Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi. Unni Lindell
Читать онлайн книгу.zum Samstag«, sagte Cato Isaksen ruhig. »Es ist nicht in ihrem Haus passiert, es war draußen, bei einem Möbelhaus im Einkaufszentrum.«
Jenny Brown öffnete den Mund, um etwas zu sagen, überlegte sich die Sache dann aber anders.
»Können Sie uns etwas über Pavel Pletanek erzählen?« Cato Isaksen sah sie an. Die Frage war als Überraschungsmanöver gedacht. Oft konnte man die Leute durch solche Techniken zum Reden bringen.
»Steht er unter Verdacht?«, fragte Jenny Brown entsetzt. »War es etwa nicht Axel, sondern Pavel? Das kann doch nicht sein.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo er sich gerade aufhält?« Roger Høibakk erhob sich.
»Nein«, sagte Jenny Brown überrascht. »Ist er nicht zu Hause?«
»Das wissen wir nicht«, sagte Cato Isaksen und sah plötzlich die vielen gerahmten Opernplakate. »Wir versuchen, uns ein Bild vom Leben der Toten zu machen, wir sprechen mit Freunden, Bekannten, Verwandten. Wir sprechen mit allen, wirklich mit allen, die auch nur das Geringste mit ihr zu tun hatten. Und wir wissen inzwischen, dass Pavel Pletanek und Siv Ellen Blad eine ganz besondere Beziehung hatten.«
»Ach?«, fragte Jenny Brown überrascht. Ihre Miene veränderte sich. Plötzlich wirkte sie nicht mehr so geschockt. Sie stand auf und las rastlos Spielzeug vom Boden auf, dann verließ sie das Zimmer.
Die Ermittler tauschten einen stummen Blick.
Jenny Brown war fast sofort wieder da. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich fühle mich nicht so ganz wohl. Ich habe allerlei Probleme mit mir selbst, wenn ich ehrlich sein soll. Im Moment ist einfach alles zu viel«, sagte sie und setzte sich wieder auf das Sofa.
»Dürfen wir fragen, was Ihnen Probleme bereitet?« Cato Isaksen beugte sich freundlich in seinem Sessel vor.
Sie überlegte einen Moment. »Es geht um meine Ehe«, sagte sie müde. »In letzter Zeit fühle ich mich einfach nicht wohl. Und jetzt auch noch das.« Sie kämpfte mit den Tränen. Am Ende konnte sie sie nicht mehr zurückhalten. Sie steckte die Hand in die Tasche und zog ein Stück Küchenpapier hervor und presste es auf ihre Nase. »Wir waren sozusagen immer zusammen, Pavel, Beate, Siv Ellen und ich.«
»In welcher Weise waren Sie zusammen?«
»Einfach dadurch, dass wir in den Pausen oft zusammen saßen, dass wir uns vor der Vorstellung in einem Café trafen. Oder danach ausgingen. Das ist eigentlich alles. Sie waren gute Kollegen«, fügte sie hinzu, »und Siv Ellen hat offen über ihre Probleme mit Axel gesprochen.«
»Sie hat auch bei der Post gearbeitet, haben Sie auch noch einen Nebenverdienst?«
Jenny Brown schüttelte den Kopf. »Ich bin fest angestellt«, sagte sie. »Und Pavel und Beate sind das auch.«
»Was spielen Sie?«
»Violine. Siv Ellen hat als feste Freie gearbeitet, aber sie war sehr gut. Sie hatte schon als kleines Kind gespielt.«
»Glauben Sie, Sie können uns irgendetwas sagen, das uns weiterhilft?«, fragte Cato Isaksen. »Vielleicht etwas über Pavel Pletanek? Hat er sich in letzter Zeit auffällig verhalten?«
Jenny Brown sah ihn an. Ihr grüner Pullover war an den Bündchen aufgeriffelt. »Ich weiß nichts«, sagte sie.
Nach diesem Besuch saßen die Ermittler einige Zeit in ihrem vor dem Haus abgestellten Auto. »Was hast du für einen Eindruck von ihr?« Cato Isaksen sah seinen Kollegen auf dem Beifahrersitz an.
Roger Høibakk drehte sich zu ihm um. »Gar keinen, eigentlich. Und du?«
Cato Isaksen zuckte mit den Schultern, entdeckte aber im selben Moment Jenny Brown, die die Treppe zur Garage hinuntereilte. »Sieh mal«, sagte er und nickte in ihre Richtung.
Jenny Brown trug einen knallblauen Mantel. Der Mantel stand offen. Sie hob das Kinderfahrrad weg, öffnete die Garagentür und setzte sich in einen apfelgrünen Lupo.
Cato Isaksen drehte den Zündschlüssel um und fuhr rasch durch die kurze Wohnstraße. »Wieso hat sie es plötzlich so eilig, was meinst du?«
»Fahr hier rein«, sagte Roger Høibakk, »und dann folgen wir ihr.«
Cato Isaksen bog in die Auffahrt zu einer weißen Villa ein. Als Jenny Brown vorbeigefahren war, kehrten sie auf die Straße zurück und fuhren hinter dem Lupo her.
Der Großvater hatte Maiken ein Fotoalbum aus der Kindheit der Mutter gegeben. Sie hatte es noch nicht über sich gebracht, es zu öffnen. Sie hatte die Bilder schon oft gesehen. Jetzt wollte sie den kleinen Körper und das niedliche Gesicht der Mutter nicht anschauen. Oder den blauen Flieder, der noch immer im alten Garten des Großvaters wuchs. Der Strauch stand dort und sah aus wie sein eigener Herbst. Die Vorstellung von den Stichwunden im Hals ihrer Mutter hatte sich vor ihren Augen festgesetzt. Dort saß auch der Schmerz und brannte wie Salz. Das Furchtbare würde noch furchtbarer werden, wenn sie es neben die alten Bilder im Album hielt.
Der Großvater war ins Gästezimmer gezogen, dort hatte er schon oft übernachtet. Er war mit einem braunen Koffer voller frisch gebügelter Hemden und sauberer Socken gekommen, als ob er die ganze Zeit reisefertig gewesen wäre, überlegte Maiken. Sie machte für den alten Mann Frühstück. Es war kein Brot mehr da.
Der Großvater saß am Glastisch unter dem scharfen Licht des Kronleuchters. Er aß eine Tütensuppe. Dabei weinte er ein bisschen. Maiken ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie eher für ihn da war als er für sie. Es war schwer, sich vorzustellen, dass die Mutter seine Tochter gewesen war. Dass sie sein Kind gewesen war. Und dass sie jetzt tot war. Fort. Was wurde man, wenn man tot war? Ihr Herz schlug schmerzhaft in ihrer Brust. Alles machte Geräusche, sogar das Wasser war explodiert, als sie den Hahn aufgedreht hatte, und der Kühlschrank machte ein leises Brummgeräusch, wie ein unbekanntes Tier.
Die Nacht war lang und schrecklich gewesen. Das böse Sommerlicht, von dem sie wusste, dass es im Album vorhanden war, störte den Schlaf. Ihr Körpergeruch war stärker geworden, gefährlicher und schärfer. Als sei sie eine andere als die, die sie wirklich war. Sie lag im Bett und konnte nicht schlafen. Dann wurde sie von dem weiß glühenden Sommerlicht geweckt, das gar nicht da war. Sie hatte lebende Bilder von sich selbst gesehen, als habe sie auf den schwarzen Seiten des Albums Platz genommen, nicht das tote Kind, das ihre Mutter gewesen war. Maiken fiel ein, dass sie als kleines Kind niemals bereit gewesen war, sich schlafen zu legen, ehe die Mutter sie nicht davon überzeugt hatte, dass sich unter dem Bett oder im Schrank wirklich keine Ungeheuer verbargen. Sie waren nicht dort. Aber Maiken wusste trotzdem, dass es sie gab. Die sabbernden Ungeheuer mit den scharfen Hauzähnen gab es. Wenn nicht im Schrank, dann auf dem Dachboden oder im Keller. Einmal vor langer Zeit hatte der Großvater ihr mit einem scharfen Messer in ein Stück Holz hübsche Muster geschnitzt. Damals hatte auch die Großmutter noch zu Hause gelebt. Es war so scharf gewesen, dieses Messer, dass es Maiken streng verboten worden war, es anzurühren. Das Messer hing in einer Silberscheide neben der Tür an der Wand. Als sie klein war und im Haus der Großeltern schlafen ging und vor dem offenen Fenster Sommerabend war, hatte Maiken immer an dieses Messer gedacht. Der Vorhang war dicht und blau. Alles war so traurig, wenn man im Sommer schlafen gehen musste, als sei es der letzte Tag der Welt. Als werde niemals irgendein neuer Tag anbrechen.
Vergangenheit und Gegenwart gingen ineinander über. Als es vier Uhr wurde, stand sie auf. Sie schlich sich zur Tür des Großvaters und horchte. Sie hatte an Flucht gedacht. Sie hatte sich angezogen und war nach unten gegangen und hatte die Haustür geöffnet, aber der Hund in Nachbars Garten hatte in der Dunkelheit gebellt, und sie war wieder ins Haus gegangen. Was machte dieser Hund so spät noch draußen? Danach war sie auf den Dachboden gestiegen und hatte sich den Karton mit ihren eigenen winzig kleinen Kinderkleidern gesucht. Aber plötzlich war der Morgen dann doch gekommen. Das Licht sickerte durch die Spalten unten in den Wänden.
Maiken setzte sich neben den Großvater. Das Telefon klingelte. Zusammen saßen sie am Glastisch und warteten darauf, dass das Klingeln ein Ende nahm.
Der Großvater sagte, es gefalle ihm nicht, dass sie den Keller vermietet hatten. Er hatte Jeanette nur kurz begrüßt,