht las er etwas über fehlenden Schlaf. Aber die Zeit, die sie einige Jahre zuvor miteinander verbracht hatten, würde ihm immer im Gedächtnis bleiben. Nur schien das alles so lange her zu sein. Ein Sommer wurde zu einem Jahr. Dann kamen Winter und Frühjahr und Sommer und Herbst und noch ein Winter.

      Seine Augen fanden einen anderen Ruhepunkt, als plötzlich Roger Høibakk das Zimmer betrat. Er kam wie üblich fünf Minuten zu spät und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen.

      Diese Ablenkungen verschafften Cato Isaksen eine Atempause von einigen Sekunden. Er dachte an Georg. Bente hatte den Siebenjährigen nun doch mit zur Arbeit nehmen und ihn eine halbe Stunde dort beschäftigen müssen, bis Gard, der Älteste, ihn geholt hatte. Cato Isaksen hatte ihm dreihundert Kronen für diese Mühe versprochen.

      Bisher bestand die Ermittlergruppe aus zehn Personen, aber das Team würde erweitert werden. Cato Isaksen bildete drei Gruppen und verteilte Aufgaben. Die jungen Zeugen würden zur Vernehmung bestellt werden müssen, drei Kollegen führten in der Umgebung des Tatortes bereits eine Nachbarschaftsbefragung durch. Das war eine ziemliche Aufgabe, denn im Zentrum von Vinderen gab es viele Wohnungen und Häuser. Die Shell-Tankstelle auf der anderen Seite der U-Bahn-Gleise hatte versprochen, die Sicherheitsaufzeichnungen der Nacht und des Vorabends zu übersenden.

      »Siv Ellen Lindsjø Blad spielte Bratsche und wurde ab und zu von unterschiedlichen Orchestern verpflichtet«, begann Roger Høibakk. »Jetzt war sie von der Oper für ›Schwanensee‹ engagiert. Sie war außerdem bei der Post angestellt und arbeitete am Schalter im Postamt Majorstua. Sie war seit neun Jahren bei der Post und galt als respektierte Kollegin.«

      »Was ist mit Axel Blads Mietshaus?«

      Asle Tengs beugte sich über den Tisch. »Da sind jetzt zwei Kollegen am Werk«, sagte er rasch. »Axel Blad macht einen ziemlich gestressten Eindruck.«

      »Es kann so aussehen, als sei die Ermordete eine U-Bahn-Station zu früh ausgestiegen«, sagte Roger Høibakk. »Richtig für sie wäre doch Gaustad.«

      »Falls sie kein Taxi genommen hat. Das überprüfen wir gerade«, sagte Asle Tengs gereizt, als sein Telefon wieder klingelte. Es war die Presse. Tengs erhob sich und verließ das Zimmer.

      Die ewigen Anfragen der Presse waren irritierend, aber eben auch notwendig. Schon waren allerlei Tipps eingelaufen. Unter anderem war ein Stück weiter unten an den Bahngleisen ein leerer Rucksack gefunden worden. Der Sack war bereits zur Analyse geschickt worden, und die Ermittler überlegten, ob sie sein Bild an die Presse geben sollten.

      Erst gegen 23 Uhr an diesem Abend bog Cato Isaksen in den Frydendalsvei ab und hielt am Ende der Garagenreihe. Bente benutzte die Garage für ihren kleinen Polo. Der sprang, wenn es kalt war, nicht so leicht an wie der Dienstwagen. Er hatte die Briefe, die Ellen Grue gefunden hatte, gelesen. Am nächsten Tag wollte er sich darüber informieren, wer dieser Pavel war.

      Es roch nach Essen, als Cato Isaksen die Tür aufschloss. Bente war in der Küche beschäftigt. Er hörte, wie sie sich dort bewegte. Er wusste, dass sie eben erst von einer langen Schicht im Pflegeheim nach Hause gekommen war. Sie tat so, als ob sie ihn nicht gehört hätte. Cato Isaksen kannte diese Zeichen.

      Noch immer diskutierten sie darüber, ob Bente wirklich für seinen Sohn sorgen müsste. Sie fand, er respektiere ihre Arbeit im Pflegeheim nicht. Während er sich immer wieder damit zu entschuldigen versuchte, dass Mordermittlungen etwas anderes seien als jede andere Arbeit, Mord sei nun eben mal ein Ausnahmezustand.

      Cato Isaksen ging in die Küche. Die Uhr mit den zwölf Augen tickte rhythmisch an der Wand. Bente kehrte ihm den Rücken zu und bereitete das Essen für den nächsten Tag vor. Sie zerschnitt Gemüse, das sie in einen Kochtopf legte. Nach einer Weile drehte sie sich um und sah ihn an, mit ihrem Küchengesicht.

      Er ging auf sie zu und legte ihr die Arme um die Taille. Er schnupperte an ihrem Nacken. Sie schnitt weiter. Er lächelte.

      »Wie geht’s denn?«, fragte sie.

      »Ziemlich gut«, sagte er. »Wir haben einen Ehemann ohne Alibi und einen gefühlsbetonten Verehrer.«

      Er merkte, dass sie lächelte. Als er wieder nach Hause gezogen war, hatte er einen Teil seiner psychischen Gesundheit zurückgewonnen. Das war ein wichtiger Gewinn, auf den er nicht verzichten könnte. Das hatte er ein für allemal begriffen. Es war der Alltag, zu dem er zurückgewollt hatte, als er einige Jahre zuvor Georgs Mutter, Sigrid, verlassen hatte. Dass Bente ihn wieder aufgenommen hatte, war seine Rettung gewesen. Sie war die Mutter seiner beiden älteren Söhne. Sie kannte alle seine Fehler und Schwächen. Sie kannte seine Träume, oder vielleicht eher den Mangel an Träumen.

      Der rote Kater Marmelade, der auf einem kleinen Hocker unter dem Küchentisch lag, erhob sich langsam und stellte zwei Pfoten auf den Boden. Er reckte sich, dann machte er einen gewaltigen Buckel. Danach verließ er langsam die Küche, mit dem Schwanz wie einer riesigen Bürste hinter sich stolzierte er zur Gartentür und miaute dabei laut.

      Cato Isaksen hielt noch immer Bente im Arm. Er schloss die Augen, dachte an etwas, das sie in einem Sommer einige Jahre zuvor zu ihm gesagt hatte. Er hatte sich darüber beklagt, dass seine Arbeit so viel Zeit fraß und das Alltagsleben zerstörte. Dass er keine Energie mehr hatte, um spannender zu sein. »Ich bin langweilig«, hatte er gesagt. Da hatte Bente ihn angesehen und etwas gesagt, das er niemals vergessen hatte. Ich langweile mich gern mit dir zusammen. Das ist besser, als sich mit einem anderen zu amüsieren.

      Am Sonntagmorgen kullerten die Tropfen durch die Regenrinne. Das milde Wetter war zurückgekehrt, aber nur vorübergehend, wie die Meteorologen im Autoradio gesagt hatten.

      Die Ermittler setzten sich an den Tisch. Im Raum herrschte eine gespannte Stimmung, wie immer zu Beginn eines neuen Falles. Als stünden sie am Tor zu einem unbekannten Garten. Cato Isaksen hatte das Gefühl, dass die Grundlage zu einem guten Ergebnis immer schon früh gelegt wurde. Es hing mit den Einzelheiten des Falles zusammen, mit den Zeichen, die bereits im Unterbewusstsein arbeiteten. Für ihn hatte jeder neue Fall eine eigene Farbe, einen eigenen Ton. Eine Reihe von Systemen, die einen zukünftigen Regenbogen bildeten, in dem die Reihenfolge der Farben nicht gleichgültig war, sondern abhängig von einem vorgegebenen System.

      Abteilungsleiterin Ingeborg Myklebust war nicht gerade in Spitzenlaune. Randi Johansen stand in der Tür und telefonierte gerade mit ihrem Mann, als die Chefin sich an ihr vorbeidrängte. Sofort wurde das Stimmengewirr im Besprechungszimmer sehr viel leiser. Die hoch gewachsene Frau trug ein schwarzes Wollkostüm, schwarze Strümpfe und dunkelgrüne Lederschuhe. Ihre roten Haare waren offenbar mit einer Glanzwäsche aufgefrischt worden. Sie schaute kurz ihre Mitarbeiter an und setzte sich dann ans Tischende. Cato Isaksen wusste sofort, dass sie das schwarze Kostüm aus Achtung vor Preben Ulriksen trug.

      Randi Johansen stand noch immer in der Türöffnung und diskutierte mit ihrem Mann. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, habe ich doch gesagt, aber ich werde es versuchen.« Sie beendete das Gespräch und setzte sich neben Ingeborg Myklebust.

      Plötzlich liefen Bilder von Palmen und zerstörten Stränden über den Flachbildschirm unter der Decke. Sie hörten Schreie und Stimmen. Sie sahen, wie Bretter, Boote und Menschen an Wänden zerschmettert wurden, und Gegenstände, die auf dem Wasser schwammen.

      »Nicht schon wieder«, sagte Asle Tengs und stand auf.

      Cato Isaksen dachte an die Worte des Gedichtes, das er in seinem Büro aufbewahrte. Nach und nach


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