Das einfache Leben. Ernst Wiechert
Читать онлайн книгу.Heiteres war aus dem Klang der Silben aufgestiegen, Fremdheit und Zauber, Macht und Einsamkeit, und einmal hatte er seinen Lehrer in das hilfloseste Erstaunen versetzt, als er auf die Frage, was er einmal werden wolle, laut und ohne Überlegung geantwortet hatte: ein Nabob!
Nun musste er fast ein Lächeln verbergen, als er bedachte, wie wenig er selbst jenes kindliche Versprechen eingelöst hatte, weder im Äußeren des Glanzes noch im Inneren selbstgewisser und fast allmächtiger Haltung, von einer Meute von Grauhunden soweit entfernt wie von einer Schar hellblonder Enkelkinder, und wie auch jener, dessen Gesicht ihm aus jenen Büchern vertraut war, in seinem Leben und Sein, in Erinnerungen, Macht und Reichtum wohl weit hinter den Urbildern jenes seltsamen Namens zurückgeblieben sein mochte, außer dass er vielleicht in den Kellern dieses Hauses einen ansehnlichen, aber immer mehr abnehmenden Vorrat jenes Weines besäße, der, vor riesigen Kaminen an langen Abenden getrunken, jene Hautfarbe verleihen mochte, die wie von indischer Sonne gebräunt und gebrannt erschien.
Doch fühlte Thomas sich nun durch diese kindliche Erinnerung über die Schranken des Alters und des Ranges leichter hinweggehoben und glaubte auch alle Wunderlichkeiten, auf die er vorbereitet war und deren Anfang er nun schon erfahren hatte, guten Mutes überstehen zu können.
»Heißen Orla?« fragte die heisere Stimme, die die Worte wie aus einer Gewehrmündung hervorstieß.
»Jawohl, Herr General.«
»Gedient?«
»Jawohl, Herr General.«
»Dekoriert?«
»Jawohl, Herr General.«
Eine kleine Pause trat ein, in der der General fortfuhr, seinen Besucher gleichsam durchbohrend zu betrachten, nicht etwa aus Misstrauen, sondern aus einer alten Übung, die sich ihm vor der erstarrten Front unzähliger Soldatenkolonnen als nützlich erwiesen haben mochte. Thomas war überzeugt, dass er ein Waisenkind oder ein neugeborenes Kalb im Stall auf genau die gleiche Weise zu betrachten pflegte, blieb also unverändert in seiner guten Haltung und wich den blauen Blitzen nicht für eine Atemlänge aus.
»Gruber erzählt«, fuhr die heisere Stimme fort, »Steuermann, Skagerrak und dergleichen. Misstrauisch gegen alles Seefahrende. Anfang mit Schande gemacht. Hoffe, Regel durch Ausnahme bestätigt sehen. Hier nur brauchen, was in Gesinnung und Haltung zuverlässig. Zu … ver … läs … sig! Verstanden?«
»Jawohl, Herr General.«
»Gut … Vorgänger Esel. Güterteilung, Weltfriede, rote Fahne und dergleichen. Kein Lump, aber Esel. Auf Barrikaden fallen. Gloriose Zeiten für Lumpen und Esel. Insel Stützpunkt Wasserseite. Vor dem Feinde fallen, wenn nötig, verstanden?«
»Jawohl, Herr General.«
Nach dieser Versicherung entspannte das drohende Gesicht sich ein wenig, und eine zweite Pause trat ein, in der Thomas sich zu erinnern versuchte, welcher der preußischen Könige diese Redeweise geliebt hatte. Doch begann nun, als er des weiteren Verlaufes sicher war, die Insel sich wieder zwischen seine Gedanken zu schieben, und unvermittelt überkam ihn nach diesen ruhelosen und von fremden Bildern überladenen Tagen das warme Gefühl tröstlicher Geborgenheit, eine glückliche Müdigkeit, die danach verlangte, den Schein des Herdfeuers auf den dunklen Bohlen zu sehen und den Wind um das Rohrdach gehen zu hören.
Zuvor aber hatte er noch einmal seine Worte mit Bedacht zu wägen, um die etwas zögernden Fragen des Generals nach Schulbildung, Reisen und Familienverhältnissen zu beantworten; empfing darauf seine Dienstanweisung, die sich auf den Jagdschutz erstreckte, und unterschrieb schließlich den kurzen Vertrag, den sein Brotherr nach einem alten, schon vergilbten Muster mit großen, altertümlichen Buchstaben aufsetzte und ihm hinschob.
Thomas las, was er an Rechten und Pflichten besitzen würde, an Geldlohn und »Naturalien«, erfuhr, dass Mehl, Kartoffeln und Winterobst ihm zuständen, wobei er das letzte besonders bemerkenswert fand, dass »ein grauer Fischerrock nebst einem Paar Wasserstiefeln, so bis über die Knie zu ziehen«, ihm jährlich zukämen und dass er »allezeit in Treue zu seiner Herrschaft zu stehen« habe, wie auch diese gelobte, ihn »in Bedürfnissen des Leibes und der Seele gut und geachtet zu halten«. Schien ihm also, als er dies langsam gelesen hatte, dass der Vertrag wohl aus der Zeit jenes wortkargen Königs stammen mochte, dass aber gleichwohl Rührendes in diesen alten Wendungen liege, mehr als er sonst in Verträgen mit Hauswirten oder Mietern erfahren hatte, und als er noch einmal, bevor er die Feder ansetzte, in die Augen des alten Mannes sah, wusste er, dass dieser Vertrag noch niemals mit besserem Willen und vielleicht auch mit tieferer Berechtigung unterschrieben worden war als eben nun.
Eine feste, breite Hand streckte sich ihm über die Tischplatte entgegen, und als er aufsprang und sie ergriff, war es ihm, als könnte er für diesen alten, wunderlichen Mann, um den eine vergangene Zeit gleichsam wie eine Rüstung stand, gern, »wenn nötig«, vor dem Feinde fallen.
»Gute Haltung!« sagte die drohende Stimme. »Gleich gesehn. Gut auskommen.«
Sie traten an den Gewehrschrank, und der General zeigte ihm die kleine Büchse und Doppelflinte, die er ihm ins Forsthaus schicken werde. »Dem Esel abgenommen«, sagte er. »Auf Eiche gestanden und auf ›Blutsauger‹ gewartet. Bei armen Leuten Auge mal zudrücken, bei Lumpen Finger krumm machen! Denken, dass Eigentum aufgehört hat. Zucht und Ordnung halten! Selbst darin groß geworden. Soldat bleiben auch im Fischerrock, verstanden?«
»Jawohl, Herr General.«
Sie vereinbarten, dass Thomas den Dienst in vierzehn Tagen antreten sollte, mit dem Fischfang aber nicht vor dem Mai zu beginnen sei. »Mal auf Insel besuchen«, schloss der General und streckte noch einmal seine Hand aus. »Kein Weltmeer herum, aber gutes Wasser. Nicht schlechteste Devise: ›Ich dien.‹«
Dann war Thomas entlassen. Der friderizianische Riese lehnte schwermütig an der Kanonenmündung, und Thomas hatte ihn im Verdacht, mit seiner Nase beschäftigt gewesen zu sein. Doch half er ihm freundlich in den Mantel.
»Unbequem?« fragte Thomas und deutete auf die Uniform.
»Nein, Herr, bloß im Dorf rufen sie ›Kasperle‹ und schmeißen mit Pferdeäppeln.« Er lächelte melancholisch und begleitete den Gast zur Tür.
»Damals«, sagte Thomas und zeigte auf das weiße Bandelier,4