Take me down under: Melbourne im Blut. Raik Thorstad

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Take me down under: Melbourne im Blut - Raik Thorstad


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Randys Stimme polterte durch den Gang wie eine Murmel durch eine nicht sauber ausgeschliffene Holzkugelbahn.

      Es wirkte alles so normal. So unanständig selbstverständlich. So, als hätte Phoenix sich nicht bis zum Anschlag in die Scheiße geritten. Und für sie – für die Kollegen, die er noch nicht kannte – war es ein Tag wie jeder andere. Sie würden arbeiten, scherzen, sich in die Haare bekommen, vermutlich auch mal stöhnend auf die Uhr schauen und irgendwann nach Hause gehen. Die meisten, ohne sich bewusst zu machen, welch ungeheures Privileg es war, Arbeit zu haben.

      Du hast auch Arbeit, erinnerte Phoenix sich scharf. Dazu ein Bett und etwas Bargeld. Du bist immer noch versichert, du hast einen fahrbaren Untersatz und wenn du vor lauter Stress ein Magengeschwür bekommst, musst du nur deine Krankenkassenkarte vorlegen, um behandelt zu werden. Du hast genug und wahrscheinlich mehr, als du verdienst.

      Aber es würde dauern, bis sich seine Definition von Reichtum an seine neue Realität angepasst hatte.

      Sobald er sich wieder sicher auf den Beinen fühlte, ging er zum Personalraum; entschlossen, jede Ablenkung anzunehmen, die sich ihm bot.

      Seine Ohren hatten ihn nicht getrogen: Die ersten seiner neuen Kollegen waren eingetroffen und teilten sich eine Kanne Kaffee. Auch Randy war da und stellte ihn den anderen vor. Phoenix nickte nacheinander dem schlaksigen Sammy zu, der kaum dem Stimmbruch entwachsen war, einem rothaarigen Lockenkopf namens Tatiana, die ihn mit zwei Fingern an der Schläfe grinsend grüßte, und einer älteren Frau, die Randy mit angedeutetem Handkuss als Josephine, die gute Seele des Hauses, vorstellte.

      Sie verpasste ihrem Chef einen Stoß vor die breite Brust. »Reiß dich bloß zusammen, Mann«, verkündete sie in feiner britischer Aussprache, die sich mit ihrer Wortwahl biss. »Du willst mir nur Honig ums Maul schmieren. Aber ich war gerade schon im Büro und habe die verdammte Sauerei gesehen, die du hinterlassen hast. Du brauchst heute keinen Schraubenschlüssel anzufassen. Solange wir unsere Buchführung nicht auf Kurs haben, lass ich dich nicht in die Werkstatt.« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich Phoenix zu, reichte ihm ihre von Altersflecken übersäte Hand und sagte mit spitzbübischem Lächeln: »Josephine Smith, schön, dass du unser Team verstärkst. Und nein, nicht die gute Seele des Hauses, sondern der Hausdrache.«

      »Und sie speit nicht nur Feuer, sondern beißt dir auch in den Arsch, wenn sie es für nötig hält«, fügte Tatiana lachend hinzu. Als sie sich die langen Ärmel ihres Shirts hochkrempelte, kam neben einer Unmenge bunter Lederbänder auch ein Unterarm voller Autotätowierungen zum Vorschein.

      »Ganz genau. Randy, wenn du Phoenix eingewiesen hast, kommst du direkt zu mir. Sonst…« Josephine hob drohend den Zeigefinger und marschierte mit erhobenem Haupt von dannen. Der grünblaue Seidenschal, der hinter ihr herflatterte, hatte tatsächlich etwas von einem Drachenschwanz.

      »Du hast es gehört: Höhere Gewalt hat über meinen Terminkalender entschieden. Na kommt, Leute. Gehen wir in die Halle und sehen zu, dass wir euch für heute mit Arbeit versorgen.« Randy rieb sich die Hände, als könnte er es nicht erwarten, sein Tagwerk zu beginnen. »Tatty, du kümmerst dich zuerst um den Dodge, ja? Neue Bremsscheiben und -klötze.«

      Sie reckte den Daumen hoch. »Roger, Chef.«

      Phoenix folgte Randy gemeinsam mit Sammy in die Werkstatt. Bald darauf fand er sich in einer Fachsimpelei über einen alten Toyota Camry wieder, für den sie wahrscheinlich nichts mehr tun konnten, und über einen Ford Mondeo, der beim Starten laut Kundin rassele wie ihr Mann auf der Lunge. Randy erklärte Sammy, der offenbar noch nicht lange für ihn arbeitete, was es mit einer Steuerkette auf sich hatte und warum es meist auf einen Totalschaden hinauslief, wenn sie riss, und Phoenix steuerte hier und da ein Nicken oder einen Einwurf bei.

      Und er entspannte sich ein wenig. Er wusste nicht, ob es an der Werkstattluft lag, an der bodenständigen Arbeit oder an der Stimme, die ihm einflüsterte, dass er nach vielen Jahren hinter dem Schreibtisch endlich wieder dort war, wo er hingehörte. Aber als er sich hinter das Steuer des Mondeos setzte und ihn anließ, damit sie sich das Rattern der Steuerkette anhören konnten, war sein Magen friedlich.

      Kapitel 2

      »… können uns das nur bis zu einem gewissen Punkt erklären. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Untersuchung anzuleiern. Es gibt da einen Onlineanbieter, der schnell eine Crowd organisieren kann, die sich vor Ort umschaut. Wir können genau bestimmen, welche Geschäfte…«

      Jordan wechselte zum nächsten Browsertab, scrollte durch die ausgestellten Möbelstücke und grinste, als er auf eine Chaiselongue mit weinrotem Samtbezug und lächerlich pompösen Goldborten und -fransen stieß. Er hätte eher eine Yogamatte auf eine Europalette geklebt, als sich ein solches Ungetüm in die Wohnung zu stellen. Aber wenn Katy – beziehungsweise Sasha beziehungsweise Ben – wollte, dass sich Raum Nummer 5 in ein französisches Lustschloss verwandelte, dann würde er dafür sorgen, dass das Red Vinyl vor Pomp platzte.

      »… möglicherweise die Produktplatzierung. Würde mich nicht wundern, wenn Carlsons Schweinepriester die Einkaufsleiter geschmiert haben. Es kann kein Zufall sein, dass der Absatz unserer Vollkornprodukte gerade in Canberra und Umgebung fast vierzig Prozent niedriger ist.«

      Jordan legte den Kopf schief. Sein Headset verrutschte und er rückte es mit einem Finger zurecht, während er gleichzeitig die Lieferzeiten der Chaiselongue prüfte. Sie waren genauso lang wie befürchtet, aber wenn sie mehrere Stücke vom selben Hersteller bestellten, konnten sie den Lieferanten vielleicht überreden, sich auf eine Sonderlieferung einzulassen. Es war nie gut, einen der Räume längere Zeit geschlossen zu halten. Am Wochenende waren sie fast immer ausgebucht, was bedeutete, dass sie während der Sanierung bares Geld verloren.

      »Jordan? Jordan!«

      Sein Schreibtischstuhl quietschte, als er sich aufsetzte. In diesem Moment war er froh, dass sie auf eine Videokonferenz verzichtet hatten. »Hab verstanden«, beeilte er sich zu versichern. »Unsere Bionudeln ohne Ei laufen überall hervorragend außer in der Hauptstadt. Marktforschung anleiern. Crowdsourcing-Firma beauftragen. Bei Carlson arbeiten nur Schweinepriester.«

      Sein Vorgesetzter oder vielmehr seine Schnittstelle zu seinen Arbeitgebern grummelte ihm ins Ohr. »So ungefähr. Ich habe dir die Daten in die Cloud geschoben. Setz dich gleich dran, okay? Ich brauche zeitnah Ergebnisse, die überzeugend genug sind, dass der Chef mir freie Hand lässt.«

      Jordan nickte und verzog gleichzeitig das Gesicht. »Klar, Francis. Aber dann muss ich die anderen Statistiken fürs Erste zurückstellen. Nur, dass du Bescheid weißt.«

      »Sind die etwa noch nicht fertig?«

      Jordan atmete tief durch und hoffte, dass man es am anderen Ende der Leitung hörte. »Die Deadline ist für nächste Woche Freitag angesetzt. Und ich habe auch sonst einen ziemlich vollen Schreibtisch, weißt du?«

      Erneut grollte Francis wie ein verhindertes Sommergewitter. »Schon gut, schon gut. Aber ja, erst die Nudeln, dann Müsli und Porridge.«

      »Aye, aye, Boss. Stets zu deinen Diensten.«

      »Pfft, du mich auch.«

      Eine Minute später setzte Jordan das Headset ab und rieb sich die heißen Ohren, während er mit einem raschen Klick auf den Bildschirm seine Spotify-Playlist startete. Sobald die Seekers ihm ihr Georgy Girl entgegenträllerten, besserte sich seine Laune. Es ging doch nichts über analog aufgezeichnete, vom Kratzen alter Aufnahmetechnik durchzogene Oldies, um sich aus der technisierten Welt zu verabschieden.

      Jordan entschied, dass Francis' Nudeldebakel noch zehn Minuten Zeit hatte, holte sich aus der Küche einen frischen Kaffee und öffnete anschließend ein anderes Fenster, um Katy eine schnelle Nachricht zu schicken.

      Hab eine Chaiselongue gefunden, für die du töten würdest. Soll ich dir den Link schicken oder sie dir erst heute Abend zeigen?

      Drei zuckersüße tiefschwarze Schlucke später hatte er seine Antwort: Sofort natürlich. Er tat ihr den Gefallen und kopierte den Link. Die Reaktion erfolgte in Minuten und ließ ihn laut herauslachen: Stimmt, ich würde dafür töten. Aber kannst du mir mal sagen, wer


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