Take me down under: Melbourne im Blut. Raik Thorstad
Читать онлайн книгу.abholen musste.
Sasha zählte an den Fingern ab. »Ja, die Getränkebestellungen sind raus, aber ich habe den 389er von Penfolds von der Liste geschmissen. Die haben den Preis zu sehr angezogen. Ich hatte vorhin die Rechnung vom Heizungsbauer in der Post und sie war netterweise niedriger als gedacht. Ist schon bezahlt. Dann hat dieser Mensch von dem neuen Spirituosengeschäft seinen Termin für heute Abend bei dir abgesagt, weil seine Frau in den Wehen liegt. War ein ziemlich guter Grund, fand ich.« Sascha unterbrach sich kurz und zog die Nase kraus. »Ich fürchte allerdings, dass trotzdem jemand auf dich wartet. Du weißt schon wer. In Raum 3.«
Jordan setzte seine Limonadenflasche hart auf dem Tresen ab und unterdrückte jede Lautäußerung. Dabei hätte er zu gern aufgestöhnt, geflucht oder auch leise und schicksalsergeben gewimmert, bis Sasha ihm den Kopf tätschelte.
Er würde sich viel lieber mit einem möglichen Lieferanten über den Ankauf von Bier, Weinen und Whiskey unterhalten, als Raum 3 zu betreten. Und das hatte nichts damit zu tun, dass er ein Problem mit diesem Teil ihres Clubs gehabt hätte. Ganz im Gegenteil: Er liebte das Ambiente zwischen Industrie-Look und britischem Kolonial-Charme. Deshalb zog er sich ja so gern dorthin zurück, wenn er eine Verabredung hatte.
Doch heute war es weder ein Freund noch ein zeitweiliger Spielgefährte noch ein neuer Dom im Training, der ihn dort erwartete. Jordan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Natürlich, es war Donnerstag. Er selbst hatte vorgeschlagen, dass sie sich heute noch einmal unterhalten würden. Er hatte es nur vergessen. Nein, verdrängt.
»Ich kann ihm sagen, dass er verschwinden soll. Dass du nicht so weit bist«, bot Sasha an. »Du musst dir das nicht antun.«
Jordan lächelte dünn. »Danke, aber das hat keinen Sinn. Es wäre nicht fair, ihn auflaufen zu lassen, nur weil ich Abschiede hasse.«
»Das heißt, ich soll ihm erst recht nicht ausrichten, dass du krank auf dem Sofa liegst, während du dich zur Hintertür rausstiehlst?« Sashas linker Mundwinkel wanderte nach oben.
Sie kannten beide die Antwort. In dieser Hinsicht waren sie sich sehr ähnlich. Sie konnten keine Konfrontationen leiden, waren aber zu dämlich – oder zu anständig –, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Jordan, weil er ungern Schutt und Asche hinterließ, Sasha, weil xier zu viele enttäuschende menschliche Erfahrungen hinter sich hatte, um sich anderen Leuten gegenüber wie ein gewissenloses Aas aufzuführen. Und manchmal bestand die einzige Gnade, die man jemandem gewähren konnte, in einem sauberen Schlussstrich.
»Mach mir einfach schon mal ein Lager auf«, murmelte Jordan resigniert. Dann ließ er Sasha stehen und ging durch den Hauptraum zu der Flügeltür mit der großen 3.
Die Tagesbeleuchtung war an; die, die während der Reinigung eingesetzt wurde und zu grell war, um Stimmung aufkommen zu lassen. Ein Mann hatte sich an den schmalen Behelfstresen an der Rückwand gesetzt und spielte mit einem Bierdeckel. Der Stoff seines dunklen Hemds spannte sich über dem breiten Kreuz und als er beim Schlagen der Tür den Kopf wandte, wusste Jordan wieder, warum Henry ihm bei ihrer ersten Begegnung so gut gefallen hatte.
Dieser von endlosen Stunden auf dem Surfbrett und im Fitnessstudio gestählte Körper, die Lässigkeit, mit der Henry auf einem Barhocker saß, der zu klein für ihn war, die hellblauen Augen, die aus seinem sonnengebräunten Gesicht hervorstachen, der volle Mund umrahmt von frechen Grübchen, das dichte dunkelbraune Haar, das an den Schläfen die ersten grauen Strähnen aufwies.
Henry hätte nicht nur jederzeit für eine Fitnesszeitschrift modeln können, er hatte sogar schon einmal ein entsprechendes Angebot bekommen. Nur die Befürchtung, dass es die Kollegen in seiner Kanzlei nicht gern sehen würden, wenn er sich nur mit einer Badehose bekleidet ablichten ließ, hatte ihn ablehnen lassen.
»Jordan«, sagte er leise und stand zur Begrüßung auf. Seine Arme hoben sich für eine Umarmung, doch Jordan ging hastig zum Tresen und brachte ihn als Barriere zwischen sie. Henrys Pokerface war gut. Jahre im Gericht hatten dafür gesorgt, dass er im Training war. Aber Jordan bemerkte dennoch das Zucken seiner Mundwinkel, das auf Enttäuschung hindeutete. »Du siehst gut aus.«
Ich weiß und ich wünschte, ich hätte unser Treffen nicht verdrängt. Dann hätte ich nicht ausgerechnet die Hose angezogen, die du mir immer mit Vorliebe runtergerissen hast, dachte Jordan halb bekümmert, halb verärgert. Ob er auf sich selbst oder auf Henry wütend war, wusste er nicht genau.
»Du auch«, gab er zurück. »Wartest du schon lange?«
Henry hob eine Schulter und ließ sie rasch wieder fallen. »Geht so. Ich war ein bisschen früh dran.«
»Und ich ein bisschen spät. Wie immer«, entgegnete Jordan.
Dieses Mal zuckten Henrys Mundwinkel nach oben. »Wieder mal am Schreibtisch hängen geblieben, ja? Lass mich raten: Du hast nicht einmal etwas gegessen, sondern bist sofort hergestürmt.«
Ein Außenstehender hätte wahrscheinlich angenommen, dass Henry sehr von sich überzeugt war, wenn er glaubte, dass Jordan mit leerem Magen zu ihrer Verabredung geeilt war. In Wirklichkeit war seine Bemerkung nur der Beweis, dass er Jordan in den vergangenen drei Monaten sehr gut kennengelernt hatte und um die Sogwirkung wusste, die der Club auf ihn ausübte.
Jordan bemühte sich um ein Lächeln. »Doch. Eine Kleinigkeit.«
»Eine Ecke Toastbrot? Eine Banane? Eine Handvoll Chips?«
»So ungefähr.«
Henry bettete beide Hände vor sich auf die Holzplatte, sodass sich seine Fingerspitzen berührten. »Ich weiß ja nicht, ob du dich heute Abend loseisen kannst, aber…« Er zögerte. »Wir könnten kurz zum Inder am Ende der Straße gehen. Etwas Anständiges essen. Und in Ruhe reden.«
Der lösungsorientierte Teil Jordans – namentlich sein Magen – wollte zustimmen. Letztendlich war es nicht wichtig, wo sie redeten. Das Ergebnis würde auf dasselbe hinauslaufen. Und wenn er bei der Gelegenheit noch eine Mahlzeit einschieben konnte, würde er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Aber er wollte Henry nicht zumuten, ihre überfällige Unterhaltung in einem vollen Restaurant zu führen; gezwungen, seine Gefühle für sich zu behalten, damit kein Gast und auch niemand vom Personal merkte, was in ihm vorging.
»Ich glaube, wir sollten lieber hier reden.« Ohne es zu wollen, schaute Jordan zu der kleinen Bühne am anderen Ende des Raums. Dort hatte er vor nicht allzu langer Zeit am Andreaskreuz gestanden, aller Sinne beraubt, und Henry vor ausgewählten Gästen erlaubt, ihn zu quälen. Anschließend waren sie zu ihm nach Hause gefahren, Henry hatte ihn umsorgt wie einen Kranken, ihn festgehalten und ihm immer wieder zugeflüstert, wie stolz er auf ihn war. Es war befreiend und befriedigend gewesen, berauschend und belebend.
Aber es hatte sich nicht in das tägliche Leben übertragen lassen.
»Oh.« Der Barhocker unter Henry knirschte, als er sein Gewicht verlagerte. »Ich nehme an, das bedeutet, dass du zu einer Entscheidung gekommen bist. Und dass sie mir nicht gefallen wird.«
»Ich hoffe, dass sie dir langfristig schon gefällt. Wenn alles nicht mehr so frisch ist. Wir… wir sind nicht richtig füreinander, Henry«, sagte Jordan behutsam. Es kam ihm dennoch vor, als hätte er mit glühenden Schürhaken um sich geschlagen.
Ein kaum merkliches Nicken, gefolgt von einem Flackern in den ausdrucksstarken Augen. »Du hast das einmal anders gesehen.«
Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Jordan hatte gehofft, dass sie gut zueinanderpassen würden. Er hatte es sich gewünscht. Und er war genauso enttäuscht wie Henry, nur dass er seinen Teil an Trauerarbeit bereits hinter sich hatte.
»Ich habe dir nie etwas vorgemacht.« Jordan war es wichtig, diesen Punkt zu betonen. »Ich dachte, es könnte funktionieren. Dass wir in jeder Hinsicht andocken würden, falls du verstehst, was ich meine.« Wie sagte man jemandem, dass man ihn heiß fand, aber keine tieferen Gefühle entwickelt hatte? Dass man merkte, dass etwas Entscheidendes zwischen ihnen fehlte, etwas, das nichts mit Sex oder BDSM oder beidem zu tun hatte? »Es tut mir leid.«
»Ja«, entgegnete Henry schlicht. Jordan wünschte sich weit weg. »Ja, das glaube ich