Take me down under: Melbourne im Blut. Raik Thorstad

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Take me down under: Melbourne im Blut - Raik Thorstad


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auf Verunreinigungen zu prüfen. Dafür war später Zeit.

      Wortlos lauschten sie den Geräuschen jenseits der Stahltür. Manchmal war kaum zu erkennen, ob die Aufschreie, das Auftreffen von Peitschen auf nackter Haut und das Dröhnen von den Besuchern stammten oder vom Industrial, der durch die Lautsprecher wummerte.

      »Ich bin neidisch«, murmelte Wayne nach einer Weile. »Ich bin so verdammt neidisch auf jeden Sub, der gerade einen Dom bei sich hat. Egal, ob nur für heute Nacht oder für länger. Ich könnte platzen.«

      Jordan erwiderte nichts.

      Kapitel 1

      Der Geruch nach Benzin, Schmieröl, Lack und Gummi war überwältigend. Er stieg Phoenix in die Nase, verteilte sich in seinen Nebenhöhlen und biss sich dort fest. Genüsslich atmete er ein; gefühlt zum ersten Mal seit Wochen. Für ihn roch es nicht nur nach harter Arbeit, Maschinen und Brennstoffen, sondern auch nach Vertrautheit, nach etwas, das richtig war.

      Durch die offene Werkstatttür sah er sich nach seinem Triumph Spitfire um. Der dunkelgrüne Lack des Oldtimers war staubig, sodass sich das Licht der untergehenden Sonne nur mäßig darauf verfing.

      Phoenix war später dran, als er geplant hatte. Eine Vollsperrung hatte ihn gezwungen, sich in den zähen Verkehr der Melbourner Rush Hour einzufädeln. Dass ihn sein Handy auf den letzten Kilometern im Stich gelassen hatte, hatte zu weiteren Verzögerungen geführt. Er hatte sich sogar an einer Tankstelle nach dem richtigen Weg in den Vorort Altona und das dort ansässige Industriegebiet erkundigen müssen. Die kaugummikauende Verkäuferin hatte ihm zu Recht einen belustigten Blick zugeworfen.

      Wer war heutzutage schon in einem Auto ohne Navigationssystem und ohne Handy unterwegs? Phoenix war sich wie ein Dinosaurier vorgekommen, der zu dumm war, die Straßenkarte richtig herum zu halten. Er hatte sich für die Wegbeschreibung bedankt, für seinen knurrenden Magen einen Proteinriegel erstanden und war in dem Gefühl verschwunden, dass er irgendwann und irgendwo vom Weg abgekommen war – auch jenseits aller Straßen.

      »Da bist du ja, Kumpel! Dachte schon, du hättest dich anders entschieden.«

      Ein humorloses Auflachen steckte in Phoenix' Kehle, als er sich nach dem Sprecher umsah. Randy Fountain kam unter einer der Hebebühnen hervorgekrochen; ein breites Grinsen im Gesicht. Er sah genauso aus, wie Phoenix ihn in Erinnerung hatte. Derselbe massige, kahle Schädel, der wie eine Bowlingkugel glänzte, dieselbe Knollennase, der birnenförmige Bauch, der sich über dünnen, langen Beine wölbte. Nur die kräftigen Arme schienen noch umfassender tätowiert als früher, auch wenn es mehr Licht brauchen würde, um die Tinte in der kaffeebraunen Haut zu erkennen.

      »Wie könnte ich?« Phoenix ging Randy entgegen und bot ihm ungeachtet dessen ölverschmierter Finger die Hand an. Besser, er gewöhnte sich früher als später wieder daran, eine Patina aus altem Rost und Öl auf der Haut zu haben.

      Randys Griff war fest und sein Lächeln warm, aber mit Betroffenheit versetzt. »Wie geht es Stan?«

      Obwohl Phoenix die Frage erwartet hatte – immerhin waren Randy und sein Vater jahrzehntelang erst Kollegen, dann Mitbewerber, aber immer Freunde gewesen –, fiel es ihm schwer, sie zu beantworten. Schwerer als noch vor ein paar Tagen, obwohl sich der Zustand seines Vaters seit dem Unfall weder verbessert noch verschlechtert hatte.

      »Unverändert«, sagte er knapp. »Mom kümmert sich um ihn.«

      Randy schob die Unterlippe vor. »Meinst du, dass er… es weiß?«

      Erneut schaute Phoenix sich nach seinem Wagen um, dieses Mal nicht, um sich zu vergewissern, dass Cabrio und Ladung unversehrt waren, sondern um Randy nicht ansehen zu müssen. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er mit Blick auf die schimmernden Radkappen. Und ohne es zu wollen, fügte er hinzu: »Hoffentlich nicht.«

      »Versteh ich. Würde ja auch niemandem was bringen, wenn er Bescheid wüsste, nicht?« Ein Knacken verriet, dass Randy an einem der Werkzeuge in der Brusttasche seines Blaumanns herumspielte. Dann trompetete er unerwartet laut: »Aber wir können es nicht mehr ändern, nicht wahr? Nur das Beste daraus machen. Bringt Stan nix, wenn wir jetzt alle Flaggen auf Halbmast setzen.«

      Phoenix schluckte beim Gedanken an die reglose Gestalt, die im ehemaligen Schlafzimmer seiner Eltern vor sich hinvegetierte und in der man kaum jenen Mann wiedererkannte, der ihm vom Schwimmen übers Billardspielen bis hin zum Autofahren alles beigebracht hatte. Einen Mann, den er liebte und immer lieben würde. Trotzdem war er zu feige gewesen, sich von seinem Vater zu verabschieden, bevor er nach Melbourne aufgebrochen war. Stattdessen hatte er stumm gebetet, dass er sich an einem Ort befand, an dem ihn die Geschehnisse der realen Welt entweder nicht erreichten oder wenigstens nicht berührten.

      »Trotzdem, ist eine Schande«, murmelte Randy. »Die ganze vertrackte Geschichte.«

      Phoenix biss sich auf die Unterlippe. Er wusste zu gut, was Randy mit der ganzen vertrackten Geschichte meinte. Aber er ging nicht darauf ein. Er hatte seit Ewigkeiten nichts anderes getan, als sich mit den Folgen des Unfalls zu beschäftigen, und sich dabei ein paar hässlichen Wahrheiten über sich selbst stellen müssen, die ihm bis heute im wahrsten Sinne des Wortes Magenschmerzen bereiteten.

      Um das Thema weder im Gespräch noch in Gedanken weiter zu vertiefen, wechselte er die Spur. »Falls ich es am Telefon noch nicht erwähnt hatte: Ich bin dir sehr dankbar. Nicht nur dafür, dass ich bei dir anfangen kann, sondern auch für die Unterkunft.« Ihm war bewusst, wie außergewöhnlich das Angebot des alten Freunds seines Vaters war. Wäre er an Randys Stelle gewesen, hätte er sich keine Chance gegeben – und erst recht keine Arbeit.

      Randy grinste lediglich schief. »Oh, warte ab, bis du die Bruchbude gesehen hast, bevor du dich bedankst. Und was den Job angeht, kannst du dir sicher sein, dass ich genauso viel davon habe wie du. Hab in letzter Zeit zu viele Kunden wegschicken müssen. Ist nett, wenn die Kasse klingelt. Aber nur so lange, wie man keine Stammkunden vergrault, weil man keine Zeit für sie hat.«

      Phoenix rang sich ein Lächeln ab. »Es geht nichts über volle Auftragsbücher.«

      »Und mit deinen fixen Händen können wir sie noch ein bisschen voller stopfen. Na komm, Junge. Packen wir's an.« Randy trat mit wiegenden Schritten aus der Werkstatt und spähte in den Spitfire. »Tolles Auto, eines der schönsten, die je gebaut wurden, aber viel Stauraum hat er wirklich nicht«, meinte er angesichts der beiden kleinen Koffer, die hinter den Sitzen verkeilt waren.

      »Er war wohl auch nie als Umzugswagen konzipiert.«

      »Stimmt. Eher zum Abschleppen von Bräuten.« Randy zog einen der Koffer am Griff zu sich. »Und von Kerlen natürlich.«

      Früher – in einem anderen Leben – hätte Phoenix auf die flapsige Bemerkung reagiert und stolz erzählt, dass ihm dieser Wagen schon manchen Fang eingebracht hatte. Damit hätte er sogar untertrieben. Er konnte die Blowjobs, die er in dem engen Raum zwischen Sitz und Lenkrad bekommen hatte, kaum zählen. Aber nun blieben sowohl die Erregung als auch die Freude an der Erinnerung aus, erstickt von der Tatsache, dass der Spitfire und die beiden Koffer einen großen Prozentsatz seines verbliebenen Vermögens darstellten.

      Phoenix nahm den zweiten Koffer und folgte Randy durch zwei ineinander übergehende Werkstatthallen zu einer mit Aufklebern übersäten Stahltür. Der kurze Korridor dahinter führte an einem Büro und einem Personalraum vorbei und mündete in einer engen Treppe, an deren Ende sich absatzlos eine weitere Stahltür anschloss.

      Randy stieß sie auf und gab den Blick auf einen quadratischen Raum frei, der spärlich möbliert und dank weit offen stehendem Fenster ausgekühlt war. Phoenix trat ein und erwartete halb, seine Gesichtszüge unter Kontrolle halten zu müssen, damit er keine Grimasse zog. Noch vor wenigen Wochen hätte er angesichts des schmalen Metallbetts, der schäbigen Auslegeware und des wackeligen Schranks die Nase gerümpft. Nun war er froh, dass es nicht muffig roch, dass die Decke trocken war und er in der hintersten Ecke einen Durchgang zu einem winzigen Badezimmer mit Toilette und Dusche entdeckte.

      »Ich hab unten noch einen alten Minikühlschrank stehen. Die Gummierung ist hin, aber er sollte noch laufen. Bring ich dir gleich hoch«,


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