Das weibliche Genie. Hannah Arendt. Julia Kristeva

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Das weibliche Genie. Hannah Arendt - Julia  Kristeva


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sind immer die gleichen. Es gibt keine Differenzen zwischen uns. So ist es, und so wird es bleiben.«47

      Das Exil verstärkt noch diese Übereinstimmung und erklärt das Bedürfnis Hannahs, sich hinter den »vier Wänden« des Paares zurückzuziehen: » Stups – um Gottes willen die vier Wände, die Du bist.«48 »Glaub mir, mein Herz, die Weiber können nur in einer Ehe leben.«49 Und Blücher, der nie schreibt, gibt diese schöne Definition vom Paar, zögernd, ironisch, aber nichtsdestotrotz überzeugt: »als magische Formel meine Definition der Ehe […]: die Ehe verdoppelt alles. Es ist eine wahrhaft lebendige Formel, denn sie enthält genau soviel Ernst und Ironie wie das Leben selbst. Wer möchte wohl ein einfaches Leben leben, wenn er ein doppeltes haben kann, und andererseits, wer glaubt denn, er könne so etwas wirklich wagen? […] eines ist richtig. Hat man einmal angefangen, doppelt zu leben, so halbiert einen die Trennung. Du hast keine Ahnung, und auch ich hatte keine richtige, wie du mir fehlst. Es gab diesmal keine Freude am Alleinsein, nicht einen Tag lang. […] Einsamkeit, wie wir sie uns gegenseitig garantieren, und Einsamkeit, in der wir uns gemeinsam der Welt gegenüber befinden mögen – beide Arten sind auf der stillschweigenden Grundlage der Zweisamkeit errichtet.«50

      Vom Verhältnis zwischen Hannah und dem Weisen von Todtnauberg erfuhr Blücher erst spät, vermutlich nach dem Krieg, als Heidegger des Nazismus angeklagt wurde. Blücher scheint die Intensität der Beziehung unterschätzt zu haben, es sei denn, der »Drahtzieher« hielt vorgetäuschte Gleichgültigkeit für eine notwendige List, damit das Paar fortdauern und Hannah die Konfrontation mit dem Denken Heideggers gut zu Ende führen könne, die sie so beschreibt: »ich bin eindeutig denen beigetreten, die jetzt schon einige Zeit versuchen, die Metaphysik […] zu demontieren.«51

      Allerdings hatte ihre Art »beizutreten« nichts von Unterordnung. Hannah war keineswegs gehorsam und behauptete sich in allen möglichen vielfältigen Handlungen, auf diese Weise ihr anderes Denken und Urteilen betonend, besonders und vor allem gegenüber Heidegger. Die Forderung nach Singularität schien ihr der Gipfelpunkt des menschlichen Lebens zu sein (sie führte sie auf Duns Scotus zurück, den sie häufig und mit Nachdruck herausstellte), ohne sie jedoch irgendwann als Forderung nach weiblicher Differenz zu formulieren.

      Leidenschaft für Politik und Vorliebe für das Erscheinen als Sonnenseite der Persönlichkeit Arendts seit ihrer Geburt entfalten sich also im Kontakt mit Blücher. Zwischen der Einsamkeit des weisen Philosophen, der sich in der Geschichte irrt (Heidegger), und dem Feuer des ungestümen Komödianten, der sich in der Politik irrt, wobei er allerdings die Authentizität eines Lebens in Aufruhr sichtbar macht (Blücher), beschränkt sich Hannah nicht darauf, zu wählen oder nur zu vermischen. Sie war auch die Schöpferin dieser Gefährten des Körpers und des Geistes, wenigstens was deren Für-sie-Sein betrifft. Heinrich, der »Professor« in Politik, hat viel von der philosophischen Tiefe und der Lebensgenauigkeit seiner Frau gelernt: Ihre Briefe bezeugen diesen gegenseitig bereichernden Dialog. Im Gegensatz dazu läßt die geringe Begeisterung – wenn nicht das Widerstreben – Heideggers, die Arbeiten von Arendt zu lesen, vermuten, daß der »Denker von Gewerbe« keinen Nutzen aus den Fragen seiner jungen Schülerin zog. Dennoch offenbart die Veröffentlichung ihres Briefwechsels zum Ende ihres Lebens einigen intellektuellen und politischen Austausch: Hat der Weise von Todtnauberg nach dem Krieg die gesellschaftliche Stellung seiner Geliebten aus der Zeit vor dem Nazismus zynisch ausgenutzt? Brauchte Arendt diese Nähe zum Denken Heideggers, um ihr Denken in eine wesentliche Tradition zu verwurzeln, um ihr Denken ein- und abzugrenzen? Wie es auch sei, Hannah Arendt konstruiert ihr originelles Denken »dazwischen«, wie auf einer griechischen Agora oder auf einer dieser Theaterbühnen, wo der Zuschauer urteilt, aber auch improvisiert und am Stück teilhat, indem er es nachschafft: zugleich Abstand und Teilhabe am Handeln.

      Viele Zeitgenossen bezeugten ihre Verführungskraft als Frau – die einen in den New Yorker Salons, die sich abfällig über die Weimar Flapper äußerten; andere, wie Hans Jonas, der es bewunderte, daß seine Freundin in den Genuß der Aufmerksamkeiten kam, die Männer Frauen vorbehalten, und dabei zugleich eine der Frauen mit dem größten Geist unseres Jahrhunderts war. Weder »Denkerin« (Definition, die dem entspräche, was das Teil dem Ganzen ist) noch »Person« (der Begriff ist geschlechtslos), sondern »Frau«, betont Jonas.52 Dennoch äußert sich Arendt über die Lage der Frauen nur, wenn sie dazu gedrängt wird: Ist sie femininer als die Feministinnen, wie man oft behauptete? Sie sah keinen Anlaß, die »Sache« der Frauen zu unterstützen. Wenn man sie darauf aufmerksam machte, daß der Beruf des Philosophen zumeist von Männern ausgeübt wird, begnügte sie sich damit, zu antworten: »Es könnte ja durchaus sein, daß eine Frau einmal eine Philosophin sein wird…«, wobei sie hinzufügte, daß nicht sie gemeint sei, da sie sich »keineswegs als Philosophin« fühle und auch nicht in den Kreis der Philosophen aufgenommen worden sei. Sie sah die »politische Theorie« als ihren »Beruf« an, wenn sie sich nicht gar als »politische Journalistin« betrachtete.53 »Es sieht nicht gut aus, wenn eine Frau Befehle erteilt. Sie soll versuchen, nicht in solche Positionen zu kommen, wenn ihr daran liegt, weibliche Qualitäten zu behalten. […] Das Problem selber hat für mich persönlich keine Rolle gespielt«54, erklärt sie jenen, die darauf bestehen, daß sie sich zum Emanzipationskampf der Frauen äußere.

      Doch ebensowenig, wie es ihr darum geht, Befehle zu geben, geht es ihr darum, sie entgegenzunehmen. Die passive Fügsamkeit, die manche als »feminin« qualifizieren, charakterisiert bei Eichmann während des Prozesses in Jerusalem jene Abwesenheit des Denkens, deren anderer Name »Banalität des Bösen« ist. Ist es diese hinnehmende Pseudo-Weiblichkeit, die Arendt bei dem Nazi erkennt, wenn sie feststellt, daß er, ohne völlig unintelligent zu sein, in banaler und lächerlicher Weise gedankenlos ist? Daß er nicht selbst niederträchtige Befehle gegeben hat, sondern sich damit begnügte, sich diesen zu unterwerfen und sie weiterzugeben? Sollte Eichmann eine Art Nicht-Mann, eine Art falscher Frau sein: ein Hanswurst? »Ich habe sein Polizeiverhör, 3600 Seiten, gelesen und sehr genau gelesen. Und ich weiß nicht, wie oft ich gelacht habe; aber laut! […] Ich würde wahrscheinlich noch drei Minuten vor dem sicheren Tode lachen.«55

      Wenn es aber weder das Erteilen von Befehlen noch deren Ausführung, weder die Ausübung eines Einflusses, noch die Unterwerfung unter diesen ist, was definiert dann eine Frau? »Wissen Sie, wesentlich ist für mich: Ich muß verstehen. Zu diesem Verstehen gehört bei mir auch das Schreiben. Das Schreiben ist, nicht wahr, Teil in dem Verstehensprozeß. […] Und wenn andere Menschen verstehen – im selben Sinne, wie ich verstanden habe –, dann gibt mir das eine Befriedigung wie ein Heimatgefühl.«56 Hinter der Bescheidenheit dieser Haltung der »Verstehenden« verbirgt sich ein großer Reichtum an Bedeutungen. Die Verstehende – Mit-Nehmende57 wartet ab, akzeptiert, empfängt: Offener Raum, läßt sie sich bewohnen, berührt sie, geht sie mit (cum-, com-), Matrix des gelassenen »Sich-gehen-lassens« (Heidegger betont die Gelassenheit), das sich befruchten läßt. Aber die Mit-Nehmende nimmt auch: Sie wählt, entreißt, knetet, verformt die Elemente, sie eignet sie sich an und erschafft sie neu. Gemeinsam mit den anderen, aber kraft ihrer eigenen Wahl, ist die Mit-Nehmende jene, die einen Sinn entstehen läßt, dort, wo der Sinn der anderen, verwandelt, zu lesen ist. An uns ist es, diesen Denkprozeß in actu zu entziffern, der sich konstruiert-dekonstruiert.

      Kann man von einem Werk sprechen? Gewiß. Unsere akademischen und Verlagsgewohnheiten bezeichnen ohne den Schatten eines Zweifels Hannah Arendt als Autorin eines Werkes (eines politischen?, philosophischen?, femininen? Lassen wir die Frage im Moment offen.), und zwar eines der wichtigsten Werke des Jahrhunderts. Der schneidende Stil, die Knappheit, das Tempo, die gewaltige, sich dennoch niemals erschöpfende Gelehrsamkeit ihrer Schriften wurden anerkannt; Wiederholungen und die Heterogenität ihres Stils haben die Spezialisten aller möglichen Richtungen provoziert; doch vor allem durch ihre Verankerung in persönlicher Erfahrung und im Leben des Jahrhunderts machen diese Texte weniger den Eindruck eines Werkes als den eines Handelns. Die unbestreitbare Besonderheit von Hannah Arendt offenbart sich hier: Sie feilt nicht aus, noch vollendet sie, ebensowenig wie ihr Diskurs über dem Kampfgetümmel schwebt. Die Verstehende greift den Ball im Fluge auf, befragt die »Fakten«, führt den Dialog mit den sichtbaren oder versteckten »Autoren«, steht in ständiger Wechselwirkung mit


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