Der Fall Deruga. Ricarda Huch

Читать онлайн книгу.

Der Fall Deruga - Ricarda Huch


Скачать книгу
zu erheben. Es wird angenommen, daß Deruga seine geschiedene Frau aufsuchte, um Geld von ihr zu erbitten, beziehungsweise zu erpressen, und daß er sie bei dieser Gelegenheit, irgendwie gereizt, vielleicht durch eine Weigerung, tötete. Allerdings scheint der Umstand, daß Deruga Gift bei sich gehabt haben muß, für einen überlegten Plan zu sprechen. Allein das Gericht hat der Möglichkeit Raum gegeben, der verzweifelte Spieler habe damit sich selbst vernichten wollen, wenn sein letzter Versuch mißlänge, und nur in einem unvorhergesehenen Augenblick der Erregung davon Gebrauch gemacht.“

      Während des letzten Satzes hätte der Staatsanwalt vergebens versucht, durch Verdrehungen seines hageren Körpers und Deutungen seines knotigen Zeigefingers die Aufmerksamkeit des Vorsitzenden auf sich zu lenken. „Verzeihung“, sagte er, indem er seinem langen, weißen Gesicht einen süßlichen Ausdruck zu geben suchte, „ich möchte gleich an dieser Stelle betonen, daß ich persönlich dieser Möglichkeit nicht Raum gebe. Warum hätte der Mann es denn so eilig mit dem Selbstmorde gehabt? Er amüsierte sich viel zu gut im Leben, um es Hals über Kopf wegzuwerfen.

      Ferner möchte ich darauf hinweisen, daß der Angeklagte auf das erstmalige Befragen des Untersuchungsrichters die abscheuliche Untat eingestand, oder, besser gesagt, sich ihrer rühmte, um sie mit ebenso großer Dreistigkeit hernach zu leugnen.“

      „Jawohl, jawohl, wir kommen darauf zurück“, sagte der Vorsitzende mit einer Handbewegung gegen den Staatsanwalt, wie wenn ein Kapellmeister etwa einen vorlauten Bläser beschwichtigt. „Ich will zunächst den Angeklagten vernehmen.“

      „Sie müssen aufstehen“, flüsterte der Justizrat seinem Klienten zu, der mit schläfriger Miene den Saal und das Publikum betrachtete.

      „Aufstehen, ich?“ entgegnete dieser erstaunt und beinahe entrüstet. „Nun, also auch das. Stehen wir auf“, fuhr er fort, erhob sich langsam und heftete einen scharf durchdringenden Blick auf den Präsidenten; man hätte meinen können, er sei ein Examinator und Dr. Zeunemann ein zu prüfender Kandidat.

      „Sie heißen Sigismondo Deruga“, begann der Vorsitzende das Verhör, die beiden klangvollen Vornamen durch eine ganz geringe Dosis von Pathos hervorhebend, die genügte, die Zuhörer zum Lachen zu bringen. Deruga warf einen stechenden Blick in die Runde. „Ist es hier etwa ein Verbrechen, nicht Johann Schulze oder Karl Müller zu heißen?“ sagte er. „Beantworten Sie bitte schlechtweg meine Fragen“, sagte Dr. Zeunemann kühl. „Sie heißen Sigismondo Enea Deruga, sind in Bologna geboren und sechsundvierzig Jahre alt. Stimmt das?“

      „Jawohl.“

      „Sie haben in Bologna, Padua und Wien Medizin studiert und sich erst in Linz, dann in Wien niedergelassen, nachdem Sie dort das Heimatrecht erworben hatten. Stimmt das?“

      „Es wäre wirklich eine Schande“, sagte Deruga, „wenn Sie nach vier Monaten nicht einmal das richtig herausgebracht hätten.“

      „Ich erinnere Sie nochmals, Angeklagter“, sagte der Vorsitzende, den das sich erhebende Gelächter ein wenig ärgerte, „daß Sie sich an die kurze und klare Beantwortung der an Sie gerichteten Fragen zu halten haben. Es ist Ihre Schuld, daß sich die Voruntersuchung so lange hingezogen hat. Ich ergreife die Gelegenheit, Ihnen einen ernstlichen Vorhalt zu machen. Sie befolgen augenscheinlich den Grundsatz, das Gericht durch Ungehörigkeiten und Wunderlichkeiten hinzuhalten und irrezuführen. Sie verschlimmern dadurch Ihre Lage, ohne Ihren Zweck zu erreichen. Die Untersuchung nimmt ihren sicheren Gang trotz aller Steine, die Sie auf ihren Weg werfen. Sie stehen unter einer schweren Anklage und täten besser, anstatt die gegen Sie zeugenden Momente durch ungebärdiges und zügelloses Betragen zu verstärken, den Gerichtshof und die Herren Geschworenen durch Aufrichtigkeit in ihrer dornigen Arbeit zu unterstützen und für sich einzunehmen. Sie befinden sich in einem Lande, wo die Justiz ihres verantwortlichen Amtes mit unerschütterlicher Unbestechlichkeit und Unparteilichkeit waltet. Der Höchste und der Niedrigste findet bei uns nicht mehr und nicht weniger als Gerechtigkeit. Wir erwarten dagegen vom Höchsten wie vom Niedrigsten diejenige Ehrfurcht, die einer so heiligen und würdigen Institution zukommt. Der Gebildete sollte sie uns freiwillig darbringen; aber im Notfall wissen wir sie zu erzwingen.“

      „Ja, ja“, sagte Deruga gutmütig, „nur zu, ich werde schon antworten.“

      Dr. Zeunemann hielt es für besser, es dabei bewenden zu lassen, und fuhr fort: „Sie verheirateten sich im Jahre 18.. mit Mingo Swieter aus Lübeck, erzielten aus dieser Ehe ein Kind, eine Tochter, die vierjährig starb, und kurz darauf, vor jetzt siebzehn Jahren, wurde die Ehe geschieden. Als Grund ist böswillige Verlassung von seiten der Frau angegeben, und zwar hat Frau Swieter das Wiener Klima vorgeschützt, welches sie nicht vertragen könne. In Wirklichkeit sollen Ihr unverträglicher Charakter und Ihr unberechenbares Temperament, das zu Gewalttaten neigt, Ihre Frau zu diesem Schritt veranlaßt haben.“

      Da Dr. Zeunemann bei diesen Worten fragend zu Dr. Deruga hinübersah, sagte dieser: „Es wird das beste sein, wenn Sie sich schlechtweg an die in den Akten befindlichen Angaben halten.“

      Der Vorsitzende unterdrückte eine Anwandlung zu lachen und fuhr gelassen fort: „Bald nach erfolgter Scheidung zogen Sie von Wien nach Prag und übten dort Ihre Praxis aus, während Frau Swieter sich in München niederließ, wo sie einen Teil ihrer Jugendjahre verlebt hatte. Auf weitere Jahre werden wir gelegentlich zurückkommen. Erzählen Sie uns jetzt, was Sie am 1. Oktober des vorigen Jahres getan haben.“ „Da ich kein Tagebuch führe“, sagte Dr. Deruga laut, „noch meine täglichen Verrichtungen durch einen Kinematographen oder ein Grammophon aufnehmen lasse, ist es mir leider unmöglich, Ihnen den Verlauf des Tages mit mathematischer Genauigkeit wiederzugeben. Ich werde eben gefrühstückt, einige Patienten besucht, zu Mittag gegessen und hernach eine Stunde im Café gesessen haben. Dann werde ich in der Stunde mehrere Exemplare der mir unsympathischen Gattung Mensch untersucht haben. Gegen Abend ging ich aus, um eine mir befreundete, hochanständige Dame zu besuchen. In der Nähe des Bahnhofs begegnete ich einem Kollegen, der mich fragte, ob ich auch in den ärztlichen Verein ginge. Ich sagte, ich könne leider nicht, da ich verreisen müsse. Worauf er mich bis zum Bahnhof begleitete. Ich nahm aufs Geratewohl eine Karte nach München, weil ich ja sonst meine Lüge hätte zugestehen müssen, und auch weil mir eingefallen war, daß auf diese Weise die mir befreundete Dame sicher wäre, nicht kompromittiert zu werden.“

      „Weigern Sie sich nach wie vor“, fragte Dr. Zeunemann, „den Namen dieser hochanständigen Dame zu nennen?“

      „Ich habe ja schon gesagt, daß mir daran liegt, sie nicht zu kompromittieren“, antwortete Deruga.

      „Ich gebe Ihnen zu bedenken, Herr Deruga“, sagte Dr. Zeunemann warnend, „daß Ihre Ritterlichkeit auf sehr wackeligen Füßen steht. Sollte eine Dame zulassen, daß sich ein Freund um ihretwillen in solche Gefahr begibt? Da möchte man schon lieber annehmen, daß diese Dame gar nicht existiert. Die ganze Geschichte, die Sie vorbringen, entbehrt der Wahrscheinlichkeit. Daß Sie eine Dame besuchten und Tage und Nächte bei ihr zubrachten, wäre an sich bei Ihrer Lebensführung nicht unglaublich. Auch das mag hingehen, daß Sie den Wunsch hatten, sie nicht zu kompromittieren, aber das Mittel, daß Sie zu diesem Zweck gewählt haben wollen, kann man nur als ungeeignet und lächerlich bezeichnen. Jemand, der sich in so schlechter finanzieller Lage befindet wie Sie, gibt nicht zweiunddreißig Mark für eine Fahrkarte aus, die er nicht braucht.“

      “Einunddreißig Mark fünfundsiebzig Pfennig“, verbesserte Deruga.

      „Die Karte von München nach Prag kostet zweiunddreißig Mark“, sagte Dr. Zeunemann scharf.

      „Der umgekehrte Wagen ist fünfundzwanzig Pfennige billiger“, beharrte Deruga.

      „Lassen wir den Wortstreit“, sagte Dr. Zeunemann. „Man wirft auch einunddreißig Mark und fünfundsiebzig Pfennige nicht fort, wenn man in Geldverlegenheit ist.“

      „Ein verständiger Deutscher wohl nicht“, entgegnete Deruga, „aber ich habe größere Dummheiten in meinem Leben gemacht als diese. Übrigens war ich nicht in Geldverlegenheit, ich hatte nur Schulden.“

      Der Staatsanwalt rang die Hände und wendete die Blicke nach oben, wie wenn er den Himmel zum Zeugen einer solchen Verwilderung anrufen wollte. Dann bat er um


Скачать книгу