Take me down under: Melbourne im Blut. Raik Thorstad
Читать онлайн книгу.verfluchte sich, dass er seine Gedanken hatte schweifen lassen, entspannte sich aber rasch wieder. Anthony hatte den Kopf zurückgeworfen und wand sich in einem offenbar intensiven Orgasmus, dessen Ergebnis von Wayne mit offenem Mund entgegengenommen wurde. Keiner von beiden sah aus, als wäre er in Nöten oder mit der derzeitigen Situation unzufrieden. Eher, als hätten sie gerade erst angefangen und könnten es nicht erwarten, stundenlang weiterzumachen.
Und da war er wieder, der Neid, der sich durch Jordans Eingeweide fraß. Er sah zu, wie Anthony sich vor Lust schüttelte und anschließend neben dem Bock in die Knie ging. Sah, wie er Waynes Harnisch zurechtrückte und ihm mit dem Daumen über die Lippen strich. Hörte ihn leise Worte murmeln, aus denen Jordan unter anderem Belohnung, gut gemacht und so ein braver Junge heraushörte.
Schließlich streifte er die Ledermaske ab und offenbarte sein jungenhaftes Gesicht. Lächelnd trat er zwischen Waynes Beine und gab ihm mit festem Griff und groben Handschuhen die versprochene Belohnung. Als Wayne stumm und mit weit aufgerissenem Mund kam, ballte Jordan eine Hand zur Faust.
Er wartete ab, bis Anthony sich an den Ledermanschetten zu schaffen machte, dann stand er auf und ging leise zur Tür. Er wollte nicht auch noch zusehen, wie Anthony Wayne umsorgte und mit Lob und Anerkennung überschüttete. Jordans letzte Session war zu lange her und er wollte sich nicht zum Narren machen, indem er seine Gier verriet.
Draußen im Schankraum war es nicht sonderlich voll. Oft konnten sie sich selbst nicht erklären, warum die Gäste an manchen Abenden zahlreicher erschienen, während sie sie an anderen im Regen stehen ließen. Es war nie leer, aber der Statistiker in Jordan haderte mit diesem Rätsel, das sich auch nach Abgleich mit anderen BDSM-Clubs und Schwulenbars nicht hatte entschlüsseln lassen.
Katy stand an ihrem gewohnten Platz hinter dem Tresen, den Oberkörper in ein so enges Lederkorsett eingeschnürt, dass Jordan sich fragte, wie sie atmete. Er hatte ihr vor dem Öffnen der Türen geholfen, es ein letztes Mal nachzuziehen, und sich innerlich gewunden, als Katy ihm wiederholt ein Fester! zugezischt hatte.
Er war nicht blind. Er verstand die reizvolle Weiblichkeit einer Sanduhrfigur und damit auch Katys Wunsch, sich entsprechend zu zeigen. Aber er hatte wirklich keine Lust, seine Freundin eines Tages vom Fußboden kratzen zu müssen, weil sie sich auf der Jagd nach einer Wespentaille ein paar innere Organe abgeschnürt hatte.
»Na, wie ist es gelaufen?«, begrüßte sie ihn, als er sich zu ihr gesellte. Ihr Blick glitt mit einem verschmitzten Lächeln an seinem Körper herab und blieb vielsagend zwischen seinen Beinen kleben. »Keine besonderen Vorkommnisse, schätze ich?«
Ihr Tonfall war etwas zu beschwingt, etwas zu leutselig. Jordan kniff ein Auge zu und musterte sie scharf aus dem anderen. »Nein, alles bestens gelaufen. Und was ist in der Zwischenzeit hier vorgefallen?«
Katy verzog ihre dunkelrot nachgezogenen Lippen zu einem Schmollmund. »Ich hasse dich und deinen sechsten Sinn. Jedes Mal verdirbst du mir die Überraschung.« Sie wurden von einem Kunden unterbrochen, der zwei Cocktails bestellte, und als Katy ihn bedient hatte, glitt sie mit einem Hüftschwung dicht neben Jordan. Ihr rauchiges Parfüm stieg ihm in die Nase, als sie flüsterte: »Könnte sein, dass dir ein Fisch an Land gesprungen ist.«
»Ich wusste gar nicht, dass ich geangelt habe…«
»Hast du ja auch nicht. Deshalb sagte ich ja, dass er dir vor die Füße gesprungen ist. Ganz freiwillig.« Sie neigte den Kopf und als Jordan ihrer Blickrichtung folgte, sah er an einem der vorderen Tische einen Gast sitzen. Selbst, wenn Jordan nicht die meisten ihrer Gäste gekannt hätte, hätte er gewusst, dass es sich um einen neuen handelte. Die Stammbelegschaft verirrte sich nie so weit nach vorn; teils wegen des Luftzugs, teils, weil man es von dort aus nicht sah, wenn jemand aus einem der Flure kam. Und viele ihrer Gäste warteten nun einmal auf die Möglichkeit, spontan in einem der Privaträume zu verschwinden.
Der Fremde fiel in mehr als einer Hinsicht auf, aber zuerst durch seine Kleidung. Es trugen längst nicht alle Besucher Lack und Leder, schon gar keine Harnische oder Ledermützen. Aber es gab doch einen gewissen unausgesprochenen Dresscode dunklerer Ausrichtung, den die wenigsten brachen. Nachtblaue Hemden waren genauso verbreitet wie T-Shirts mit schwarzen Netzeinsätzen, Jeans genauso willkommen wie bei jedem Schritt knatschende Gummihosen. Und natürlich gab es immer ein paar Jungs, deren Vorliebe für Sneakers etwas weiter ging, als bei den meisten Menschen üblich war, und die sie daher zu jedem Outfit trugen – und später auszogen.
Der Neue hatte ein schlichtes rotes Sweatshirt an, das ihm so locker um den Oberkörper schlackerte, dass man unmöglich sagen konnte, ob sich darunter ein Sixpack oder ein Bierbauch verbarg. Dasselbe galt für die Jeans, die ihm im Schritt weit genug saß, um entweder eine gewaltige Erektion oder eine Brotbüchse zu verbergen.
Ansonsten sah er ganz gut aus, schätzte Jordan. Ein bisschen rau um die Ecken, ein bisschen müde, etwas zu blass. Und irgendwie nicht wie jemand, der sich darauf freute, einen neuen Club kennenzulernen. Eher wie jemand, der sich verlaufen hatte. Aber dafür wirkte er nicht überrascht oder auch angewidert genug.
Nein, er hatte gewusst, welche Art Laden er betrat. Vielleicht war er mit einem Freund verabredet.
»Mal ehrlich: Wirke ich so verzweifelt, dass du mir jetzt schon den erstbesten Typen anpreist, der zur Tür reinkommt?«, fragte Jordan mit einem deutlichen Beiklang von Frustration. »Wie zum Teufel kommst du darauf, dass ich Interesse an ihm haben könnte?«
Katys Kopf ruckte herum. Ihr Mund öffnete sich und machte Jordan klar, wie ungehalten er sich angehört hatte. Und wie hochmütig. »Oder er an mir«, steuerte er hastig nach. Es klang dennoch nicht richtig.
Katy runzelte die Stirn. Dann neigte sie sich zu Jordans Ohr hinab. »Weil ich mich schon mit ihm unterhalten habe, natürlich. Und weil er ganz offensichtlich ein Frischling ist, der jemanden zum Reden brauchen könnte. Jemanden, der ihm die Spielregeln erklärt. Und zeigt.« Sie zögerte. »Ich dachte irgendwie, er würde dir gefallen…«
Jordan verschränkte die Arme vor der Brust und musterte den Neuen ein zweites Mal. Katy lag nicht vollkommen daneben. Unabhängig davon, dass man unter der weiten Kleidung nicht viel über seinen Körper sagen konnte, hatte ihr Frischling ein offenes, fast herzförmiges Gesicht mit tief liegenden, hellen Augen unter dunklen Brauen. Seine Nase war gerade, der Mund ziemlich klein, aber er wirkte geschmeidig und glatt – Jordan küsste ungern raue Lippen – und das kurze braune Haar war stufig geschnitten und etwas zerwühlt, sodass es etwas Jugendliches ausstrahlte. Dabei war der Mann, der nachdenklich an seinem Glas Wein nippte, alles andere als jung. Sicher auch kein Tattergreis, aber durchaus jemand, den Jordan normalerweise in Erwägung gezogen hätte. Jordan schätzte ihn auf um die vierzig, plus/minus zwei, drei Jahre. Und er war hier. Zweifelsohne hatte Katy ihm längst seine Präferenzen aus der Nase gezogen, sonst hätte sie Jordan gar nicht erst auf ihn aufmerksam gemacht.
Er könnte tatsächlich ein guter Fang sein.
Oder?
»Nein«, entfuhr es Jordan mit zu viel Luft und zu wenig Stimme. Und erst recht ohne Ahnung, warum er sich so entschlossen wehrte. »Nein, der ist nichts für mich.«
Wieder klappte Katys Mund auf. Auf einen ihrer Schneidezähne hatte sich eine Spur Lippenstift verirrt. »Aber…«, begann sie mit sichtlicher Verwunderung.
Sie musste die Frage nicht beenden. »Ich weiß es nicht«, antwortete Jordan sowohl ihr als auch sich selbst. »Ich kann es nicht sagen, aber er hat etwas an sich, das… Einfach Nein.«
Manchmal hatte er solche Eingebungen. Er war kein Fan von Mystizismus und gerade spirituell genug, um die Vorstellung einer höheren Macht nicht von vornherein abzustreiten. Aber er war das, was man einen Menschenkenner nannte. Im Grunde bedeutete das nur, dass er in der Lage war, über Gesagtes hinwegzuhören und stattdessen die Körpersprache zu lesen, die mehr verriet als das gesprochene Wort. Er war immer wieder überrascht, wie leicht sich seine Mitmenschen von Blendern einwickeln ließen oder Unsicherheiten mit Arroganz verwechselten. Für ihn waren die meisten Leute ein offenes Buch, auch wenn er nicht immer wusste, in welcher Sprache es verfasst worden war. Das brachte ihm dann Erfahrungen wie die mit Henry ein.
Und irgendetwas