Das weibliche Genie. Hannah Arendt. Julia Kristeva

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Das weibliche Genie. Hannah Arendt - Julia  Kristeva


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um im edlen Sinne des Wortes aus ihm ein (bereits seit den Griechen bedrohtes) politisches Leben zu machen.

      Schließlich gelangen die Überlegungen Hannah Arendts zu einer dritten Etappe: Ohne aufgegeben zu werden, zieht sich die Meditation über die vita activa ins Implizite zurück, um sich inmitten der Reflexion über das »Leben des Geistes«84 zu verankern, dessen drei Komponenten sie erhellt und dabei »demontiert«: das Denken, den Willen, das Urteil. Doch der Auftakt dazu ist in Vita activa bereits gegeben: Wenn es zutrifft, daß man nicht ungestraft die Hierarchie der menschlichen Aktivitäten (Arbeit, Werk, Handeln; vita activa – vita contemplativa) umwirft, daß jene Umwälzungen zugleich das Denken und das Leben bedrohen, indem sie sowohl das eine wie das andere zerstören, dann ist es dringend erforderlich, das Leben zu retten, indem man auf die ständige Erkundung seiner Verdopplung, seiner Alteration und der sich daraus ergebenden komplexen Figuren zurückkommt. Als Erbin der Verflechtungen von Leben und Denken, wie sie der christlichen Eschatologie und der Philosophie eigen sind, verknüpft Arendt die Geschichte mit der Dekonstruktion des Geistes, um zu beweisen, daß das Leben kein »Wert« an sich ist, wie es die humanistischen Ideologien suggerieren, sondern sich nur erfüllt, wenn es nicht aufhört, sowohl den Sinn als auch die Handlung zu befragen: »…die Charaktere des Handelns […], die es zu einem so eminent menschlichen Vermögen machen, die Enthüllung der Person auf der einen Seite und das Hervorbringen von Geschichten auf der anderen, die zusammen die Quelle bilden, aus der sich in der Menschenwelt selbst ein Sinn formiert, der dann wiederum als Sinnhaftigkeit das menschliche Treiben zu erhellen und zu erleuchten vermag.«85

      Die häufigen Sorgen, die sich Hannah Arendt um das Leben und den Sinn macht, ermächtigen uns zu weiteren Gedanken, deren Aktualität sich von den Fragen unserer Autorin entfernt, deren Einsatz jedoch in ihren Fragen implizit enthalten ist.

      Das Handeln, selbst im Arendtschen Sinn verstanden, ist allein nicht fähig, den Menschen ein kreatives und freies Leben zu sichern: Nur das erneute Sichöffnen des »Lebens des Geistes« ist – wie die Theoretikerin im letzten Teil ihres Werkes gezeigt hat – imstande, dies zu leisten. Trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der Psychoanalyse (in der sie eine szientistische Reduktion des »Lebens des Geistes« auf Gemeinplätze sah), verbindet das Leben des Geistes im psychischen Raum, der dem der anderen und der Welt gegenüber offen ist, die Forderung der Praxis mit der eines unendlich zu befragenden Sinns – zweifacher Anspruch, der Arendt besonders wichtig war. Heute bestreitet niemand, daß die Arbeit die Angestellten der Showgesellschaft zu Robotern macht. Das Kunstwerk selbst löst sich auf in der Häßlichkeit und im Minimalismus des Nicht-Sinns. Und das politische Handeln, weit davon entfernt, eine »Enthüllung« zu sein (disclosure im englischen Text), ist nichts als Parodie und Leere, erzeugt von mehr oder weniger korrumpierbaren Marketing-Ingenieuren. Abgesehen davon erscheint uns nach wissenschaftlichen, philosophischen ebenso wie psychoanalytischen Forschungen – ein multidisziplinäres Herangehen, das Arendt in ihrer Weise und mit Bescheidenheit praktizierte, ohne die »reine Philosophie« für sich in Anspruch zu nehmen, sondern nur die hybride »politische Theorie«, ja sogar den »politischen Journalismus« – das »Leben des Geistes« durch eine vielfältige Komplexität konstituiert, die aus pluralen Vorstellungslogiken besteht. Diese berühren nicht ausschließlich das Denken, den Willen oder das Urteil, obwohl sie versuchen, auch diese so genau wie möglich zu erfassen. Die Pluralität, um die es hier geht, läßt auch dank dieser logischen Kategorien oder Fähigkeiten die noch wenig beachteten Abgründe des sinnlich Wahrnehmbaren und des Darstellbaren zu Wort kommen.

      Die Erzählung, die Fähigkeit, eine Biographie zu formulieren, wird in diesem Kontext ebenso notwendig wie problematisch, ebenso gewagt wie heterogen. Mit Ausnahme ihres Textes über die metaphysischen Konflikte Kafkas und eines Essays über Natalie Sarraute hat sich die Philosophin nicht mit den Stilen der modernen Literatur, ihren Krisen, ihren Dramen, ihren Entdeckungen auseinandergesetzt. Dennoch wird die klassische Erzählung, Arendts implizierter Bezugspunkt, einer strengen Kritik unterworfen. Durch sie hindurch sucht eine Schreibweise den Genuß und die Entmystifizierung, sie versucht, von der conditio der modernen Menschen zu zeugen. Einer Expansion, wenn nicht gar einer Explosion der Arendtschen »Erzählung« gleich, erkundet und erneuert diese Schreibweise den psychischen Raum. Sie befragt mit der Erinnerung die Rückbezogenheit des Menschen auf den Sinn, der Kreatur auf das Ewige, des Subjekts auf das Sein, und offenbart und praktiziert derart eine unaufhörliche Konfliktualität, eine Revolte. Das Leben als Revolte realisiert sich im Ungedachten der Schrift.86 Sie versucht ihr Glück auch in der ständigen Befragung der Erinnerungen, der Freuden, der Gewißheiten und jedweder Identität, die das psychoanalytische Abenteuer trotz seiner mondänen Verstrickungen stützt.

      Sind wir fähig, uns andere Varianten des Diskurses und des Handelns vorzustellen – moderne Figuren der Wandelbarkeit, des ständigen Auftauchens von Sinn und Sinnlichem, das Arendt suchte?

      Niemand hat in der Moderne so wie Arendt, als sie Augustin las, über die Geburt als ewigen Neuanfang einer singulären Geschichte, einer ungewöhnlichen Erzählung, einer Biographie nachgedacht.87 Wo Nietzsche auf einer »ewigen Wiederkunft« beharrt – keine ermüdende Wiederholung, sondern die »höchste […] Formel der Bejahung, die überhaupt erreicht werden kann«88 –, hebt Arendt in der biblischen evangelischen und augustinischen Tradition hervor: Jede Geburt ist das »Wunder« dieser »ewigen Wiederkehr«, sie erneuert, ist gefährdet, verspricht. Auch auf die zyklische Beschwörung, die das Thema der Geburt in ihren Schriften begleitet, könnten wir ihren eigenen Kommentar des Gedankens der »ewigen Wiederkehr« bei Nietzsche anwenden: »Modern an ihm [dem Gedanken der ›ewigen Wiederkunft‹ bei Nietzsche und – könnte man hinzufügen – dem Gedanken der Geburt bei Arendt] ist das pathetische Gewand, in dem er auftritt; es zeigt, wieviel Anstrengung es den modernen Menschen kostet, wieder zu jenem bewundernden und bejahenden Staunen zurückzufinden, dem thaumazein, das einst für Platon der Anfang der Philosophie gewesen war.«89

      Doch wenn es der Menschheit gelingt, Geburten zu programmieren und das genetische Erbe zu modifizieren, und dadurch das Risiko des Neuen in einen Automatismus zu verwandeln, stellt sich die Frage anders: Ist es noch möglich, den Blitz der Überraschung, die Gnade des Beginns offen zu halten? Ist es noch möglich, das »spezifisch menschliche« Leben zu lieben außerhalb des vitalistischen Wettlaufs um Fortschritt und Erfolg? Können wir noch die Flucht nach vorn skandieren durch das Erstaunen und die Sorge, durch das Glück und das Versprechen dieses »Wunders der Geburt«, das mitunter Gefahr läuft, ein mittelmäßiges oder unglückliches Ereignis zu sein (Krankheit, körperliche oder geistige Behinderung), das jedoch als Ereignis die letzte – die einzige? – Wiederbelebung des Fragens nach dem Sinn eines jeden Lebens ist? Oder ist das Leben als Ereignis und als Frage von nun an überholt, da es durch die Technik sichergestellt, uniformiert, banalisiert wurde?

      Weil es Geburten gibt – Frucht dieser den Männern und Frauen eigenen Freiheit, sich zu lieben, zu denken und zu urteilen, bevor sie Produkte genetischer Kombinatorik sind –, existiert die Möglichkeit zu wollen und frei zu sein. Unsere Freiheit ist nicht (oder nicht nur) eine psychische Konstruktion; sie ist die Folge dieser Existenz, die unsere ist, nämlich geboren zu sein: initium. »Geworfen« zu sein, sagt Heidegger. Etwas völlig Neues zu beginnen, korrigiert Arendt, und zwar innerhalb der »Zerbrechlichkeit menschlicher Angelegenheiten«: »Die ganze Fähigkeit zum Anfangen wurzelt im Geborensein und gar nicht in der Kreativität, nicht in einer Gabe, sondern in der Tatsache, daß Menschenwesen, neue Menschen, wieder und wieder durch die Geburt in der Welt erscheinen. Ich sehe durchaus, daß das Argument auch in der Augustinischen Fassung etwas dunkel ist, daß es nur dies zu besagen scheint, wir seien zur Freiheit verurteilt, indem wir geboren seien…«90 Doch Arendt begnügt sich nicht damit, den Willen von jeder psychologischen Entscheidung loszulösen, indem sie ihn von der Geburt abhängig macht, die selbst jeder Willensprogrammierung entzogen ist, da sie im Spannungsfeld der Liebe entsteht. Sich an den späten Heidegger anlehnend, schreibt sie auch den Tod hier ein, nicht als Zukunft des Lebens, sondern als interne und intime Dimension seines Sichereignens, als »Heiligenschrein«, der in der bio-graphischen Erfahrung »eingefaßt« ist, verstanden als ein »Intervall«. In diesem Zusammenhang zitiert sie Goethe:

      


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