Der Fall Deruga. Ricarda Huch

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Der Fall Deruga - Ricarda Huch


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zu zügeln oder es nur zu wollen, antwortete ich heftig, er habe am wenigsten Ursache, mir derartige Vorwürfe zu machen, da ich ihm bereitwilligst ausgeholfen und den Verlust nicht nachgetragen hätte. Ich hätte ihn damals für zahlungsfähig gehalten, sagte er boshaft, sonst würde ich ihm nichts geborgt haben. Allerdings, sagte ich, hätte ich einen Kollegen für so ehrenhaft gehalten, daß er seine Schulden bezahle, und da er mich nun selbst herausfordere, solle er es auch tun. Der Streit wurde dann durch mehrere Kollegen, die sich ins Mittel legten, geschlichtet. Bevor wir uns trennten, sagte ich zu Deruga, er solle das, was ich vorhin in heftiger Aufwallung gesagt hätte, nicht so auffassen, als wolle ich ihn drängen. Erlauben Sie mir bitte, festzustellen, daß ich der ganzen Sache aus freien Stücken niemals in der Öffentlichkeit Erwähnung getan haben würde!“

      „Darf ich bitten“, sagte Justizrat Fein, sich an den Zeugen wendend, „Sie sind nachher mit keinem Wort und mit keiner Andeutung auf die Geldangelegenheit zurückgekommen?“

      „Nein, durchaus nicht“, antwortete der Hofrat. „Es tat mir im Gegenteil leid, daß ich mir in der Erregung die Mahnung hatte entschlüpfen lassen.“

      „Also“, sagte der Justizrat, „war die Lage für Dr. Deruga nicht im mindesten verändert, und es liegt kein Grund zu der Behauptung vor, er habe sich durchaus Geld verschaffen müssen, um die fällige Schuld zu bezahlen.“

      „Ich bitte sehr“, rief der Staatsanwalt, „durch den Vorfall im ärztlichen Verein war das Schuldverhältnis einer ganzen Reihe von Kollegen bekannt geworden; das ist denn doch eine erhebliche Veränderung der Lage. Soviel Ehrgefühl dürfen wir doch bei einem gebildeten Manne voraussetzen, daß ihm das nicht gleichgültig war.“

      „Nehmen wir, bitte, Dr. Deruga wie er ist, und nicht, wie er nach der Meinung anderer sein sollte. Da es ihm nichts ausmachte, dem Hofrat von Mäulchen Geld schuldig zu bleiben, für den er augenscheinlich keine besondere Vorliebe hatte, lag ihm wahrscheinlich sehr wenig daran, daß ein paar andere Kollegen, mit denen er, wie es scheint, ganz gut stand, davon wußten. Jedenfalls, wenn er früher so dickfellig in diesem Punkt war, wird er nicht plötzlich so empfindlich geworden sein, daß er ein Verbrechen beging, um sich aus der Klemme zu ziehen.“

      Die gemächliche Grandezza, mit der der Justizrat dastand, die Wucht seiner massigen Gestalt und seines großgeformten, ruhigen Gesichtes überzeugten noch wirksamer als seine Worte und brachten seinen zappeligen Gegner außer Fassung.

      „Ja, wenn der Mensch immer so folgerichtig wäre!“ sagte er heftig. „Dafür, daß Männer lieber Verbrechen begehen, als einen Fleck auf ihrer sogenannten bürgerlichen Ehre dulden, finden sich viele Beispiele.“

      Dr. Zeunemann hob Ruhe gebietend seine Hand.

      „Eine verbrecherische Handlung wird dem Angeklagten zunächst noch gar nicht Zugemutet“, sagte er. „Wenn er seine geschiedene Frau um Geld anging, so war das höchstens taktlos, und es ist um so weniger auffallend, als wir aus vielen Zeugnissen wissen, daß er diese Hilfsquelle öfters in Betracht zog. Halten Sie“, wendete er sich an den Hofrat, „die Schuld für ein Motiv, das stark genug gewesen wäre, den Angeklagten zu veranlassen, sich auf irgendeine ungewöhnliche Weise in den Besitz von Geld zu setzen?“ „Ich muß sehr bitten“, wehrte der Hofrat ab, „mir diese Antwort zu erlassen. Ich schrecke um so mehr davor zurück, ein Urteil darüber zu äußern, als ich nicht in der Lage war, mir eines zu bilden. Ich bin mit der Psyche Derugas nicht vertraut, könnte mich nur in Phantasien ergehen, aber selbstverständlich bin ich eher geneigt, Gutes als Schlechtes von einem Kollegen zu denken.“

      „Sie waren“, fuhr der Vorsitzende fort, „derjenige Kollege, dem der Angeklagte am 1. Oktober zwischen sechs und sieben Uhr in der Nähe des Bahnhofs begegnete, und der ihn fragte, ob er in den ärztlichen Verein wolle?“

      „Jawohl“, sagte der Hofrat. „Ich stellte die Frage, weil ich mich nach dem, was kürzlich vorgefallen war, kollegial zu ihm verhalten wollte. Seine Antwort, er wolle verreisen, erregte mir keinerlei Zweifel, da wir in der Nähe des Bahnhofs waren und Deruga ein Paket trug. Dasselbe fiel mir auf, weil es größer war, als Herren unserer Gesellschaftskreise solche zu tragen pflegen.“

      Der Vorsitzende wandte sich an Deruga mit der Frage, ob er zugebe, ein Paket getragen zu haben, und was darin gewesen sei.

      „Ich erlaubte mir allerdings“, sagte Deruga, „als ein armer Teufel, der sich nicht erdreistet, zu den Gesellschaftskreisen des Herrn von Mäulchen gehören zu wollen, ein Paket zu tragen. Darin wird Wäsche und dergleichen gewesen sein, was man für die Nacht braucht.“

      Der Staatsanwalt schnellte von seinem Sitz auf und bat, daß festgestellt werde, ob Deruga, als er am 3. Oktober in seine Wohnung zurückkehrte, ein Paket bei sich gehabt habe.

      „Die Haushälterin wird gleich vernommen werden“, sagte der Vorsitzende. „Der Angeklagte antwortete Ihnen, Herr Hofrat, er wolle verreisen, und Sie begleiteten ihn bis zum Bahnhof. Können Sie sonst etwas Sachdienliches mitteilen?“

      „Nein, durchaus nicht“, beteuerte der Hofrat. „Gerüchte und Schwätzereien zu wiederholen werden Sie mir erlassen, da dergleichen ja mehr oder weniger über jeden Menschen in Umlauf ist und in ernsten Fällen nicht in Betracht gezogen werden sollte.“

      „Vielleicht könnten Sie uns doch sagen“, fragte der Vorsitzende, „was für einen Ruf Dr. Deruga im allgemeinen unter seinen Kollegen genoß?“

      „Ich glaube nicht, daß meine diesbezüglichen Mitteilungen einen namhaften Wert für Sie hätten“, entschuldigte sich der Hofrat. „Aus dem, was ich erzählt habe, läßt sich ja schon mancherlei schließen. Den sicheren Boden der Tatsachen möchte ich nicht verlassen.“

      *

      Weinhändler Verzielli, der nächste Zeuge, war ein untersetzter, dunkelfarbiger Mann, der den Eid in strammer Haltung, die Augen fest auf den Präsidenten gerichtet, die linke Hand auf das Herz gelegt, mit lauter Stimme und leidenschaftlichem Ausdruck leistete. „Sie sind mit dem Angeklagten bekannt, aber nicht verwandt?“ fragte Dr. Zeunemann.

      „Befreundet, sehr befreundet“, sagte Verzielli eifrig.

      „Aber nicht verwandt?“ wiederholte Dr. Zeunemann.

      „Leider nicht“, sagte Verzielli, „aber sehr befreundet. Ich liebe und bewundere ihn.“

      „Sie fühlen sich ihm zu Dank verpflichtet“, sagte der Vorsitzende freundlich, „weil er durch einen guten Rat und auch durch eine Geldsumme, die er Ihnen vorschoß, Ihr Glück begründet hatte?“

      „Ach, Rat und Kapital, das ist alles nicht die Hauptsache“, rief Verzielli aus. „Er hat mir den Glauben an die Menschheit wiedergegeben. Er ist edel und hilfsbereit.“

      „Sie konnten ihm das Geliehene bald zurückgeben“, fuhr der Vorsitzende fort, „und haben ihm seitdem Ihrerseits zuweilen Geld geborgt?“

      „Das ist ja gar nicht der Rede wert“, sagte Verzielli, Kopf und Hand schüttelnd, „wo ich ihm meine ganze Existenz verdanke. Übrigens hat er mich nie um Geld gebeten, ich habe es ihm aufgedrängt. Er verstand ja nicht mit Geld umzugehen, er war zu gut und zu edel dazu.“

      „Hat er Ihnen jemals Geld zurückgezahlt?“

      „O ja“, rief Verzielli stolz, „auch in bezug auf das Rückständige fragte er mich öfters, ob ich es brauche. Aber wozu hätte ich es brauchen sollen? Es war ja ebenso sicher bei ihm wie auf der Bank. Ich sagte ihm immer, es sei noch Zeit, wenn er es einmal meinen Kindern wiedergäbe. Meine Frau war auch der Meinung, man dürfe ihn nicht drängen.“

      „Hat der Angeklagte Sie zuweilen mit Hinblick auf etwaige Schenkungen oder eine etwaige Erbschaft von Seiten seiner geschiedenen Frau vertröstet?“

      „Zu vertrösten brauchte er mich nicht“, sagte Verzielli ein wenig gereizt. „Aber natürlich hat er zuweilen von seiner geschiedenen Frau und seinem verstorbenen Kinde gesprochen. Er hat das arme Kind sehr geliebt. Meine Frau und ich haben oft geweint, wenn er davon sprach.“

      Er zog bei diesen Worten ein großes, buntes Taschentuch


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