Ein Lord wie kein anderer. Inka Loreen Minden

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Ein Lord wie kein anderer - Inka Loreen Minden


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konnten, denn er hielt sich fast jeden Tag viele Stunden am Hafen auf. Ihm gehörte eine große Reederei an der Themse, nicht weit weg von diesem Stadtteil, denn die Schifffahrt florierte wie nie. Kenneth verdiente sehr gut, auf Kosten seiner Freizeit, weshalb es Emily plötzlich noch schwerer fiel, ihre Freundin zu verlassen. »Du wirst den ganzen Tag allein sein.«

      Claire grinste. »Ich habe die Kinder, Nanny Florence und meine Eltern. Außerdem kann ich Kenneth’ oder meine nervige Schwester zum Tee einladen, falls mir wirklich einmal die Decke auf den Kopf fallen sollte. Nun geh endlich!« Sie zerrte Emily regelrecht an der Hand durch die Halle zum Ausgang. »Und dass du mir jede Woche schreibst!«

      Fast die halbe Nacht hatten sie zusammengesessen und über Daniel geredet. Claire wusste natürlich, wie verliebt Emily als kleines Mädchen in ihn gewesen war und dass auch bei ihrem Wiedersehen ihr Herz schneller geschlagen hatte. Nun erhoffte sich Claire eine spannende, verbotene und leidenschaftliche Liebesgeschichte. Sie hatte einfach zu viele Romane gelesen.

      Kaum trat Emily nach draußen, holte sie tief Luft. Es war früh am Morgen und ein wenig kühl; die Sonne hatte sich noch nicht über die Dächer erhoben. Emily fror jedoch nicht, denn sie war so aufgeregt, als würde ihr eine lange Reise bevorstehen, und allein bei dem Gedanken an Daniel wurde ihr heiß. Seine Stadtvilla lag nur eine halbe Fahrstunde entfernt. Zu Fuß wäre sie vielleicht genauso schnell bei ihm, denn die Markthändler, die früh unterwegs waren, verstopften die Straßen in diesem eleganten Bezirk. In Covent Garden kaufte Kenneth auch seine Waren für die Ausstattung der Schiffe und er hatte es nicht so weit bis zu seiner Reederei, weshalb sie sich hier niedergelassen hatten. Emily gefiel dieser Stadtteil und sie liebte es, durch die Reihen der Marktstände zu schlendern. Das würde sie vermissen. »Ich werde natürlich bei euch vorbeisehen, so oft ich kann.«

      Vor der kleinen Kutsche – einem Einspänner, mit dem Claire und sie Ausflüge in den St. James’s Park unternommen hatten – umarmte sie ihre Freundin fest und steckte ihre Nase in die ordentlich hochgesteckten, goldenen Locken. Claire sah aus wie ein Engel, das hatte sie schon, als Emily sie vor über zwanzig Jahren kennengelernt hatte. Als Daniel einmal wieder zurück nach Oxford gemusst hatte, war Emily auf dem schmalen Pfad hinter den Reihenhäusern entlang marschiert, vorbei an all den kleinen Gärten, bis ihr plötzlich glockenreiner Gesang entgegenwehte. Fast ganz am Ende der Straße, im Garten des vorletzten Hauses, saß ein kleiner Engel auf einer Schaukel, die an einem dicken Ast eines alten Pflaumenbaumes angebracht war.

      Fasziniert beobachtete Emily ein Mädchen, nur ein wenig jünger als sie selbst, durch das hohe, vergitterte Gartentor, bis sie bemerkt wurde. Damit begann eine wunderbare Freundschaft. Claire war die zweite Tochter eines Kaufmannes, der in London Berühmtheit mit seinem feinen Porzellan erlangt hatte. Da damals sowohl ihre als auch Emilys Eltern im Viertel sehr angesehene Leute gewesen waren, hatte niemand etwas gegen ihren Umgang gehabt und sie hatten sich so oft wie möglich getroffen. Während Claires Eltern immer noch in dem schmalen Reihenhaus wohnten, lebte Claire nun mit ihrem Mann Kenneth Bloombury in einem größeren Haus in der Nähe des Covent Garden Market.

      Oft wünschte Emily, ihre Eltern würden noch leben, dann wäre vielleicht alles anders gekommen. Wenigstens die Briefe an Claire hatten ihr während der schrecklichen Jahre mit Edward geholfen, nicht die Hoffnung zu verlieren. Im Laufe ihrer Ehe hatte ihr Edward unfreiwillig einige seiner »Sünden« offenbart – wie die Geschichte mit seinem Adelstitel.

      Weißt du, dass ich mir den Titel einfach geschnappt habe?, hatte er einmal zu ihr gesagt. Sie wusste früher erst nicht genau, was Edward damit gemeint hatte, aber sie vermutete stark, dass er den Adelsbrief des Königs gefälscht hatte. Es sprach sehr viel dagegen, dass er selbst als Adliger auf die Welt gekommen war. Er beherrschte keine einzige Fremdsprache und keinen der angesagten Tänze – was wohl auch ein Grund war, weshalb er nie einen Ball oder eine größere Veranstaltung mit ihr besucht hatte. Auch in politischen Belangen kannte er sich nicht wirklich aus, weshalb er das Parlament gemieden hatte. Tatsächlich war Schauspielern seine einzige echte Begabung. All seine Defizite hatte er immer hervorragend vor anderen verbergen können.

      Emily erschauderte. Nach dem Genuss von zu viel Alkohol hatte Edward gerne geredet … und andere Dinge getan. Zum Glück hatte sie in ihrer Zofe Mary Wentworth eine Verbündete gefunden, die ihre Briefe herausgeschmuggelt hatte.

      Ohne den heimlichen Kontakt zu Claire wäre Emily verrückt geworden. Ihre Freundin wusste, was ihr Mann für ein Monster gewesen war, aber sie kannte nicht alle Details. Emily wollte das unbeschwerte Leben ihrer einzigen Vertrauten nicht beflecken.

      Emily hatte auch Daniel nicht belogen, als sie ihm die Geschichte mit dem Verkauf von Edwards Haus sowie seines gesamten Besitzes erzählt hatte. Davon stimmte jedes Wort. Gewisse Einzelheiten musste sie auch ihm nicht auf die Nase binden.

      Emily bebte am ganzen Körper, als sie Claire ein letztes Mal umarmte und sich anschließend vom Kutscher auf den Zweispänner – den sie für Ausflugsfahrten mit der ganzen Familie nutzten – helfen ließ. Dann ging es auch schon los, und sie rumpelten über die Pflastersteine in Richtung Mayfair.

      Emily hüllte sich in eine Decke und blickte sich so lange winkend um, bis das kleine Haus der Bloomburys und auch Claire nicht mehr zu sehen waren. Danach konzentrierte sie sich ganz auf ihre bevorstehende Arbeit. Hoffentlich machte sie ihre Sache gut, damit Daniel sie behielt. Sie würde sich auf jeden Fall große Mühe geben, damit sie irgendwann ihren Traum von einem eigenen Leben verwirklichen konnte.

      ***

      Laut ihrer Taschenuhr – die sie von ihrem Vater vererbt bekommen hatte und immer in ihrem Beutel mit sich trug, wenn sie unterwegs war, erreichte sie kurz nach acht Uhr die Stadtvilla von Lord Hastings. Bestimmt schlief Daniel zu dieser Zeit noch, auch wenn sie sich beobachtet glaubte, was sie sich gewiss einbildete. Hinter den Vorhängen der großen Fenster nahm sie keine Bewegung wahr.

      Nachdem ihr der Fahrer von der Kutsche geholfen und die große braune Tasche zur Tür getragen hatte, erwartete sie wieder der alte Mr Smithers. Er wies sofort einen jüngeren Diener mit Vornamen Henry an, Emilys Gepäck zu nehmen und es nach oben in die Räume des Kindermädchens zu bringen.

      Sie folgte dem schlanken, braunhaarigen Mann, der ihr beim letzten Besuch den Tee gebracht hatte, drei Stockwerke hinauf fast bis unters Dach. So viele Stufen zu nehmen, war sie gar nicht gewohnt, und sie musste tief durchatmen, als sie einen düsteren, niedrigen Flur erreichten. Die Wände des vorletzten Stockes waren bei Weitem nicht so hoch wie in den tieferen Etagen. Sechs Türen führten vom Gang ab, darunter eine, deren Treppe bis ganz unters Dach reichte. In der Mansarde schlief für gewöhnlich die weibliche Dienerschaft, jedoch nicht die Nanny. Diese bewohnte mit den Kindern eigene Räume, wie Emily wusste.

      Henry betrat gleich das zweite Zimmer auf der linken Seite und stellte ihre Tasche auf dem Bett ab, bevor er Emily wieder verließ – nicht ohne noch einen kurzen Blick in den Nebenraum zu werfen, aus dem sie die Stimme einer Frau hörte.

      Emily musste sofort ihre neue Umgebung bewundern. Mit solch einer geräumigen Unterkunft hatte sie nicht gerechnet, eher mit einer engen Dachkammer. Sie war hell, freundlich und modern eingerichtet, mit einer Tapete, die in rosa- und perlmuttfarbenen Streifen schimmerte, und einem breiten Bett, das einen verschnörkelten gusseisernen Rahmen besaß. Es war nicht ungewöhnlich, dass die Kinder gemeinsam mit der Nanny in einem Bett schliefen, und Emily war gespannt, wie es hier gehalten wurde.

      Vor dem Fenster, das einen herrlichen Ausblick in den Garten ermöglichte, stand ein Sekretär, auf dem Papier und Feder bereitlagen; es gab zwei große Kommoden und einen kleinen Esstisch mit einem normalen Stuhl sowie einem Kinderhochstuhl. Kerzen, eine Öllampe und eine Waschgelegenheit entdeckte sie ebenfalls, sowie Handtücher, Schürzen und alles, was eine Nanny brauchte. Das würde also von nun an ihr Reich sein. Emily gefiel es.

      Jetzt wollte sie aber endlich Sophia kennenlernen. Sie legte ihren Hut auf das Bett mit der wunderschönen Überdecke mit rötlichem Paisleymuster. Emily besaß einen Schal in fast derselben Farbe.

      Eine zweite, offen stehende Tür führte ins geräumige Kinderzimmer, das mit einem dicken Teppich ausgelegt war, wohl um die Laute der trampelnden Füßchen zu dämpfen. Zwischen zahlreichen Spielsachen standen ein


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